Nach der Attacke auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt versuchen einige Rechtsextreme im Netz die Tat in ihrem Sinne umzudeuten.
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Nach der Attacke auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt versuchen einige Rechtsextreme im Netz die Tat in ihrem Sinne umzudeuten.

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#Faktenfuchs: Wie Rechtsextreme die Tat von Magdeburg umdeuten

#Faktenfuchs: Wie Rechtsextreme die Tat von Magdeburg umdeuten

Das Motiv des Täters von Magdeburg ist noch nicht bekannt. Dennoch bemühen sich Rechtsextreme im Netz bereits um eine Deutung der bisherigen Erkenntnisse in ihrem Sinne – samt falschen Belegen und Verschwörungstheorien. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Noch am Abend der Attacke auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt verbreiteten sich Falschinformationen und falsche Gerüchte. Der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner verbreitete kurz nach der Tat falsche Todeszahlen und falsche Gerüchte über die Herkunft des Täters, wie der Tagesschau-Faktenfinder zeigt.

Auch drei Tage nach dem Anschlag mit mindestens fünf Toten ist das Motiv des Täters Taleb A. weiterhin unklar. Auf seinem X-Account teilte der Täter islamfeindliche Botschaften sowie die Posts rechtsextremer Influencer. Er ist selbst saudi-arabischer Staatsbürger und kam 2006 nach Deutschland.

In seiner Timeline verbreitete er auch Inhalte eines Accounts, der regelmäßig Falschbehauptungen, Verschwörungstheorien und Fake-Inhalte über Flüchtlinge in Europa teilt. Aus den eigenen Posts von Taleb A. geht hervor, dass er die AfD als Lösung für die Probleme hierzulande sieht und Deutschland für eine angebliche Islamisierung Europas verantwortlich macht. Sich selbst bezeichnete der Täter in einem Stream als "Linken". Seinen Posts nach zu urteilen, bewegte sich der Täter auf X regelmäßig im Dunstkreis von verschwörungsideologischen und islamfeindlichen Accounts.

Ohne Belege: Rechtsextreme Accounts behaupten, Anschlag sei islamistisch motiviert

Trotz des diffusen Online-Auftritts und des unbekannten Motivs verbreiten einige Accounts, darunter bekannte rechtsextreme Influencer wie Naomi Seibt oder Markus Krall, die Behauptung, es habe sich um einen islamistischen Anschlag gehandelt. Dafür gibt es derzeit keine Beweise. Um ihre Thesen zu bestätigen, greifen die Verbreiter dieser Behauptung auf ausgedachte Informationen, Pseudo-Belege und Verschwörungstheorien zurück – und sie diskreditieren seriöse Medien.

Seibt schrieb am Samstag auf X etwa "The German mainstream media will gaslight you to believe that he was not an Islamist and the right is at fault for demonizing immigrant (Die deutschen Mainstream-Medien wollen Ihnen weismachen, dass er kein Islamist war und dass die Rechten an der Dämonisierung der Einwanderer schuld sind; d. Red)." Der Post von Seibt wurde laut X-Daten rund 400.000 Usern angezeigt. Ein Post von Krall wurde 150.000 Usern angezeigt, darin schreibt er: "Der Attentäter war offensichtlich Islamist, Hamas-Anhänger und Israel-Hasser. Von wegen Islamfeindlich, man erzählt uns hier, wie es scheint, faustdicke Lügen."

"Man sieht an vielen Stellen sehr klar, dass es einen Versuch der Umdeutung gibt", sagt Karolin Schwarz im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Schwarz ist Expertin für Rechtsextremismus und Desinformation im Netz, Buchautorin und Beraterin für NGOs und Plattformen. Bezogen auf ein angeblich islamistisches Tatmotiv sagt sie: "Es gibt darauf keinerlei Hinweise, weder in den Posts des Täters, die öffentlich verfügbar sind, noch in dem, was wir von der Polizei wissen." Auch für die kursierende Behauptung, der Täter habe einen islamistischen Hintergrund wohl bewusst verschleiert, gebe es keine Hinweise.

Keine "Allahu Akbar"-Rufe bei der Festnahme des Täters

Als angeblichen Beleg für ein islamistisches Motiv teilen zahlreiche Accounts ein Video, das offenbar die Festnahme des Täters zeigt. In dem Video liegt der Täter auf einer Straße, ein Polizist fordert ihn mit gezogener Waffe auf, sich hinzulegen. Behauptet wird fälschlicherweise, der Mann rufe "Allahu Akbar" bei seiner Festnahme. Übersetzt bedeutet das "Gott ist groß" und wurde bei islamistischen Anschlägen von den Tätern gerufen. Das wird häufig in den Posts dazu geschrieben, in einigen Videos gibt es sogar angebliche Untertitel, die den Ausruf belegen sollen.

Doch der Täter hat auf dem Ausschnitt, der im Internet kursiert und die Festnahme zeigt, nicht "Allahu Akbar" gerufen. Zu diesem Ergebnis kommt ein entsprechender Faktencheck der Deutschen Welle (DW). Ein Arabisch sprechender Journalist des Mediums bestätigt, dass er die Worte "Allahu Akbar" an keiner Stelle in dem Video hören konnte. Auch in einem weiteren Video der Festnahme, das von der gegenüberliegenden Perspektive aufgenommen wurde, ist der religiöse Ausruf laut DW nicht zu hören.

