"Wir sorgen uns sehr um die politische Lage im Land und um unsere Familien", sagt Neven Klepo. Von Bayern aus beobachtet er, was in seinem Herkunftsland Bosnien und Herzegowina passiert. Dort verhärten sich die Fronten zwischen den serbischen und bosnischen Bevölkerungsgruppen gerade stark. Im Netz kursieren Videos von Menschen, die hasserfüllte Parolen in die Kameras rufen. Das macht Neven Klepo Angst, denn wie vielen anderen steckt auch ihm der Schrecken des Bosnienkrieges noch in den Knochen.
In Bosnien und Herzegowina herrscht ein zerbrechlicher Frieden
Der Frieden in Bosnien und Herzegowina gilt als jung und zerbrechlich. In seiner heutigen Form gibt es den Staat erst seit dem Abkommen von Dayton. Der Friedensvertrag wurde 1995 auf internationalen Druck hin geschlossen und erklärte den damaligen Bosnienkrieg für beendet. Zurück blieb ein völlig ausgeblutetes Land. Die Kriegsjahre hatten rund hunderttausend Menschenleben gefordert, das Massaker von Srebrenica ging als Völkermord in die Geschichte ein. Auch wenn die Waffen nun endlich schwiegen, blieben die ethnischen Gräben.
Heute besteht Bosnien und Herzegowina aus zwei Entitäten. In der Teilrepublik "Republika Srpska" leben überwiegend bosnische Serben. In der Föderation Bosnien-Herzegowina sind vor allem muslimische Bosniaken und bosniakische Kroaten zu Hause. Dazu kommen eine jüdische und eine Roma-Minderheit. Immer wieder keimen nationalistische Tendenzen auf und führen zu Spannungen. Die internationale Gemeinschaft ist deshalb bis heute präsent und überwacht die Einhaltung des Friedensabkommens.
Spielt Serbenführer Milorad Dodik mit dem Feuer?
Das Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums Milorad Dodik, der früher als gemäßigt und pro-westlich galt, radikalisierte sich in den vergangenen Jahren schrittweise. So sprach er von einer Abspaltung der "Republika Srpska", erwähnte eine serbische Armee und ein eigenes Justizsystem. Auf diese Weise hetzte er gegen die zum Großteil muslimischen Bosniaken und spielte mit der Angst der serbischen Bevölkerung.
Nachdem Dodiks Aussagen lange von vielen als leere Worthülsen abgetan wurden, nahm die Angelegenheit Ende des vergangenen Jahres plötzlich an Fahrt auf. Im Oktober beschloss das Parlament der "Republika Srpska", eine eigene Arzneimittelbehörde zu gründen. Eine scheinbare Kleinigkeit, die nach Einschätzung von ARD-Auslandskorrespondent Srdjan Govedarica aber als Testballon für weitere Schritte diente: "Dodik wollte austesten, wie weit er gehen kann." In den Monaten darauf wurde im Parlament der "Republika Srpska" ein Rückzug aus dem gesamtstaatlichen Justiz- und Besteuerungssystem Bosnien und Herzegowinas vorbereitet.
Nationalismus als einziger Ausweg?
Neven Klepo liest den radikalen Kurswechsel Dodiks als Akt der Verzweiflung. Die wirtschaftliche Lage in Bosnien ist seit den 90er-Jahren prekär. Dodik habe gesehen, dass man mit einer friedlichen Rhetorik keine Wahlen gewinnen könne, so Klepo. Das Schaffen eines bosniakischen Feindbildes ist, Klepos Einschätzung nach, ein geschicktes Manöver, um die serbische Bevölkerung zu blenden und von den ökonomischen Schwierigkeiten im eigenen Land abzulenken. "Ich glaube, dass es für Dodik keinen Ausweg gibt außer Nationalismus. Dodik sieht, dass er seine Macht nur durch Kriegsrhetorik stabiliseren kann".
In der "Republika Srpska" fällt Milorad Dodiks aggressive Rhetorik auf fruchtbaren Boden. Ihren 30. Geburtstag feierten die Bewohnerinnen und Bewohner mit einem pompösen Festakt – obwohl es die gesamtstaatliche Regierung ausdrücklich verboten hatte. Die ARD-Auslandskorrespondentin im Studio Wien und Südosteuropa Anna Tillack war vor Ort. "Die Menschen spielen total mit. Sie tragen die serbische Flagge um die Schultern", berichtet sie. Auch im Netz versuche man, die Botschaft zu verbreiten und das Bild der erstarkenden "Republika Srpska" nach außen zu tragen.
Die bosniakische Bevölkerungsschicht, gegen die sich der Hass richtet, lasse all das nicht kalt: "Sie denken an die Schrecken des Krieges, die furchtbaren Bilder tauchen unwillkürlich wieder auf", so Tillack. "Die Bosniaken wissen, dass die eigene Identität plötzlich wieder zum Problem werden kann. Das ist für sie nur schwer zu ertragen".
Neven Klepo versucht zu helfen
Es sind Bilder, die Neven Klepo traurig machen. Gemeinsam mit seiner Mutter Sadija Klepo und ihrem Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch e. V." setzt er sich in Deutschland seit vielen Jahren für Migrantinnen und Migranten aus den Balkanstaaten ein. Der Verein beschränkt sich dabei bewusst nicht auf die rund 200.000 Menschen aus Bosnien und Herzegowina. "Sobald man nach Deutschland kommt, gibt es die Unterschiede zwischen den vielen Balkannationen nicht mehr. Hier sind wir alle Jugos", sagt Klepo. Seit 2007 organisiert der Verein die Balkantage in München. Sie sollen Brücken zwischen der Diaspora und der deutschen Bevölkerung schlagen: "Wir wollen zeigen, wie wunderbar der Balkan ist und das schaffen wir nur gemeinsam."
Droht ein neuer Bosnienkrieg?
Die ARD-Auslandskorrespondentin Anna Tillack fragt sich, wer überhaupt dazu bereit wäre, einen neuen Bosnienkrieg zu führen. Im Gespräch mit jungen Menschen aus der Region hat sie vor allem Kriegsmüdigkeit wahrgenommen. Sie hätten in den vergangenen Jahrzehnten so viel Schlimmes erlebt, dass sie keinen Sinn in einem neuen Krieg sähen. "Auch so schon verlassen viele junge Menschen aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen ihre Heimat in Bosnien und Herzegowina. Wenn dazu noch dieses Kriegsszenario über allem schwebt, verlieren die jungen Menschen das Interesse an dem Land völlig", meint Tillack.
Ein Ausweg aus der Hass-Spirale
An eine Zukunft für Bosnien und Herzegowina glaubt Neven Klepo trotzdem. Man müsse abwarten, bis die ehemalige Kriegsgeneration das politische Parkett räume und Platz mache für eine neue Generation, die nicht aus rein politischem Kalkül handele, sondern eintrete für eine gemeinsame Entwicklung und ein respektvolles Miteinander.
"Es wird eine Generation kommen, die europäisch erzogen ist", meint Klepo. Interkultureller Austausch und Programme wie "Erasmus+" würden bereits jetzt dazu beitragen, neue Perspektiven in das Land zu bringen. Allerdings sei dieser Umschwung nicht in den nächsten Jahren zu erwarten, eher in 15 bis 20 Jahren. Bis dahin brauche es vor allem eines: Geduld.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!