In Unterlüß in Niedersachsen haben am 12. Februar 2024 rund vierhundert Landwirte demonstriert, ähnlich wie an vielen Orten in diesen Wochen. Sie wandten sich vor allem gegen Kürzungen beim Agrardiesel und gegen die Politik der Bundesregierung. Sie waren deshalb an diesem Tag an diesem Ort, weil auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in Unterlüß waren – zum ersten Spatenstich für eine neue Munitionsfabrik des Rüstungskonzerns Rheinmetall.
Auch Friedensaktivisten wollten sich in Unterlüß einfinden, für eine Mahnwache mit etwa zehn Personen. Und ein Demonstrant war dort, der sich für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzte. Zeitgleich war ein Kamerateam des ZDF ebenfalls in Unterlüß.
Videoausschnitt zu Demo bei Rheinmetall verbreitet falsche Behauptungen
Diese Gleichzeitigkeit ist Anlass für Desinformation, der gezielten Verbreitung von falschen Informationen. Denn ein Videoausschnitt von diesem 12. Februar verbreitet sich im Internet und rückt die tatsächlichen Ereignisse in ein falsches Licht.
Das Video kursiert auf verschiedenen Plattformen, wo es teils mehrere Hunderttausend Mal gesehen wurde, und erreichte den #Faktenfuchs auch über die Nachricht eines Hörers, dem es auf Whatsapp begegnete. Zu den Bildern heißt es zum Beispiel fälschlicherweise, sie seien der "Video-Beweis" dafür, dass das ZDF den Bauernprotest unterwandere.
Das Video der Szenerie verbreitet sich in voller Länge, aber auch geschnitten und aufbereitet von weiteren Verbreitern. Auf den Videobildern ist der Bauernprotest vor dem Haupttor von Rheinmetall in Unterlüß zu sehen, das bestätigte ein Sprecher der Polizei Celle dem #Faktenfuchs. Die Bauern hatten ihren Protest angemeldet, da sie anlässlich des Besuchs von Scholz für ihre aktuellen Forderungen eintreten wollten.
Einzelne Person stellt sich zu Landwirte-Demo
Ebenfalls zu sehen ist ein einzelner Mann mit einem großen Schild, auf dem unter anderem steht: "Mehr Waffen für die Ukraine und Deutschland". Der Mann geht zunächst in Richtung des Bauernprotests eine Straße entlang, begleitet von zwei Polizeibeamten. Etwas dahinter folgt ein Kamerateam, zu erkennen ist ein ZDF-Mikrofon.
Die Polizeibeamten führen den Mann mit dem Schild zum Bauernprotest vor dem Rheinmetall-Haupttor, sodass er sich dazu stellen kann. Die Landwirte erkennen an dem Schild, dass das Protestthema des Mannes nicht zu ihrem Thema passt. Es entsteht sichtbare Unruhe, die Beamten trennten den Mann mit dem Schild daraufhin wieder von der Menge der Landwirte.
Polizei brachte Einzelperson zur Demo
"Der einzelne Protestler war zu einer Sperrstelle gekommen und wollte zu der Versammlung dazu", sagte der Sprecher der Polizei Celle dem #Faktenfuchs am Telefon. Da die Straße vor der Landwirte-Demo zum Sicherheitsbereich gezählt habe, habe der Mann nicht alleine gehen dürfen, sondern musste nach Angaben des Sprechers von den Polizeibeamten begleitet werden.
Da sich der einzelne Demonstrant dem Protest habe anschließen wollen, sei er dorthin gebracht worden. Als die Beamten bemerkten, dass es in der Menge aufgrund des Schildes des Mannes unruhiger wurde, hätten sie ihn wieder herausgenommen, so der Polizeisprecher.