Auto als Tatwaffe kein Beleg für islamistischen Terror

Häufig wird die Behauptung, es handele sich um einen islamistischen Anschlag, aber auch ohne jegliche Belege angeführt. "Der Modus operandi entspricht einem islamistischen Terroranschlag", schreibt etwa ein User auf X. Dort finden sich zahlreiche solcher Beiträge, dass der Blick auf das, was passiert ist, einem doch "alles sage".

Dass ein Auto als Tatwaffe genutzt wurde, "ist definitiv kein Beleg für einen islamistischen Anschlag", sagt Karolin Schwarz. Sie verweist etwa auf die Attacke eines Rechtsextremen in der US-Stadt Charlottesville 2017, der ein Auto nutzte, um in eine Masse von Gegendemonstranten hineinzufahren. Oder auf einen Vorfall 2018 im kanadischen Toronto, als ein Frauen-Hasser mit dem Auto in eine Gruppe raste und zehn Menschen tötete.

Musk und Rechtsextreme: Alternative Erzählungen auf X

Dass sich der Täter von Magdeburg in seinen Posts auf X islamkritisch bis islamfeindlich äußerte, wird ebenfalls meistens ignoriert. Dass er sich wohlwollend über die AfD äußerte, wird abgetan. "Die Umdeutung dient in Teilen ja auch einer Ablenkung von der Tatsache, dass der Täter zumindest Sympathien geäußert hat für verschiedene rechte und rechtsextreme Akteure", sagt Karolin Schwarz. "Letztendlich versucht man keinerlei Verbindungen zu rechtsextremem Gedankengut zuzulassen."

Stattdessen üben sich einige Akteure im Negieren von Tatsachen sowie dem Ignorieren der Unklarheiten, die es zu der Tat noch gibt. Das verknüpfen sie mit der Verschwörungstheorie, dass man durch die journalistischen Medien nicht die Wahrheit erfahre. Diese Behauptung befeuern auf X einige reichweitenstarke Accounts, auch aus dem internationalen Spektrum, allen voran der X-Besitzer Elon Musk.

"Elon Musk hat in den vergangenen Monaten – auch bevor er sich positiv gegenüber der AfD geäußert hat – ganz klar rassistische, islamfeindliche, rechtsextreme Anleihen in seinen Posts gehabt. Er hat Medien angegriffen, ob zu seinem eigenen Vorteil oder weil er ideologisch auf der Linie ist, ist schwer zu sagen." Karolin Schwarz, Expertin für Extremismus und Desinformation

Zu der Tat von Magdeburg teilte Musks mehrere Beiträge, darunter einen Post, in dem die Überschriften mehrerer internationaler Medien zu sehen sind. Die Artikel berichten darüber, dass der Täter islamfeindliche Ansichten verbreitet hatte. Musk schreibt dazu: "Die 'alten Medien' lügen mal wieder". Die Berichterstattung der Medien entsprach jedoch den zu diesem Zeitpunkt verfügbaren neuesten Erkenntnissen der Behörden, unwahr ist daran nichts. Der Post von Musk wurde laut X-Daten mehr als 44 Millionen Usern angezeigt.

Bereits im US-Wahlkampf ist Musk vermehrt mit Verschwörungstheorien und Desinformation aufgefallen. Immer wieder verschafft er Rechtsextremen auf seiner Plattform X aktiv Aufmerksamkeit. Karolin Schwarz sagt: "Musk hat ein riesiges Megafon. Er streut und verstärkt ganz klar rechtsextreme Akteure, indem er ihnen sein Megafon gibt."

Täter von Magdeburg: Viele offene Fragen begünstigen Desinformation

Dass es nach der Attacke auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hinsichtlich des Motivs des Täters viele Ungereimtheiten und Unklarheiten gibt, biete denjenigen, die Falschinformationen, alternative Erzählungen und Verschwörungstheorien verbreiten, einen guten Ansatzpunkt, sagt Karolin Schwarz.

"Wir müssen das Problem aushalten, dass es jetzt noch keine fertige Erklärung gibt. Das ist natürlich unglaublich schwierig. Und davon profitieren Akteure, die umdeuten und vermeintlich klare Erklärungen anbieten."

Die Ermittlungen zum Motiv des Täters dauern derweil noch an.

Fazit

Zu der Attacke auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt kursieren bereits seit kurz nach der Tat Fehlinformationen und Gerüchte. Nach dem Bekanntwerden von islamfeindlichen Ansichten des Täters sowie Sympathien für rechte Akteure versuchen allen voran rechtsextreme Influencer die Tat als islamistisch motiviert umzudeuten.

Dafür nutzen sie falsche Belege, wie angebliche Allahu-Akbar-Rufe bei der Festnahme, die es nicht gab. Die Angaben der Behörden und Informationen der journalistischen Medien werden diskreditiert, nicht zuletzt durch X-Besitzer Elon Musk.

Im Audio: Terrorismusforscher – Magdeburg-Attentäter wohl psychisch krank

Zahlreiche Kerzen, Blumen und Kränze liegen beziehungsweise stehen vor dem Eingang der Johanniskirche.
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Zahlreiche Kerzen, Blumen und Kränze liegen beziehungsweise stehen vor dem Eingang der Johanniskirche.

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