In Frankreich müssen sich Angestellte in Krankenhäusern und Pflegeheimen bis Mitte September gegen Corona impfen lassen, sonst dürfen sie nicht mehr arbeiten und werden nicht mehr bezahlt. Das hat die französische Regierung angekündigt. Griechenland hat Ähnliches vor. Zudem sollen dort nur noch Geimpfte in Clubs, Restaurants oder Konzertsäle dürfen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Dienstag ausgeschlossen, dass es auch in Deutschland so etwas geben wird. Trotzdem ist die Diskussion darüber längst nicht verstummt. Auch weil die Delta-Variante die Corona-Zahlen steigen lässt.
Sollte in Deutschland eine Impfflicht gelten? Ein Pro & Contra.
Pro
Von Julio Segador, Redakteur Politik und Hintergrund
Das menschliche Gedächtnis ist mitunter ziemlich vergesslich. Von daher lohnt der Blick zurück ins vergangene Jahrhundert. Infektionskrankheiten wie Kinderlähmung, Pocken oder auch Tetanus wurden so stark eingedämmt, dass sie über Jahre sogar praktisch verschwunden waren. Wie das gelungen ist? Durch Impfungen. Bei den Pocken sogar durch eine Impfpflicht, die erst 1976 abgeschafft wurde.
Warum Söder vollkommen Recht hat
Die Impfung – und man kann das gar nicht oft genug sagen – ist bei vielen schweren Krankheiten die erfolgreichste Behandlungsmethode.
Nach allem, was bisher bekannt ist, gilt das auch für Covid-19. Und Bayerns Regierungschef Markus Söder hat vollkommen Recht: Es ist erste Bürgerpflicht, sich impfen zu lassen. Das gilt vor allem für jene, die tagtäglich mit den Schwächsten unserer Gesellschaft befasst sind. Pflegekräfte, deren Patienten eine nur geringe Abwehrkraft gegen das Coronavirus aufbieten können. Lehrerinnen und Lehrer, die Kinder unterrichten, die sich aufgrund des Alters gar nicht erst mit einer Impfung gegen das Virus wappnen können. Es sollte für diese Berufszweige selbstverständlich sein - und zwar aus ethischen Gründen – sich impfen zu lassen. Da es aber offenkundig nicht selbstverständlich ist, muss hier möglichst schnell eine Impfpflicht greifen.
- Zum Artikel "Debatte über Corona-Impfpflicht für Lehrer und Kitapersonal"
Frankreich und Griechenland geben Takt vor
Impfverweigerern ist es erlaubt, ihr eigenes Leben zu riskieren. Aber nicht das anderer Menschen. Frankreich und Griechenland geben den Takt vor. Deutschland sollte hier möglichst schnell nachziehen. Das Infektionsschutzgesetz sieht eine solche Impfpflicht bei der Ausbreitung von Erkrankungen vor. Die Pandemie, der wir inzwischen seit eineinhalb Jahren mit dem Rücken zur Wand gegenüberstehen, rechtfertigt diesen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Bürger.
Contra
Von Jeanne Turczynski, Redakteurin Bildung und Wissen
Zwang ist immer der schlechteste Weg. Denn wer bei einer Diskussion am Ende sagt: "Du musst! Keine Widerrede! Basta!", dem sind wohl die Argumente ausgegangen. Psychologisch spricht daher vieles gegen eine Impfpflicht. Punkt eins: Studien zeigen: Zwingt man Menschen zu einer Impfung, dann nehmen sie zumindest teilweise andere nicht verpflichtende Impfungen, die aber ebenso wichtig sind, nicht mehr ernst. Konkret: Wir haben in Deutschland eine Masern-Impfpflicht – aber wollen wir deswegen, dass man sich nicht mehr gegen Tetanus impfen lässt? Wohl kaum! Punkt zwei: Eine Covid-19-Impfpflicht lässt sich nur schwer durchsetzen.
Impfflicht führt zu sozialer Ungerechtigkeit
Bei der Masernimpfung zeigt sich: Wer es sich leisten kann, zahlt das Bußgeld, denn Kinder von der Schule ausschließen, das geht wegen der Schulpflicht schlicht nicht. Die Impfpflicht führt also mindestens zu sozialer Ungerechtigkeit. Ähnlich wäre es auch bei Corona. Und eine berufsspezifische Impfpflicht, etwa für Gesundheitspersonal, wie in Frankreich, ist schlicht nicht durchsetzbar. Wer wollte im Angesicht des Pflegemangels etwa mit Berufsverbot drohen? Undenkbar!
Bringt Impfstoffe dahin, wo Menschen sind
Punkt Nummer drei: Eine Impfpflicht würde vor allem Trotzreaktionen auslösen. Bei all denen, die ohnehin am Sinn zweifeln. Nach dem Motto: "Seht her, andere Maßnahmen sind ihnen nicht eingefallen." Die aber gibt es für eine Corona-Impfung zuhauf: Lasst uns das Impfen anders organisieren. Bringt Impfstoffe dahin, wo Menschen sind: vor Supermärkte, Clubs, Kinos oder Tankstellen. Ohne Termin, ohne viel Warten. Aber mit vielen guten Argumenten. Impfen schützt – und zwar nicht nur mich selbst, sondern auch alle anderen. So appellierte heute die Bundeskanzlerin und damit hat sie recht. Erst wenn das Nicht- Impfen ebenso geächtet ist, wie noch vor einigen Monaten das Impfdrängeln, dann sind wir auf dem richtigen Weg.
- Interaktive Karte: Hier stehen die Impfzentren in Bayern
Grafik: So geht es mit den Corona-Impfungen in Deutschland voran
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