Wählerinnen und Wähler in Großstädten tendieren mehr zu Grün als Menschen in kleinen Städten oder auf dem Land, der Süden ist konservativer gestimmt als der eher linke Norden: So beschreibt Professor Jochen Müller die nach dem Wahlverhalten eingefärbte Landkarte der Bundesrepublik. Besonders der Unterschied zwischen Ost- und Wertdeutschland habe sich seit einigen Jahren deutlich gefestigt.
Sehr unterschiedliches Wahlverhalten in Ost und West
Der auf Parlamentarismus und Wahlen spezialisierte Politologie von der Universität Greifswald ist sich sicher, dass die Ergebnisse bei der Bundestagswahl entsprechend der Himmelsrichtung erheblich auseinanderklaffen: "Wir werden vermutlich wiederholt sehen, dass die Grünen im Westen deutlich besser abschneiden als im Osten. Wir werden sehen, dass BSW und auch die Linke im Osten besser abschneiden als im Westen, und die AfD wird doppelt so gute Ergebnisse erzielen wie in den alten Bundesländern."
"Nordrhein-Westfalen dominiert die Wahlergebnisse"
Auch wenn Ostdeutschland am Abend des 23. Februar stark AfD-Blau eingefärbt sein dürfte, hängt deutlich mehr von der Stimmung eines westdeutschen Bundeslandes ab. Jochen Müller betont: "Nordrhein-Westfalen dominiert die Wahlergebnisse allein durch die Zahl der Wählerinnen. Bestimmte Konfliktlagen und Herausforderungen, die es in NRW gibt, die kann man anderswo nicht ignorieren."
Ein Blick auf die Zahlen untermauert das. In allen fünf ostdeutschen Bundesländern zusammen (ausgenommen Berlin), sind rund 7,86 Millionen Menschen wahlberechtigt. Dagegen dürfen allein in Nordrhein-Westfalen 12,6 Millionen Frauen und Männer wählen.
Mindestens vier, vielleicht sogar acht mögliche Koalitionen
Eine der spannendsten Fragen ist: Wie viele Fraktionen wird es im nächsten Bundestag geben? Ziemlich sicher werden es mindestens vier sein, nämlich die von SPD, CDU mit CSU, AfD und die der Grünen. FDP, Linke und BSW, Freie Wähler liegen in den Umfragen irgendwo zwischen 3 und 7 Prozent. Sowohl für eine dieser Parteien als auch für zwei oder sogar alle vier könnte nur die außerparlamentarische Oppositionsbank übrigbleiben.
Nach Einschätzung des Greifswalder Politologen hat nur eine Partei wirkliche Chancen, und zwar über ihre starke geografische Verankerung, ein Scheitern an der fünf-Prozent-Hürde wettzumachen. Jochen Müller: "Das gilt für die Linke in Ostdeutschland, wo drei alte Veteranen, Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow in Wahlkreisen antreten und vielleicht über ihre Wahlkreisergebnisse den Einzug der Partei gewährleisten."
FDP, BSW und Freie Wähler dürften dagegen eher nicht die drei nötigen Direktmandate erringen, um via Grundmandatsklausel in den Bundestag einzuziehen, falls sie die fünf Prozent nicht schaffen sollten. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass es im nächsten Bundestag sogar acht Fraktionen geben könnte.
22 Erststimmengewinner könnten leer ausgehen
Nach der Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung bleibt es zwar weiter bei 299 Wahlkreisen, aber nicht mehr alle werden eine Vertreterin oder einen Vertreter im Parlament haben. Nach einer Prognose von election.de könnten 22 Erststimmengewinner draußen bleiben. Denn durch die Wahlrechtsreform darf keine Partei mehr Sitze haben als es die Zweitstimmen ergeben, um Überhang- und Ausgleichsmandate und damit eine stete Aufblähung des Bundestages zu vermeiden.
Noch 2021 profitierten vor allem CDU und CSU, weniger auch die SPD von Direktmandaten. Jetzt könnten laut election.de auch acht Kandidaten der AfD scheitern. Professor Michael Wehner von der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg äußerte gegenüber dem SWR die Überzeugung, dass das Wissen um die Wahlrechtsreform das Wahlverhalten einiger Menschen verändere. Demnach würden bei der Bundestagswahl am 23. Februar weniger Wählerinnen und Wähler als früher ihre Stimmen splitten, sondern mit beiden Stimmen dieselbe Partei wählen.
Sperrminorität von AfD und BSW?
Vermutlich wird auch im nächsten Bundestag die AfD größte Oppositionspartei, sie war es bereits von 2017 bis 2021. Unter bestimmten Umständen könnte sie aus taktischen Gründen mit dem BSW eine 33,3 Prozent-Sperrminorität bilden.
Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte kürzlich im Deutschlandfunk davor, dass eine mögliche Sperrminorität der beiden Putin-freundlichen Fraktionen zusätzliche Mittel für die Bundeswehr blockieren könnte. Auch für Grundgesetzänderungen ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.
Aufgrund der aktuellen Umfragen hält dagegen der Politikwissenschaftler Jochen Müller eine Veto-Macht AfD und BSW nicht für sehr wahrscheinlich. Gleichwohl sei sie nicht auszuschließen, betont er. Käme es dazu, würde die jeweilige Regierung in gewisser Hinsicht erpressbar. Der Politologe von der Universität Greifswald schätzt, dass dann, um solch essenzielle Projekte durchzubekommen, wahrscheinlich schmerzhafte Kompromisse geschlossen werden müssten.
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