Es geht um Zahngold, künstliche Hüftgelenke mit Titanschalen und Herzschrittmacher mit Platin-Elektroden: Immer wieder wird Mitarbeitern von Krematorien vorgeworfen, sich an Edelmetallen aus dem Körper von eingeäscherten Personen bereichert zu haben. Erst Anfang Juli hat die Staatsanwaltschaft Augsburg Anklage gegen den Betreiber eines Krematoriums in Kempten erhoben. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung. Der Augsburger Allgemeinen zufolge soll der Mann mit den "werthaltigen Überresten" aus der Asche der Toten außerdem "illegale Geschäfte" gemacht haben.
Welche Edelmetalle bleiben übrig?
Ein Anlass, um zu klären: Welche Edelmetalle bleiben nach der Einäscherung am häufigsten übrig? Wem gehören sie? Und was machen die Krematorien mit dem Ehering, Zahngold oder künstlichen Kniegelenken?
Viele Menschen denken bei Asche-Rückständen vor allem an Zahngold, erklärt Birgit Wittmann, Betreiberin des Krematoriums Mainburg im niederbayerischen Kelheim, wohl deshalb, weil dieses Beispiel immer wieder viel Aufmerksamkeit erfahre. Tatsächlich fänden sich in den Öfen aber noch allerlei andere Metallüberreste: künstliche Hüft- oder Kniegelenke zum Beispiel, die Platin oder Titan enthalten. Und manch ein Verstorbener trägt bei der Anlieferung auch noch den Ehering.
Wie läuft eine Einäscherung ab?
Bewegliche Wertgegenstände wie Eheringe oder Schmuck sollten vor der Einäscherung entfernt und den Angehörigen übergeben werden, erklärt Stephan Neuser, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Bestatter: "Außer, wenn der Verstorbene es ausdrücklich anders bestimmt hat." Dann könnte der Leichnam auch mit den Schmuckstücken eingeäschert werden. Dieses Gold - oder eben auch das Zahngold - schmelze während der Verbrennung oft ganz oder teilweise und klebe dann häufig mit der Asche zusammen.
Große Metallüberreste wie zerfallene künstliche Gelenke, Implantate oder Herzschrittmacher, die nur zerfallen oder nicht komplett geschmolzen sind, werden nach der Verbrennung in vielen Krematorien von Hand aussortiert. Sie sind zu groß für die Urne und werden als Metallschrott entsorgt. Teilweise enthalten diese aber noch wertvolle Edelmetalle wie Gold, Platin oder Titan - manchmal sind sie auch während der Verbrennung mit diesen zusammengeschmolzen. Im nächsten Schritt kommen die sterblichen Überreste dann in die sogenannte Aschemühle. Dort werden Knochenreste zerkleinert, manchmal auch noch kleinere Metallreste entfernt. Die Asche wird schließlich in eine "Aschekapsel", oder: Urne, abgefüllt.
Was passiert mit dem übriggebliebenen Metall?
Je nach Bauart und Konfiguration der Asche-Abfüllanlage können diese Schritte variieren: In manchen Krematorien werden sogar große Metallstücke aufwendig zerkleinert und der Urne mitgegeben, in anderen kommen nur die kleinen übriggebliebenen Metallteile mit in die Urne.
Zudem kann es passieren, dass geschmolzene Metallteile im Ofen haftenbleiben und während der nächsten Verbrennung mit anderen Metallteilen verschmelzen. "Eine eindeutige und vollständige Zuordnung von Edelmetallen zu einem speziellen Bestattungsvorgang ist auf Grund der Art des Kremationsprozesses bzw. technischer Zwänge in einer Einäscherungsanlage daher technisch nicht möglich", schreibt der Deutsche Städtetag in einer Handreichung zum "Umgang mit metallischen Kremationsrückständen".
So unterschiedlich der Verbrennungsprozess im Einzelfall auch sein mag: In allen Krematorien fallen dabei irgendwann Metallreste an. Krematorien, die diese nicht oder nicht komplett zerkleinern und in die Urne mitgeben, verkaufen sie oft als Metallschrott an professionelle Entsorgungsfirmen. Diese trennen die werthaltigen Metalle vom Schrott und zahlen den Krematorien einen entsprechenden Preis dafür.
Was machen die Krematorien mit dem Geld?
Im Krematorium Mainburg, so schildert es Birgit Wittmann, werden alle Metallreste in einer großen Tonne gesammelt. Diese wird, wenn sie voll ist, von einem Entsorgungsunternehmen abgeholt. Das Geld, das die Betreiberin dafür erhält, spendet sie an karitative Einrichtungen in der Nähe. Welche Einrichtungen das sind, entscheidet Wittmann selbst. Auch das Krematorium Memmingen spendet die Erlöse aus dem Metallverkauf an gemeinnützige Zwecke. Auch hier entscheidet das Krematorium selbst, an wen das Geld geht, teilt Betriebsleiter Stefan van Dorsser auf Anfrage mit.
