Ein Strommast ist auf einem Feld vom Morgennebel umgeben.
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Einsparziele in der Energiekrise: Reichen die Maßnahmen?

Die Internationale Energieagentur hat vorgerechnet: Die europäischen Staaten müssen Ernst machen mit dem Gassparen, sollen mindestens 9 bis 13 Prozent unter dem durchschnittlichen Vorjahresverbrauch bleiben. Wie gut ist Deutschland auf Kurs?

Insgesamt 20 Prozent weniger Gas – das ist das Einsparziel, das sich die deutsche Bundesregierung im Sommer vorgenommen hat. Wenn wir das schaffen, so heißt es, dann kommen wir ohne akute Engpässe, bei denen vorübergehend der Gashahn abgedreht wird, durch den Winter. Damit liegt sie noch über dem allgemeinen EU-Sparziel von 15 Prozent – und auch über den aktuellen Empfehlungen der Internationalen Energieagentur. Doch reichen die aktuellen Maßnahmen?

  • Zum Artikel: Bundesnetzagentur - Gasverbrauch steigt zu stark

Vorgaben für Büros, Behörden, Vermieter

Zwei Verordnungen hat die Bundesregierung auf den Weg gebracht, die helfen sollen, Gas zu sparen: eine für kurzfristige Maßnahmen, in Kraft seit 1. September. Und eine mit mittelfristigen Maßnahmen, die seit 1. Oktober gilt.

Zu den kurzfristigen Maßnahmen gehören: Neue Vorgaben fürs Heizen in Büros und öffentlichen Gebäuden: die Höchsttemperatur darf nur noch bei 19 Grad liegen, Flure und Treppenhäuser sollen gar nicht beheizt werden und Läden sollen ihre Türen nicht offen stehen lassen.

Grundsätzlich bringe es sehr viel, die Temperatur abzusenken, sagt Corinna Fischer vom Öko-Institut. Aber weil Bürogebäude nur einen Bruchteil der Gebäude in Deutschland ausmachen, ist der Effekt für Gesamtdeutschland überschaubar: "Da landet man bei der Raumwärme bei einem halben Prozent."

Kühlere Büros nur ein erster Schritt

Und die Zahlen bleiben auch klein, wenn man die weiteren Maßnahmen der Energiesparverordnungen dazu zählt: Beim Warmwasser soll gespart werden in Büros, Läden, öffentlichen Gebäuden. Denkmäler dürfen nachts nicht mehr angestrahlt werden und für Leuchtwerbung heißt es nach 22 Uhr "Licht aus". Dazu kommen noch Vorgaben für Besitzer von Mietshäusern, sie müssen die Heizungsanlagen technisch optimieren, was auf mittelfristiger Sicht einiges bringt, aber nicht von heute auf morgen umzusetzen ist. Und Unternehmen haben die Pflicht, sich von einem Energieberater Spar-Empfehlungen zu holen.

Zwei Prozent Einsparung durch Energiesparverordnungen

Was das alles bringt – genau ausrechnen kann das niemand, dazu fehlen die Daten. Über Gebäudeflächen in Büros, die Anzahl der Leuchtwerbetafeln. Aber gemessen am Einsparziel 20 Prozent, schätzt das Bundeswirtschaftsministerium, bringe das rund zwei Prozentpunkte, also nur einen kleinen Anteil. Auch Corinna Fischer vom Öko-Institut hält diese Abschätzung für realistisch.

Bis zu fünf Prozent Einsparung bei der Stromerzeugung

Ein größerer Beitrag beim Gassparen soll aus der Stromproduktion kommen: mehr Kohlekraftwerke ans Netz, im Zweifel auch noch mal ein paar Monate Atomstrom. Drei bis fünf Prozentpunkte vom Sparziel will die Bundesregierung damit erreichen, so das Bundeswirtschaftsministerium. Allerdings verlaufe der Prozess sehr schleppend, sagt Andreas Löschel, Umweltökonom an der Ruhr-Universität Bochum. "Die Steinkohlekraftwerke könnten schon in den Markt zurück, aber die sind sehr zögerlich, insbesondere, weil sie bisher mit recht starken Einschränkungen operiert haben."

Grafik: Interaktiver Energiekosten-Rechner

Weil sie nur bis zum nächsten Jahr an den Markt zurückdürfen, scheuten Energieversorger den Aufwand. Eigentlich gäbe es große Reserven an Kohlekraftwerken in Deutschland, um entsprechend Gas einzusparen. Sie müssten nur genutzt werden.

