Wenige Tage nach dem überraschenden und blutigen Angriff der radikal-islamistischen Palästinenserorganisation Hamas ist der Nahost-Konflikt binnen kürzester Zeit neu entflammt. Schon jetzt gibt es tausende Tote und das könnte erst der Anfang sein. Israel hat 300.000 Reservisten mobilisiert - es ist die größte militärische Mobilmachung in der Geschichte des Landes. "Was die Hamas erleben wird, wird hart und fürchterlich sein. Wir sind erst am Anfang", kündigte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an. Ist mit der Eskalation dieses Konflikts auch ein Flächenbrand im Nahen Osten möglich?
Während Israel nach dem blutigen Hamas-Angriff offenbar eine Bodenoffensive vorbereitet und die komplette Abriegelung des Gazastreifens angeordnet hat, droht eine weitere Eskalation an der nördlichen Grenze zum Libanon. Mehrere Bewaffnete der radikal-islamistischen Hisbollah-Miliz waren aus dem Libanon auf israelisches Territorium eingedrungen.
Experte schätzt Gefahr einer zweiten Front als "sehr hoch"
Carlo Masala, Politikwissenschaftler an der Bundeswehr-Universität in München, schätzt das Risiko einer Ausweitung des Konflikts als "ziemlich hoch" ein. "Wenn man die Hisbollah, vor allem die Verlautbarungen, hört, dann ist es wohl so, dass die Hisbollah durchaus bereit ist, Israel aus dem Libanon unter Beschuss zu nehmen", sagte Masala in den ARD-Tagesthemen am Montagabend. Ob die Hisbollah allerdings auch in Israel einmarschieren würde, sei noch nicht abzusehen. "Aber die Gefahr einer zweiten Front für Israel, die ist real und die ist sehr hoch."
Dass allerdings der Iran, welcher die Hisbollah und die Hamas unterstützt, ebenfalls aktiv in den Vorbereitungen für den Angriff auf Israel eingebunden war, hält Masala für unwahrscheinlich. "Es gibt diese ganzen Gerüchte, dass der Iran aktiv in die Vorbereitungen dieser ganzen Operation durch die Hamas eingebunden war. Dafür muss man sagen, fehlen jegliche Indizien", so der Militär-Experte.
Nahost-Experte: "Hisbollah stärkste Widerstandskämpferin gegen Israel"
Nahost-Fachmann Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik teilt ebenfalls die Befürchtung, dass sich der Krieg in Israel zu einem größeren Konflikt ausweiten könnte: "Eigentlich hat die Hisbollah kein wirkliches Interesse, in diesen Krieg hineingezogen zu werden, weil sie große innenpolitische Probleme hat", sagte Lintl im BR24 Thema des Tages. Dennoch sei die Hisbollah als stärkste Widerstandskämpferin gegen Israel dazu gezwungen, auch symbolisch zumindest zu interagieren. "Was wir jetzt sehen, ist, dass scheinbar die Hisbollah trotzdem stärker gewillt ist, in diesen Konflikt zu involvieren.“
Fest steht schon jetzt nach Ansicht des Experten, dass dieser Krieg extrem blutig werden könne, mit vielen Toten auf beiden Seiten, verursacht durch Häuserkämpfe und Luftoffensiven. Bei der "Logik des Krieges" gehe es für Israel nach Einschätzung Lintls "vor allem darum, dass ein solcher Angriff, den es in diesem Ausmaß seit Staatsgründung 1948 noch nie gegeben hatte, nie wieder geschehen dürfe".
Selbst wenn es Israel gelingen sollte, die Herrschaft der Hamas weitestgehend zu brechen, stelle sich die Frage: Was soll dann geschehen? Will Israel den Gazastreifen wieder besetzen? Soll die palästinensische Autonomiebehörde installiert werden, die ohnehin schon sehr unbeliebt ist und dann noch unbeliebter wäre? "Also die Zukunft nach diesem Krieg ist sehr, sehr ungewiss und es gibt natürlich kein gutes Szenario", gibt der Nahost-Fachmann zu bedenken.
Weitere Front hätte für Israel "große Konsequenzen"
Kristof Kleemann, Büro-Leiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem, hält die Mobilmachung Israels mit 300.000 Reservisten für eine Abschreckungsmaßnahme. Es gehe darum, im Gazastreifen die militärische und logistische Infrastruktur der Hamas zu schwächen. "Da geht es vor allen Dingen um Abschreckung und es werden Truppen zusammengezogen. Da wird versucht, die Hisbollah davon abzuhalten, dort einzugreifen", sagte Kleemann in der Bayern 2-radioWelt.
Ein möglicher Zwei-Fronten-Krieg wäre für Israel laut Kleemann eine "neue Herausforderung". Die Hisbollah verfüge über ein "ganz anderes Waffenarsenal als die Hamas und auch über eine wirklich kampferprobte Truppe. Und wenn da eine neue Front aufgemacht werden würde, hätte das natürlich auch für Israel große Konsequenzen."
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