Der Mann habe dann eine eigene Versammlung anmelden wollen, sagte der Sprecher der Polizei Celle dem #Faktenfuchs. Da er aber alleine war und eine einzelne Person keine Versammlung anmelden könne, sei das nicht möglich gewesen. Zu welchem Sender das Kamerateam gehörte, wisse er nicht. Akkreditierte Journalisten konnten sich seinen Angaben zufolge frei bewegen.
Falschbehauptungen: Gleichzeitiges Eintreffen soll "verdächtig" sein
Mit den Bildern im Video werden nun aber verschiedene Behauptungen verbreitet, die mit den Fakten nicht übereinstimmen. So heißt es, der einzelne Demonstrant sei ein "Provokateur" oder ein "Spion" des Kamerateams des ZDF gewesen, der Geld erhalten habe für seine Teilnahme an der Bauern-Demo und unter "Polizeischutz" eingeschleust worden sei.
Das gleichzeitige Erscheinen des Kamerateams und des einzelnen Demonstranten – eine zeitliche Korrelation – wird als Anlass für einen scheinbar verdächtigen "Zufall" interpretiert, der eigentlich keiner sei. Kausalität wird unterstellt, um das Geschehen an die eigene Sichtweise anzupassen. Auch wenn es dafür keine Belege gibt.
Das Portal "Übermedien" sprach mit dem einzelnen Demonstranten mit dem Schild. Er bestätigte dem "Übermedien"-Journalisten, dass er der Polizei gesagt habe, er wolle "zu den Bauern". Er habe dabei, sagt der Mann, eigentlich Abstand halten wollen zu den Bauern, sei aber von den Beamten aufgefordert worden, hinter die Absperrung zu gehen. Der Demonstrant sagte außerdem, er habe mit dem ZDF nichts zu tun.
ZDF: Kamerateam hatte nichts mit Einzelperson zu tun
Die Pressestelle des ZDF bestätigt auf #Faktenfuchs-Anfrage, dass ein Team des Senders vor Ort in Unterlüß Aufnahmen gemacht habe. "Das ZDF hat in keiner Weise auf das Geschehen oder einzelne Demonstrationsteilnehmer Einfluss genommen", schreibt ein Sprecher. Auch habe "vor der Demonstration kein Kontakt zwischen dem ZDF und dem Demonstranten" bestanden.
Die verbreiteten Behauptungen sind ein Beispiel für Fälle von Falschinformation, die den Verdacht nähren sollen, öffentlich-rechtliche Medien und bisweilen auch die Polizei agierten angeblich gegen die Bevölkerung im Dienste der Regierung.
Dieses Narrativ wird oft unterfüttert durch Falschbehauptungen, die scheinbar durch Bilder belegt sind, deren tatsächlicher Zusammenhang aber nicht recherchiert wird oder auch ausgelassen wird. Ihnen wird dann eine neue, häufig falsche Bedeutung zugeschrieben. In diesem Fall ist sie schlicht erfunden.
Fazit
Bei einer Landwirte-Demonstration im niedersächsischen Unterlüß mischte sich eine Einzelperson unter die Teilnehmer, die laut seinem Schild für ein anderes Anliegen eintrat als die Landwirte. Der Mann näherte sich der Demonstration fast zeitgleich mit einem ZDF-Kamerateam und wurde von der Polizei begleitet. Dieses gleichzeitige Eintreffen wird in Videoausschnitten, die in den sozialen Netzwerken geteilt werden, als "verdächtig" interpretiert, um Misstrauen gegen das ZDF zu schüren.
Der Fernsehsender teilt mit, das ZDF-Team habe vorher keinerlei Kontakt zu diesem Mann gehabt. Ein Sprecher der Polizei Celle sagt: Beamte hätten den einzelnen Demonstranten auf dessen Bitte hin zunächst zu der Demonstration gebracht, da das umgebende Areal zum Sicherheitsbereich gehört habe.
Disclaimer: Am 20.02.2024 um 9.44 Uhr haben wir einen Absatz ergänzt mit Informationen zu einem "Übermedien"-Artikel, der zum selben Thema erschienen ist.
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