Symbolbild: Verschleierte Frauen
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Hintergrund: Die Rolle der Frauen beim IS

Hintergrund: Die Rolle der Frauen beim IS

Wie unschuldig oder wie schuldig sind Frauen, die von islamistischen Terrorgruppen wie dem IS nach Deutschland zurückkehren? Eine schwierige Frage, die deutsche Sicherheitsbehörden und Gerichte zunehmend beschäftigt.

Eine junge Deutsche, ausgereist zu einer Al-Kaida-nahen Terrorgruppe nach Syrien, heiratet einen Kämpfer. Der verliert nach kurzer Zeit die Lust an ihr und lässt sich scheiden. Ein nach Bayern zurückgekehrter Ex-Terrorhelfer, den der Bayerische Rundfunk trifft, hat das hautnah mitbekommen während seiner Zeit in Syrien. Er hätte der Frau gerne geholfen. "Sie hat mir leidgetan", sagt er. "Sie kam sich vor, als würde man sie wie eine Prostituierte weiterreichen."

Politikwissenschaftler: Frauen waren integraler Bestandteil des IS

Frauen bei islamistischen Terrorgruppen in Syrien und dem Irak sind Opfer. Aber sind sie auch Täterinnen? Der Fokus der Öffentlichkeit liegt aktuell vor allem auf europäischen Frauen, die Zeit beim sogenannten Islamischen Staat verbracht haben und nun nach der militärischen Niederlage des IS mit ihren Kindern in kurdischen Gefangenenlagern in Nordsyrien festsitzen.

Unter anderem in Deutschland läuft die Debatte, ob und wie schnell die Bundesregierung diese Frauen zurückholen soll. Seit einiger Zeit geben diese ehemaligen IS-Frauen deutschen Medien Interviews. Dann erzählen sie regelmäßig, sie hätten nicht mehr gemacht, als sich um Kinder und den Haushalt zu kümmern. Da ist der Freiburger Politikwissenschaftler Heiner Vogel skeptisch. "Die weit verbreitete Vorstellung, dass Frauen beim IS nur zu Hause herumsaßen und nichts von den Gräueltaten des IS mitbekamen, ist absurd", sagt er dem Bayerischen Rundfunk.

Vogel verfolgt seit Jahren die Entwicklung von Frauen und Männern aus Deutschland, die sich islamistischen Terrorgruppen anschlossen. Von seinen Recherchen berichtet er regelmäßig in seinem Blog "Erasmus Monitor". Frauen waren dem Politikwissenschaftler zufolge "ein integraler Bestandteil des Machtapparats der Terrororganisation, ob in der Erziehung ihrer Kinder, der Unterstützung ihrer Ehemänner, im Spitzelsystem des IS, in der Propagandaarbeit oder auch in offiziellen Funktionen der Sittenpolizei".

Ähnlich denkt Ahmad Mansour, ein Psychologe, der sich seit Jahren um radikalisierte Menschen aus dem Salafisten-Milieu kümmert. Er ist sich sicher, dass die betroffenen Frauen genau wussten, was sie taten.

"Es ist interessant, dass die meisten Frauen nicht zum Kochen hingegangen sind. Sie sind nicht ihren Männern gefolgt, ohne sich intensiv mit der Ideologie auseinanderzusetzen - und diese Frauen sind direkt oder indirekt Mittäterinnen gewesen." Ahmad Mansour, Psychologe

Terrorhelferin aus Bayern vor Gericht

Eine Frau aus Bayern war eine der ersten Deutschen, die sich während des Syrien-Konflikts wegen ihrer Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vor einem deutschen Gericht verantworten musste. Die Frau war mit ihren beiden minderjährigen Töchtern Anfang 2014 zu einer Al-Kaida-nahen Terrorgruppe gereist und lernte dort den Umgang an der Schusswaffe. Im Mai 2014 kehrte sie nach Deutschland zurück, sie wurde festgenommen. Das Landgericht München verurteilte die Frau im Februar 2015 wegen Entziehung Minderjähriger zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Im Oktober 2015 bestätigte der Bundesgerichtshof das Urteil.

Während ihrer Zeit in Untersuchungshaft seien von selbsternannten salafistischen Gefangenenhelfern Briefe sowie Geldspenden an die Gefangene übermittelt worden, heißt es aus Sicherheitskreisen: "Auch gab es Hinweise, dass die Unterstützung für diese Gefangene in sozialen Netzwerken publiziert bzw. propagiert wurde."

Schwesternnetzwerke rekrutierten für den IS

Frauen hätten in der Salafisten-Szene und damit logischerweise auch beim Islamischen Staat schon immer eine wichtige Rolle gespielt, sagen Experten. Nur sei diese Rolle von deutschen Behörden lange ignoriert worden, so Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat. Sie tritt dafür ein, dass Ex-Dschihadistinnen in Gefangenschaft gemeinsam mit ihren Kindern nach Deutschland zurückgeholt werden.

