Personenschützer, Panzertüren, ein Panikraum in der Redaktion. Hochsicherheits-Journalismus in terroristischen Zeiten. Journalismus, der ein Vermögen kostet: "Welche Zeitung, fragt der ehemalige Chefredakteur Philippe Val, welche Zeitung schafft es, so hohe Ausgaben für die Sicherheit zu schultern, welche?“ Er antwortet selbst: "keine."
Sicherheitsmaßnahmen verschlingen Millionen
Ein- bis eineinhalb Millionen Euro verschlingen die Maßnahmen pro Jahr – das entspricht etwa 800.000 verkauften Heften. Wirtschaftliches Haushalten wird damit schwierig. Zuletzt lagen die wöchentlichen Verkaufszahlen bei etwa 100.000 Exemplaren – nach den Anschlägen waren es fast viermal so viele. Im Leitartikel der jüngsten Ausgabe, die mit "drei Jahre in einer Konservendose" überschrieben ist, fragt Chef-Redakteur Riss:
"Ist das normal in einer Demokratie, dass der Erlös für jedes zweite verkaufte Heft ausschließlich für Sicherheitsvorkehrungen hergenommen werden muss?" Charlie Hebdo Chef-Redakteur Riss
Die Antwort braucht er gar nicht zu geben. Auch der ehemalige Chef-Redakteur Val macht sich Sorgen um den Zustand der Demokratie in Frankreich.
"Wenn es Charlie Hebdo nicht mehr geben sollte, ist die Demokratie am Ende. Denn was bedeutet das? Es bedeutet, dass man die islamistischen Terroristen im Irak, in Syrien besiegt hat, aber in Frankreich hätten sie gewonnen." ehemaliger Chef-Redakteur Philippe Val
Leben von Rücklagen
So weit ist es noch nicht – noch leben die Charlie-Macher von ca. 10 Millionen Euro Rücklagen, die sie gebildet haben, als die Solidarität der Straße die Kassen flutete. Dennoch: viele der Solidaritäts-Abos sind mittlerweile gekündigt – aus 250.000 im Februar 2015 wurden 50.000. Die deutsche Ausgabe wurde eingestellt.
Immer wieder Kontroversen
Zuletzt war "Charlie Hebdo" Mittelpunkt einer Kontroverse: es ging – mal wieder – um seinen Umgang mit der Religion im Allgemeinen und dem Islam im Besonderen. Der bekannte Islamwissenschaftler Tariq Ramadan, von einigen Frauen des sexuellen Missbrauchs beschuldigt, zierte die Titelseite: sein überdimensioniert dargestellter Penis wurde als sechste Säule des Islam bezeichnet. Typischer Charlie-Humor. Der seine Wirkung nicht verfehlte: im Internet hagelte es Proteste, bis zu Mordaufrufen. Philippe Val nennt die Reaktionen symptomatisch: sobald es um Karikaturen im islamischen Kontext gehe, drehten bestimmte Kreise in Frankreich durch.
"Es ging in dieser Affäre um die Missbrauchsvorwürfe gegen Tariq Ramadan, das haben wir thematisiert, es ging nicht um Allah, nicht um Jesus, um keine einzige geistliche Persönlichkeit, wenn das allerdings dazu führt, dass das Internet Feuer fängt, weil man eine zivile Person karikiert, wo soll das enden?" ehemaliger Chef-Redakteur Philippe Val
Journalismus mit Personenschützern
Auch hier gibt Val keine Antwort und lässt das Schlimmste vermuten: um die Presse- und die Meinungsfreiheit ist es schlecht bestellt, im Land der Erklärung der Menschenrechte. Val fordert mehr Engagement von der Politik, mehr Polizeischutz meint er damit nicht.
"Wir leben mit den Personenschützern 365 Tage im Jahr." ehemaliger Chef-Redakteur Philippe Val
Wenn man das Leben nennen möchte. Die Realität ist bitter: Satire, Karikatur, schlicht Meinungs-Freiheit bedeutet in Frankreich immer noch: Lebensgefahr.