Ehrgeizig klingt das neue Verpackungsgesetz in Deutschland. Vor allem die Menge an Verpackungen aus Kunststoff, die recycelt werden, soll deutlich steigen. Experten aber sagen: Das wird schwierig. Und zwar, weil alle Beteiligten nicht genug tun: der Gesetzgeber, die Industrie – und die Verbraucher.
Mehr Recycling durch Verpackungsgesetz
Seit dem 1. Januar schreibt das Verpackungsgesetz höhere Recyclingquoten für Verpackungen vor – seien sie aus Glas, Papier und Karton oder Aluminium. Oder aus Kunststoffen, deren Recyclingquote lag zuletzt bei 36 Prozent. Dieses Jahr soll sie auf 58,5 Prozent und bis 2022 auf 63 Prozent steigen.
Aber nicht alle sind überzeugt von dem Gesetz – oder davon, dass seine Ziele erreichbar sind.
Bundesumweltministerium sieht Nachteile bei neuer Quoten-Messung
Selbst das Bundesumweltministerium (BMU) zeigt sich vorsichtig in Bezug auf diese Vorgaben: „Ob sie tatsächlich erreichbar sind, wird sich zeigen“, schreibt ein Sprecher an BR24. Grund dafür ist vor allem eine Änderung auf EU-Ebene, die nicht im neuen Gesetz steht – die Deutschland ab 2020 aber wird umsetzen müssen.
Eine Neuerung, die Recycling-Befürworter – ebenso wie das Bundesumweltministerium – eigentlich begrüßen. Denn sie betrifft die bisher umstrittene Methode, mit der die Recyclingquoten berechnet werden. Nach Ansicht von Experten wird die EU-Vorgabe es allerdings erschweren, die neuen und höheren Quoten in Deutschland einzuhalten.
Deshalb nennt etwa Matthias Franke vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Sulzbach-Rosenberg die Zielvorgaben „sehr ambitioniert“. Technisch sei es machbar, die Marke der 63 Prozent zu erreichen, sagt der Sprecher des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE), Jörg Lacher: „Um diese Ziele zu erreichen, sind aber erhebliche Anstrengungen erforderlich.“
Recyclingquote: Wie viel Material wird tatsächlich recycelt?
Noch wird die Recyclingquote in Deutschland nach der Abfallmenge berechnet, die bei den ersten Recyclinganlagen (zum Beispiel einer Sortieranlage) angeliefert wird - und nicht nach der Menge, die tatsächlich recycelt wird. Experten nennen das die Input-Quote. Auch im Fall der Kunststoffe holen die Sortieranlagen aus der angelieferten Masse die Gegenstände, die nicht in die gelbe Tonne gehören und nicht recycelt werden können, zum Beispiel Windeln oder Gummistiefel.
An dieser Methode gibt es viel Kritik. „Was dann nach dem Reinigen, Schreddern, Verarbeiten und anderen Vorgängen übrig bleibt, ist häufig nur ein Bruchteil des Inputs“, schreibt zum Beispiel der Naturschutzbund (Nabu) auf seiner Webseite. „Es gilt aber der ganze Input als recycelt.“ Deshalb hatte der Verband eine Reform gefordert, die die Realität besser abbilde.
Recyclingquote zu erreichen wird schwieriger
Genau das soll in Zukunft auch passieren: Das, was aussortiert wird, soll auch herausgerechnet werden. Damit sollen die Mitgliedsstaaten eine Output-Quote messen. Wie genau deren Berechnung erfolgen wird, soll die EU-Kommission bis Ende März konkret machen. Deutschland muss jedenfalls laut Bundesumweltministerium ab 2020 nach der neuen Methode messen.
Das findet zum Beispiel der Nabu ausdrücklich gut – die Quote zu erreichen, sei dadurch aber deutlich schwieriger. So sehen das auch Fraunhofer-Experte Franke – und das Bundesumweltministerium. Denn wenn nicht-recyceltes Material nicht mehr eingerechnet wird, sinken die Quoten natürlich erst einmal – und rücken damit von den höheren Zielvorgaben weg.
„Es ist zu erwarten, dass die Recyclingraten dadurch sinken, ohne dass es Veränderungen bei der Technik oder auf den Märkten gegeben hat“, schreibt ein BMU-Sprecher. Außerdem sei die Rechenmethode nicht vorher erprobt worden, woraus sich Nachteile ergäben. Mit ihr sei es schwer möglich, die Abfälle zurückzuverfolgen und statistisch zu erfassen. Deutschland werde sich daher mit regelmäßigen Untersuchungen, Schätzungen und repräsentativen Annahmen behelfen müssen, so der Sprecher.
Die Verbraucher schmeißen zu viel in die falsche Tonne
Experten bezweifeln nicht zuletzt wegen der Verbraucher, dass Deutschland die höheren Recyclingquoten erreichen kann. Nur 60 Prozent der Verpackungen gelangen Fraunhofer-Experte Franke zufolge in den Kreislauf der Wiederverwertung. Verpackungsabfall, den die Menschen in den Restmüll schmeißen, wird in der Regel verbrannt. Nach Zahlen aus dem Jahr 2011 betraf das rund 40 Prozent der Verpackungen, sagt Franke.