Wie viel durch den Verkauf der Wertstoffe jährlich zusammenkommt, ist von Krematorium zu Krematorium sehr unterschiedlich, da die Kapazitäten stark variieren. Van Dorsser zufolge hat die Zahl der "gefunden chirurgischen Metalle" in den letzten Jahren stark zugenommen. Das Krematorium Memmingen führt die Beträge, die jährlich gespendet werden, auf seiner Homepage auf. 2019 waren es 43.000 Euro, im Jahr 2018 mit 35.000 Euro noch deutlich weniger.
Wem die Wertstoffe gehören, ist juristisch nicht eindeutig
Doch warum variiert der Umgang mit den gefundenen Wertstoffen von Krematorium zu Krematorium so sehr? Weil es kein Gesetz gebe, das den Umgang damit vorschreibt, erklärt Stephan Neuser, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Bestatter. Sein Verband fordert deshalb seit langem, dass die Bundesländer diese Frage über die Landesbestattungsgesetze regeln. Die Frage, wie mit Wertgegenständen aus der Asche eines Verstorbenen umgegangen wird, berührt gleich mehrere Rechtsgebiete.
Zivilrechtlich geht es dabei vor allem um die Frage, wem die Wertgegenstände nach der Kremation gehören. Gerold Steiner, Richter und Mitarbeiter des Bayerischen Justizministeriums, sagt, grundsätzlich gelte: Alles, was fest mit dem Körper eines Menschen verbunden ist – wie Zahngold, künstliche Gelenke oder Implantate – gehöre zu diesem Menschen, auch über den Tod hinaus. Dies ändere sich allerdings, so Steiner, "wenn die dauerhafte Verbindung zwischen künstlichem Körperteil und Körper nicht mehr besteht". Also zum Beispiel dann, wenn Körper und Metall aufgrund einer Einäscherung wieder voneinander getrennt werden. Dann könnten die gefundenen Wertstoffe theoretisch wieder jemandem gehören. Nur wem?
Über eben diese Frage streiten sich Juristen. Eine Gruppe ist der Auffassung, dass das Eigentum in diesem Fall automatisch den Erben zufällt. Die Mehrheit tendiere, so Steiner, aber zu der Meinung, dass die künstlichen Körperteile nun erst einmal "herrenlos" seien, also niemandem gehörten. "Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Betreiber eines Krematoriums künstliche Körperteile ohne weiteres an sich nehmen dürfte." Die Hinterbliebenen hätten in dieser Situation ein "vorrangiges Recht" auf die künstlichen Körperteile – das sogenannte "Aneignungsrecht" (§ 958 BGB). Der Betreiber eines Krematoriums müsste die Hinterbliebenen daher in diesem Fall eigentlich über die übriggebliebenen Wertstoffe informieren und sie gegebenenfalls an sich nehmen. "Dieser Aufwand wäre für die Betreiber aber viel zu groß", sagt Stephan Neuser vom Verband Deutscher Bestatter. "Das geht gar nicht."
Urteil: alle Rückstände gehören zur Asche des Verstorbenen
Strafrechtlich ist zudem die Frage relevant, was alles zur Asche des Verstorbenen gehört. Von dieser darf nämlich laut Strafgesetzbuch eigentlich nichts entnommen werden, um die Totenruhe nicht zu stören (§ 168 Strafgesetzbuch). Dass "sämtliche nach der Einäscherung verbleibende Rückstände" zur Asche des Verstorbenen gehören, hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 2015 entschieden. Viele Juristen vertreten deshalb die Auffassung, dass die Metallteile in die Urne gehören.
Empfehlung: Fragen vor der Einäscherung klären
Beides – das Aushändigen an die Angehörigen und das Mitgeben aller Metallteile in der Urne – sind in der Praxis oft nicht möglich. Der Deutsche Städtetag empfiehlt den Krematorien deshalb eine andere Lösung: Die Angehörigen sollen schon bei der Entscheidung für das Krematorium über die weitere Verwendung der Metallreste informiert werden und dieser schriftlich zustimmen. Eine Störung der Totenruhe liegt nämlich nur dann vor, wenn die Asche "unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten" genommen wird. Stimmt der Kunde zu, ist das nicht mehr der Fall. Viele Krematorien lassen ihre Kunden deshalb unterschreiben, dass sie ihr Aneignungsrecht auf das Krematorium übertragen und der weiteren Verwendung zustimmen.
Im Fall Kempten muss wohl das Gericht entscheiden
Auch der Betreiber des Krematoriums in Kempten hatte nach Informationen der Augsburger Allgemeinen eine solche Klausel in dem Bestattungsauftrag stehen, den Angehörige vor der Einäscherung unterschreiben. Darin heiße es: "Die Angehörigen wurden informiert, dass Erlöse aus Metallen karitativen Zwecken zugeführt werden." Ob dies tatsächlich geschehen ist und alle Einnahmen ordentlich versteuert wurden, darüber wird demnächst wohl ein Richter entscheiden. Für den Moment zumindest werden die Metallreste gar nicht mehr weiterverkauft. Das sagte der Betreiber des Krematoriums, der sich gegenüber BR24 nicht mehr dazu äußern will, der Augsburger Allgemeinen. Seit Beginn der Ermittlungen lagere er die Metallreste im Krematorium.
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