Größtes Sparpotential: Industrie und Privathaushalte

Doch nimmt man das Sparpotential der Verordnungen und der gesetzlichen Vorgaben für die Bereitstellung von Ersatzkraftwerken zusammen, fehlt immer noch mehr als die Hälfte für das Einsparziel 20 Prozent. Einen großen Beitrag erwartet die Bundesregierung aber von privaten Haushalten und Industrie: fünf bis zehn Prozentpunkte, wobei eine Sprecherin des Ministeriums auf Nachfrage ergänzt: eher zehn.

Industrie verbraucht zuletzt 14 Prozent weniger Gas

Besonders viel Gas spart zur Zeit die Industrie ein, sagt Umweltökonom Andreas Löschel: "Bei den Unternehmen passiert sehr viel augenblicklich gesehen. Da sind die Verbräuche stark gesunken." Im September lag der Verbrauch um rund 14 Prozent unter dem Mittelwert der letzten Jahre, im Juli und August waren es sogar mehr als 20 Prozent weniger.

Zum Teil weil Unternehmen Gas durch andere Brennstoffe ersetzt haben auch effizienter werden. Aber zum Teil auch weil sie ihre Maschine weniger laufen lassen und weniger produzieren. Das lässt sich natürlich nicht lange durchhalten. Und bringt für einzelne Unternehmen Probleme. Doch grundsätzlich ist die Industrie der Bereich, der am schnellsten aufs Gassparen umgeschwenkt ist.

Wer den Preis sieht, spart

Das ist einfach zu erklären: "Die sehen die Preise", sagt Löschel, "die verstehen, dass die Preise in der Zukunft hoch bleiben werden und machen entsprechende Maßnahmen. Bei den Haushalten ist es anders. Viele der Haushalte, die haben die Preise noch nicht wahrgenommen in der Dringlichkeit".

Sparen im Privathaushalt – schwer kalkulierbar

Mit den ersten kalten Tagen im September ist der Gasverbrauch der Privathaushalte drastisch in die Höhe geschnellt – und liegt deutlich über dem Durchschnitt der Früh-Herbstwochen aus den Vorjahren.

Dabei wäre mit ähnlichen Maßnahmen wie in öffentlichen Gebäuden und Büros viel zu holen, schätzt Corinna Fischer vom Öko-Institut: Vier Prozentpunkte Einsparung würde das bringen, ergibt ihre Abschätzung aufgrund der verfügbaren Zahlen. Die konkreten Schritte dafür: Raumtemperatur um ein Grad senken, nur noch halb so viel Warmwasser verbrauchen, also: keine Vollbäder, kurz oder sogar kalt duschen, und Geschirrspülmaschine statt Handspülen. In allen Haushalten in Deutschland.

Wenn sich dann noch viele dazu entschließen, die zweite Kühltruhe im Keller abschalten, den Fernseher nicht im Hintergrund laufen lassen oder nachts den WLAN-Router abschalten, dann hilft das auch. Was das in der gesamtdeutschen Sparrechnung bedeutet, lässt sich aber kaum abschätzen – gesichert sind da Einsparziele also nicht.

Schnelle Rückmeldung zum Verbrauch hilft beim Sparen

Wichtig für das alles wäre: mehr Information. Privathaushalte bräuchten kurzfristige Rückmeldungen, nicht erst bei der Jahresabrechnung, meint Andreas Löschel: "Was habe ich im letzten Monat verbraucht? Im Vergleich zum letzten Jahr, was bedeutet das auf der Kostenseite? Habe ich tatsächlich schon was gespart? Wir wissen, dass solche Rückmeldungen in Echtzeit helfen beim Einsparen, dass man große Effekte erzielen kann, wenn man solche Feedbacks gibt.“ Denn dann lenken die Preise das Einsparen. Wichtig dann aber auch: die hohen Kosten sozial abzufedern.

Einsparziel greifbar, aber nicht gesichert

Unterm Strich bleibt bei dem, was das Wirtschaftsministerium als realistische Einsparungen sieht, eine Lücke:

  • Zwei Prozentpunkte durch die Energiesparverordnungen
  • Bis zu fünf Prozentpunkte in der Stromproduktion
  • Bis zu zehn Prozentpunkte bei Haushalten und Industrie

Macht 17 Prozent. – aber eigentlich liegt das Ziel bekanntlich bei 20 Prozent Gas einsparen.

Das Ministerium sagt: Ja, deswegen appelliere man ja weiter an Sparsamkeit. Das Einsparziel neun bis dreizehn Prozent, das die IEA ausgibt, wäre immerhin erreichbar mit diesem Weg.

Grundsätzlich halten sowohl Corinna Fischer als auch Andreas Löschel es für machbar, die Sparziele zu schaffen – wenn wir keine Sparoption auslassen: "Also ich bin relativ optimistisch, dass wir, was jetzt die physischen Knappheiten angeht, mit einem blauen Auge durch den Winter kommen", sagt Löschel. "Aber ökonomisch, da wird es ganz schwer werden."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.