Die Ampel hat sich bemüht, aber trotzdem das Klassenziel verfehlt: So lässt sich die Einschätzung des Expertenrats für Klimafragen zusammenfassen. Mit dem Klimaschutzprogramm und seinen rund 130 Maßnahmen vom Deutschlandticket bis zum Ausbau der Erneuerbaren hat die Bundesregierung ein Paket vorgelegt, das den Ausstoß von Treibhausgasen durchaus stark verringern wird, sagen die Fachleute. Aber es ist nicht genug, um das Einsparungsziel bis 2030 zu erreichen und um bis 2045 klimaneutral zu sein.
Bundesregierung muss mehr CO2 einsparen
Laut Klimaschutzgesetz müsste der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken. "Die Lücke ist kleiner geworden, aber es bleibt eine Lücke", sagt Brigitte Knopf, Vizevorsitzende des Expertenrats. Zu Beginn der Legislaturperiode lag die Lücke bei 1.100 Megatonnen klimaschädlicher Gase. Aktuell rechnet Wirtschaftsminister Robert Habeck noch mit einer Lücke von 200 Megatonnen bis 2030 und sieht das als großen Fortschritt. "Die Klimaschutzlücke, die die Vorgängerregierung hinterlassen hat, wird um bis zu etwa 80 Prozent geschlossen", sagt Habeck.
Berechnungen der Regierung zu optimistisch
Nichtsdestotrotz müsse jetzt überlegt werden, wo auch noch der Rest eingespart werden könne, appelliert die Klimaforscherin und Physikerin Brigitte Knopf. Und mehr noch: Ob wirklich nur 200 Megatonnen zu viel übrigbleiben, bewerten die Experten mit einem Fragezeichen. Bei der Berechnung, wie sehr die Maßnahmen CO2 einsparen, bescheinigen die Experten der Bundesregierung ein gewisses Maß an Optimismus. Der Betrag, den die Ampel an Einsparung annimmt und der Betrag, der in der Realität wirklich eingespart wird, könnte sich deutlich unterscheiden. "Die erwartete Gesamtminderung wird daher vermutlich überschätzt", sagt der Expertenratsvorsitzende und Physiker Hans-Martin Henning.
Sorgenkinder bleiben weiterhin der Gebäudebereich und der Verkehr. Besonders der Verkehr verfehlt die Klimaziele weiterhin krachend. Ein schlechtes Zeugnis für Verkehrsminister Volker Wissing. So beträgt die Lücke dort bis 2030 117 bis 191 Megatonnen CO2.
Im Video: Der Vorsitzende des Klimarats, Hans-Martin Henning, im BR24-Interview
Der Vorsitzende des Klimarats, Hans-Martin Henning, erklärt im BR24-Interview, was das Gremium an der Politik der Bundesregierung bemängelt.
Verkehr und Gebäude reißen Klimaziele
Während die Experten Verkehrsminister Wissing im vergangenen Jahr quasi noch Arbeitsverweigerung bescheinigt haben wegen seines schmalen Klimaschutzsofortprogramms, bewerten sie das aktuell von ihm vorgelegte Maßnahmenkonzept als deutlich umfangreicher. Was dort als Minderung angesetzt wird, sei durchaus realistisch. Wissing führt unter anderem das Deutschlandticket ins Feld und hofft, dass durch mehr Homeoffice weniger Berufsverkehr stattfindet. Allerdings ist das weiterhin deutlich zu wenig, um die Ziele in den nächsten Jahren zu erreichen.
Heizungsgesetz spart nicht genügend CO2 ein
Auch im Gebäudebereich werden die Ziele verfehlt, mit einer Lücke von 35 Megatonnen. Die könnte noch deutlich größer werden, befürchten die Klimaexperten. Denn für die schlechte Klimabilanz bei Gebäuden sind vor allem die Heizungen verantwortlich. Das aktuelle Gutachten rechnet noch mit den sehr harten Vorgaben aus den ursprünglichen Plänen fürs Heizungsgesetz. Da die Ampel das deutlich aufgeweicht hat, wird der Gebäudebereich die Klimaziele sehr viel stärker reißen als bisher prognostiziert, so die Experten.
Im Video: Schlechte Noten für die Klimapolitik der Ampel-Koalition
Bis 2030 will die Bundesregierung den CO2-Ausstoss um 65 Prozent senken - der zuständige, unabhängige Expertenrat ist skeptisch, ob das gelingt.
Bundesregierung will Klimaschutzgesetz ändern
Der Expertenrat für Klimafragen ist ein unabhängiges Gremium aus Wirtschafts- und Naturwissenschaftlern, das für die Bundesregierung einschätzt, inwieweit der Entwurf zum Klimaschutzprogramm 2023 die Sektorziele erfüllt. Grundlage für ihre Arbeit ist das Klimaschutzgesetz, das die Vorgängerregierung 2019 beschlossen hat und das verbindliche Vorgaben macht, wie viel CO2 pro Jahr in den verschiedenen Sektoren, wie Industrie, Gebäude, Landwirtschaft, eingespart werden muss.
Vor kurzem hat die Bundesregierung beschlossen, das Klimaschutzgesetz zu ändern. Statt wie jetzt jedes Jahr zu schauen, welcher Sektor sein Ziel verfehlt hat, soll der jährliche Gesamtausstoß betrachtet werden. Wenn beispielsweise der Verkehr zu viel ausstößt, kann das mit anderen Bereichen, wie beispielsweise der Energieerzeugung, verrechnet werden. Das nutzt Verkehrsminister Wissing. Die FDP plädiert für die Änderung, weil im Verkehr der Umstieg auf klimafreundliche Antriebe Zeit brauche.
Kritik von Umweltverbänden
Umweltverbände hingegen kritisieren die angedachten Änderungen. Sie fürchten, dass so nicht mehr genügend Druck entsteht, um Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Mit Blick auf die heutige Stellungnahme des Expertenrats werfen die Verbände der Ampel vor, nicht genug für den Klimaschutz zu tun. BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock sagte, es klaffe in der deutschen Klimapolitik noch eine gewaltige Lücke zwischen Ziel und Wirklichkeit.
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