Dantschke verweist darauf, dass die Geschlechtertrennung in der Salafisten-Szene sehr rigide sei:

"Frauen werden gebraucht, um Frauen zu rekrutieren. Als Mann kannst du nicht einfach so Frauen ansprechen. Frauen und Männer sollen außerhalb der Ehe keinen Kontakt haben." Claudia Dantschke, Beratungsstelle Hayat

Deshalb habe es auch schon immer Schwesternnetzwerke gegeben – Frauen, die andere Frauen dazu gebracht hätten, als Zweit- oder Drittfrau in den Dschihad nach Syrien zu ziehen.

Dantschke denkt etwa an eine deutschsprachige Dschihadistin, die aus dem Kriegsgebiet Kochrezepte garniert mit politischen Botschaften via Internet-Blog verbreitete. Als die Russen sich in den Syrien-Konflikt einmischten, empfahl die Dschihadistin "Syrische Brownie während der russischen Invasion".

Eine Münchnerin als IS-Propagandistin

Die im Alter von 16 Jahren zum IS ausgereiste Münchnerin Elif Ö. landete im Bayerischen Verfassungsschutzbericht 2015. Das Landesamt verwies auf die "Facebook-Aktivitäten" der Münchnerin: "Seit ihrer Ausreise nutzt der IS sie als Aushängeschild und Werbeträgerin, um weitere junge Frauen für eine Ausreise begeistern zu können. In sozialen Netzwerken, wo Accounts auf ihren Namen angemeldet sind, schwärmte die Teenagerin vom Leben in der Gemeinschaft des IS und versucht Gleichgesinnte von den Vorzügen des Kalifats zu überzeugen."

"Die meisten der Propagandavideos wurden von Frauen mitgeschnitten", sagt der Psychologe Ahmad Mansour. Und er erhebt weitere schwere Vorwürfe: Dschihadistinnen beim IS hätten sich an der Versklavung von Jesidinnen und Christinnen beteiligt - Frauen, die unter Männern herumgereicht und vergewaltigt wurden.

IS-Propaganda mit Waffe in der Hand

Anfang 2018 veröffentlichte der IS ein Propaganda-Video. Zu sehen waren neben kämpfenden Männern auch vollverschleierte Frauen mit Waffe in der Hand – bereit, für die Terrormiliz in den Tod zu gehen.

Auch die 27-jährige Jennifer W., die sich nun vor dem Oberlandesgericht München verantworten muss, soll bewaffnet gewesen sein – als Sittenpolizistin des IS, die darüber wachte, dass andere Frauen die vom IS aufgestellten Verhaltens- und Bekleidungsvorschriften einhielten. Zur Einschüchterung führte sie laut Bundesanwaltschaft "ein Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow, eine Pistole und eine mit Sprengstoff präparierte Weste mit". Ob an diesem Vorwurf etwas dran ist, wird der Prozess zeigen. Verteidiger Ali Aydin geht nach jetzigem Stand nicht davon aus, dass seine Mandantin wirklich für die Sittenpolizei tätig war. Er habe dafür keine Anhaltspunkte.

Nach ihrer Rückkehr soll die Angeklagte weiterhin in der Dschihadisten-Szene aktiv gewesen sein. Nach Erkenntnissen der Ermittler sammelte sie als Administratorin der inzwischen geschlossenen Internetgruppe "Free our sisters" Spenden für Islamisten in Haft.

Warum es schwierig ist, Rückkehrerinnen vom IS anzuklagen

Der Freiburger Politikwissenschaftler Heiner Vogel hält es für möglich, "dass es in den kommenden Monaten und Jahren zu ähnlichen Strafprozessen kommen könnte, auch wenn es für Ermittlungsbehörden schwierig ist, ausreichende Beweise zu sammeln".

Über viele Frauen, gegen die wegen Mitgliedschaft beim IS ermittelt wird, wissen deutsche Sicherheitsbehörden weitaus weniger als im Fall Jennifer W. So ist es auch schwieriger, sie überhaupt anzuklagen. Bisher landeten nur wenige Rückkehrerinnen von islamistischen Terrorgruppen in Deutschland vor Gericht. Ein Grund: Während Männern oft Fotos und Videos aus Syrien und dem Nordirak zum Verhängnis werden, sei dies bei vollverschleierten Frauen nicht der Fall, sagen Ermittler. Zudem: Für den Bundesgerichtshof ist das freiwillige Leben im IS-Kalifat nicht als Mitgliedschaft in der Terrorgruppe IS zu werten.

Strafverteidiger argumentieren häufig, dass Frauen im IS-Gebiet ohnehin keine Entscheidungsfreiheit hatten. Das Familienverständnis der Terrormiliz sei ein sehr patriarchalisches, sagte Strafverteidiger Martin Heising Anfang des Jahres in einem SWR-Interview.

Der Psychologe Ahmad Mansour fordert, dass deutsche Sicherheitsbehörden die Rolle der Frau beim IS kritisch hinterfragen. "Was ist das für eine Botschaft, die wir an die Dschihadisten senden, wenn diese Frauen zurückkommen und nicht mal angeklagt werden für ihre Rolle beim IS." Mansour spricht sich dafür aus, dass diese Frauen resozialisiert werden. Aber vorher, so der Psychologe, sollten sie eine gerechte Strafe erhalten.

Jesiden auf der Flucht vor dem IS. (Archivbild)
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