Aber nicht einmal der Anteil der Verpackungen, die richtigerweise im gelben Sack, in der gelben Tonne oder in Containern auf Wertstoffinseln landet, geht vollständig als recyceltes Kunststoff-Material wieder zurück auf den Markt. Denn oft werfen die Menschen – ob aus Nachlässigkeit oder Unwissen – auch falsches Material mit in die gelben Säcke und Tonnen, etwa Restmüll. Das macht laut Franke etwa ein Drittel der Menge aus. „Wie viele Menschen sich so verhalten, ist nicht bekannt“, sagt er. „Sicher ist aber, dass die jeweils falsch eingeworfenen Abfälle das Recycling behindern.“ Und das ändert das neue Gesetz nicht.
Neben dem Verhalten der Verbraucher gibt es noch weitere Stellschrauben, an denen für eine höhere Quote gedreht werden kann.
Die Experten sind sich darin einig, dass die Hersteller an besseren, recyclingfähigen Verpackungen arbeiten und die Sortier- und Recyclinganlagen mehr und besser werden müssen. Das erfordert Investitionen und Forschung.
Hersteller müssen ihre Verpackungsmengen melden
Mit dem neuen Verpackungsgesetz will die Bundesregierung an dieser Stellschraube drehen: Sie will die Hersteller einerseits zur Abfallvermeidung anregen – denn je weniger Verpackungen auf den Markt kommen, desto mehr fällt der recycelte Anteil ins Gewicht und erhöht die Quote. Andererseits sollen sich umweltfreundliche Verpackungen lohnen.
Um die Hersteller dazu zu bringen, auf überflüssige Verpackungen zu verzichten, gibt es seit 1. Januar ein öffentlich einsehbares Verpackungsregister. Wer zu wenig Material meldet, was bisher laut ZVSR, Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister, ein großes Problem war, dem drohen per Gesetz Vertriebsverbot und Bußgelder,
Hinter der 2017 privatrechtlich gegründeten Stiftung stehen vier Wirtschafsverbände, nämlich die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, der Handelsverband Deutschland, die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen und der Markenverband.
Umweltfreundliche Verpackungen sollen sich lohnen
Das Verpackungsgesetz soll auch für die Verwendung gut recycelbarer Materialien einen finanziellen Anreiz schaffen. Es verpflichtet die Unternehmen, die das Recycling des Abfalls organisieren, für besser recycelbare Verpackungen geringere Entsorgungsgebühren zu verlangen. Die Hersteller sollen so motiviert werden, umweltfreundliche Verpackungen zu verwenden.
Damit besser recycelt werden kann, soll die Anzahl der Verpackungen also ab- und die Qualität zunehmen.
Bessere Recyclingprodukte
Bei der Qualität geht auch dem Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung das Gesetz bisher nicht weit genug. Nach Ansicht des Verbandssprechers Lacher muss die Recyclingfähigkeit schon bei der Produkt- oder Verpackungsentwicklung berücksichtigt werden: “Wir fordern deshalb schon seit langem, dass nur Verpackungen überhaupt erst auf den Markt gebracht werden dürfen, wenn Hersteller und Handel nachweisen können, dass sie recyclingfähig sind.“
Der BVSE fordert, dass nicht nur Verbraucher und Unternehmen mehr Recyclingprodukte kaufen und anbieten sollten - sondern auch die öffentliche Hand. Bei Ausschreibungen sollten demnach Bund, Länder, Kommunen und öffentliche Institutionen zum Beispiel recyclingfähige Produkte beschaffen, etwa wiederverwertbares Papier fürs Büro.
Bessere Sortieranlagen
Schließlich hat Recycling einen technologischen Aspekt: Sortieranlagen und -techniken müssten weiterentwickelt werden, sagt die Sprecherin des Verpackungsregisters (ZVSR), Bettina Sunderdiek: „In diesem Bereich werden auch Innovationen benötigt.“ Das Recycling von PET-Schalen, in denen zum Beispiel Erdbeeren verkauft werden, war bisher noch nicht möglich, weil diese nicht richtig sortiert werden konnten.
Das neue Verpackungsgesetz löste nach Ansicht von BVSE-Sprecher Lacher bereits im vergangenen Jahr Zukunftsinvestitionen in der Branche aus: “So sind neue Sortieranlagen in Betrieb genommen, bestehende Anlagen werden aufgerüstet und weitere Anlagen sind in Planung.” Das Bundesumweltministerium fördert im hessischen Gernsheim ein Pilotprojekt, bei dem Leichtverpackungsabfall effizienter sortiert werden soll. Ist es erfolgreich, soll es auf andere Anlagen übertragen werden.
Fazit
Um die neuen und höheren Quoten für das Kunststoff-Recycling in Deutschland zu erreichen, schätzen Experten als schwierig ein. Wenn sie nicht verfehlt werden sollen, müssen Hersteller investieren, Recycler forschen und Verbraucher recyclingfähige Produkte kaufen. Positiv bewertet etwa der Nabu, dass für die offizielle Recyclingquote künftig gemessen werden soll, wie viel Material tatsächlich recycelt wird – und nicht wie viel Sortierung in eine Recyclinganlage hineingeht. Einig sind sich alle, dass es mit der neuen Berechnungsmethode noch schwieriger wird, die Zielvorhaben einzuhalten. Hintergrund für die geänderte Quote ist nicht das neue Verpackungsgesetz des Bundes, sondern eine geänderte EU-Richtlinie.