Fast überall entlang der Balkanroute sind Tote Alltag. Menschen, die erfrieren, die vor Erschöpfung zusammenbrechen, die Opfer von Gewaltverbrechen werden. Exakte Zahlen aber gibt es nicht, auch keine Stelle, die Informationen systematisch und fortlaufend zusammenträgt und gegenprüft und das, obwohl Staaten grundsätzlich verpflichtet sind, jeden Todesfall aufzuklären.
Doch entlang der Balkanroute wird die Aufklärung der Todesfälle nicht immer verfolgt. Das führt dazu, dass Angehörige von Menschen, die auf der Balkanroute sterben oder vermisst werden, keinerlei Auskunft über deren Schicksal erhalten.
Kein Kontrollmechanismus
Nicht nur auf der Balkanroute, auch auf anderen Fluchtrouten in der Welt ist nicht geregelt, was zu tun ist, wenn Menschen auf der Flucht sterben. Das Problem: Nicht in jedem Staat sind die Zuständigkeiten klar geregelt. Von außen gibt es zudem nirgends eine Art Kontrollmechanismus. So kann nicht überprüft werden, ob Staaten alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Verstorbenen zu identifizieren und die Angehörigen schnellstmöglich zu benachrichtigen.
Die UNO schaltet sich ein
Wie kann die Würde von Verstorbenen auf Fluchtrouten und ihren Angehörigen respektiert werden? Die internationale Staatengemeinschaft hat über diese Frage zwei Jahre verhandelt. Das Ergebnis: Das Dokument des UN-Migrationspaktes, das im Dezember 2018 verabschiedet wurde, nennt erstmals eine globale Zielvereinbarung. Ein Satz ist für betroffene Angehörige zentral: „Wir verpflichten uns […], die Toten oder Vermissten zu identifizieren und die Kommunikation mit den betroffenen Familien zu erleichtern.“
Kein Durchbruch
Die Zielvereinbarung im UN-Migrationspakt, betroffenen Angehörigen zu helfen, ist ein politisches Bekenntnis und ein Appell an die Staatengemeinschaft. Diese soll ab sofort für eine bessere Koordination bei der Identifizierung der Toten und der Benachrichtigung von Angehörigen sorgen. Allerdings: Wer ist dafür zuständig? Das regelt der UN-Pakt nicht. Und Angehörige haben nach wie vor keinen Rechtsanspruch auf staatliche Hilfestellung, etwa bei der Suche nach Verwandten auf der Balkanroute.
Warten in Deutschland
In Deutschland gibt es mehrere Flüchtlingsfamilien, die nahe Verwandte auf der Balkanroute vermissen. Doch meist haben sie seit 2015 keine Gewissheit über den Verbleib ihrer Liebsten. Wie viele Familien in der Bundesrepublik betroffen sind, genaue Zahlen dazu existieren nicht. In der deutschen Öffentlichkeit spielt das Thema ohnehin so gut wie keine Rolle. Die Bundesregierung hat zwar den UN-Migrationspakt angenommen. Dennoch: Zu der Frage, wie mit den Toten auf der Balkanroute und ihren Angehörigen in Deutschland umgegangen werden soll, halten sich die Regierungsfraktionen bis heute zurück. „Ich kenne im Moment keinen detaillierten Plan, sich diesem Thema zu widmen.“, sagt Frank Schwabe, Sprecher für Menschenrechte der SPD-Bundestagsfraktion, der ARD gegenüber.
Wichtige Anlaufstelle
Das Bundesinnenministerium überweist jährlich rund 11 Millionen Euro an den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes für weltweite Nachforschungen nach Vermissten seit dem 2. Weltkrieg und auch für die Aufklärungsarbeit bei vermissten Flüchtlingen und Migranten. 2015 und 2016 sind besonders die Anfragen von Flüchtlingsfamilien in Deutschland angestiegen. „Es gibt kein Lebenszeichen, was ist mit unseren Verwandten auf der Balkanroute passiert?“, schrieben oftmals verzweifelte Familien. Eine langjährige Mitarbeiterin des Suchdienstes sagt: „Die Erfolgschancen einer Suche sind allerdings sehr, sehr gering“. Das Problem: Der nicht-staatliche Suchdienst ist jedes Mal auf die Auskünfte der Rotkreuzgesellschaften entlang der Balkanroute angewiesen. Doch die wiederum benötigen Informationen von den örtlichen Behörden. Ein verlässlicher Informationsfluss, wie von der UNO gefordert, ist vielerorts jedoch nicht garantiert.
Wo politische Verantwortung fehlt, hilft die Zivilgesellschaft
Wenn Menschen auf der sogenannten Balkanroute sterben, helfen Nichtregierungsorganisationen, muslimische Gemeinden der Region und viele Bürgerinnen und Bürger, die nicht wegschauen wollen. Sei es in Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien, Serbien oder in Österreich. Zum Beispiel nach der Tragödie von Parndorf im August 2015. Im luftdichten Laderaum eines Kühllasters erstickten 71 Menschen qualvoll. Für die Angehörigen der Opfer begann damit ein Albtraum. Manche hatten mehrere Familienmitglieder verloren. Einer der den Angehörigen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder dem Iran half, war Mohammed Samir Safour aus Wien. Sein Fazit: Die Angehörigen hätten mehr Unterstützung gebraucht.