Linda (Name von der Redaktion geändert) ist 20 Jahre alt und cannabissüchtig. Vor fünf Jahren hat sie mit dem Kiffen angefangen, zum Schluss hat sie jeden Tag fünf bis neun Joints geraucht. Linda wurde krank, sie entwickelte Ängste und Psychosen. "Irgendwann hab ich einfach gekifft und ich dachte, alle reden über mich, alle lachen über mich, mögen mich nicht. Und wenn ich wusste, ich muss Bahn fahren – Panik! Ich kann das gar nicht beschreiben, aber das Kiffen hat das immer ausgelöst", so Linda.
Linda macht derzeit eine Therapie in einer psychiatrischen Tagesklinik. Denn alleine schafft sie es nicht, vom Cannabis loszukommen. Ziel der Behandlung ist, dass Linda lernt, im Alltag zurechtzukommen und dass sie aus dem gefährlichen Karussell endgültig aussteigt.
"Es brennt sich ins Gehirn. Man stellt sich ständig die Frage: Wann kann ich wieder konsumieren? Wann kann ich mich wieder belohnen? Wann kann ich mich wieder entspannen? Es dreht sich im Kopf alles nur darum." Linda
Gefährliche Nebenwirkungen
In der Klinik für Suchtmedizin in Haar bei München werden bayernweit die meisten Cannabis-Süchtigen stationär behandelt. Prof. Ulrich Zimmermann warnt im BR-Politikmagazin Kontrovers vor einer Verharmlosung der Droge. Denn die Gesundheit insbesondere von jugendlichen Kiffern sei stark gefährdet. Bei ihnen seien Veränderungen des Gehirns durch den Konsum messbar.
"Die Gehirnreifung und -entwicklung findet nicht nur bis 16, 17 Jahren statt, sondern bis zum 21. Lebensjahr. Und wenn dieser Prozess gestört wird und das tut Cannabis definitiv, dann kann sich das Gehirn nicht später noch nachentwickeln, da ist das Zeitfenster zu, da ist es einfach vorbei." Prof. Ulrich Zimmermann, Psychiater*
Besonders erschreckend ist die Rate der männlichen Heranwachsenden, die Cannabis konsumieren. Elf Prozent der 12- bis 17-Jährigen haben bei einer Studie im Jahr 2019 angegeben, in den vergangenen zwölf Monaten Cannabis konsumiert zu haben. Insgesamt hat das Kiffen in den letzten beiden Jahrzehnten signifikant zugenommen. 2001 haben 16,1 Prozent der 18- bis 25-Jährigen zumindest einmal im Jahr gekifft, 2019 waren es 29 Prozent. Das ist fast jeder Dritte.**
Alles andere als entspannt
Neben den gesundheitlichen Schäden, die sich die oft jungen Konsumenten selbst zufügen, beobachten Suchtmediziner auch ein weiteres, durchaus bedenkliches Phänomen im Zusammenhang von Cannabis für die Allgemeinheit. "Was wir sehr häufig sehen, jeden zweiten, dritten Tag wird jemand eingeliefert mit Handschellen, weil er bedrohlich aggressiv wurde, rumgepöbelt oder sich massiv selbst gefährdend verhalten hat", berichtet Prof. Ulrich Zimmermann.
Immer wieder kommt es sogar zu schweren Gewalttaten im Cannabis-Rausch. In Berlin wird aktuell um einen rot-grün-gelben Koalitionsvertrag gerungen und die Legalisierung von Cannabis steht zumindest bei den Grünen und der FDP auf der politischen Agenda. Geht es nach den beiden Parteien, sollen Erwachsene die Droge künftig in Apotheken kaufen können. Liberalisierungs-Befürworter führen immer wieder an, dass damit der Schwarzmarkt ausgetrocknet und die Kiffer vor manipuliertem und noch gefährlicherem Stoff geschützt würden. Die Polizei ist im Interview mit Kontrovers skeptisch:
"Ich geh mal davon aus, dass die Zahlen von denen, die konsumieren, steigen werden, weil es eine Art von Pull-Effekt gibt. Wenn was nicht mehr verboten ist, probiert man es mal aus. Das zweite ist, dass sich nach unserer Ansicht der Schwarzmarkt verfestigen wird. Denn gerade die, die sehr stark konsumieren, sind Kinder und Jugendliche. Das heißt, unsere Klienten auf dem Schwarzmarkt werden gerade diese Klientel ansprechen." Jörg Beyser, Leiter Rauschgiftbekämpfung, LKA
Vorbild Niederlande?
Die Niederlande haben bereits in den 1970er-Jahren einen liberalen Kurs in Bezug auf Cannabis eingeschlagen, die Coffeeshops, wo unter anderem auch Touristen geringe Mengen Marihuana straffrei kaufen können, gehören zur holländischen Folklore. Die Zahl der Konsumenten ist zwar seitdem nicht gestiegen - ein Fakt, der von Liberalisierungs-Befürwortern oft herangezogen wird. Richtig ist aber auch, dass die Zahlen stagnieren, und zwar im EU-Vergleich auf überdurchschnittlich hohem Niveau.
Transparenzhinweis:
*Am 27.10.2021 um 18 Uhr wurde der Zitatgeber nachgetragen, da die Aussage sonst fälschlicherweise einer anderen Person zugeordnet werden könnte.
**In einer früheren Version hieß es "2019 waren es 24 Prozent. Das ist fast jeder vierte." Am 27.10.2021 um 18 Uhr haben wir die Prozentzahl der betroffenen Jugendlichen auf 29 Prozent korrigiert. Das entspricht fast einem Drittel der 18- bis 25-Jährigen.
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