"Wir machen uns ein Stück weit lächerlich", sagt Sicherheitsexperte Nico Lange von der Münchener Sicherheitskonferenz. "Da fliegen irgendwelche Drohnen umher in Deutschland, und keiner ist dafür zuständig oder hat Befugnisse, diese Drohnen abzuschießen." Lange findet deutliche Worte zu den Vorfällen auf den Militärflughäfen in Manching und Neuburg. Dort wurden im Januar mehrmals unbekannte Drohnen gesichtet - und nicht irgendwelche Drohnen: Behörden und Experten vermuten, dass es sich um Spionage handelt, möglicherweise Teil der sogenannten "hybriden Kriegsführung" Russlands.
Was ist hybride Kriegsführung?
Russland und Deutschland sind im Frieden – offiziell. Doch seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine gab es Versuche, Deutschland als Verbündeten der Ukraine zu schwächen. Genau darum geht es bei der hybriden Kriegsführung: Die Grenze zwischen Krieg und Frieden zu verwischen, den Gegner zu schwächen, ohne einen offenen Krieg zu riskieren.
Dafür setzt Moskau vor allem auf nicht-militärische Mittel. Sie reichen von klassischer Sabotage über Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur bis zur Beeinflussung der Bevölkerung durch Desinformationskampagnen. Auch politische Einflussnahme, etwa die Unterstützung russlandfreundlicher Parteien, gehört dazu.
Mit geringen Mitteln großen Schaden anrichten
Ein großer Vorteil der hybriden Kriegsführung: Sie ist billig, hat oft wenig Konsequenzen und kann großen Schaden anrichten. Ein Beispiel: die sabotierten Ostseekabel. Um die Kommunikation zwischen Deutschland und seinen NATO-Partnern zu sabotieren, braucht es keine Raketenangriffe, es reicht ein Schiff, das mit seinem Anker "zufällig" ein Datenkabel durchtrennt. Gleichzeitig lässt sich die Verantwortung für so einen Angriff leicht abstreiten.
Die Bundesregierung führt bislang keine Statistiken zu hybriden Bedrohungen. Bestimmte Bereiche stehen aber unter Beobachtung. So müssen etwa die Betreiber kritischer Infrastruktur Cybersicherheitsvorfälle wie Hackerangriffe melden. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren gestiegen.
Grafik: Cybersicherheitsvorfälle im Bereich der kritischen Infrastruktur
Wie viele der Fälle sich Russland zuordnen lassen, ist aber ungewiss. Unternehmen aus Deutschland meldeten zuletzt auch aus China vermehrt Angriffe. Bei einigen Hackerangriffen führt die Spur jedoch eindeutig nach Russland, wie etwa beim Hackerangriff auf die Deutsche Flugsicherung im Herbst vergangenen Jahres.
Desinformation, Spionage und Sabotage
Auch die Verbreitung von Desinformationen hat im vergangenen Jahr nicht nachgelassen - etwa mit der "Doppelgänger-Kampagne", bei der gefälschte Websites und Social-Media-Profile genutzt wurden, um falsche Narrative zu verbreiten. Andere Falschmeldungen in den sozialen Medien sollen gezielt die Unterstützung für die Ukraine untergraben. Ein Beispiel: Deutsche Steuergelder hätten angeblich ein Skigebiet in der Ukraine finanziert.
Sorge gibt es daher auch um Einflussnahme bei der kommenden Bundestagswahl. Auf eine Anfrage der FDP an die Bundesregierung (externer Link), was man gegen hybride Bedrohungen bei der Wahl tun wolle, blieb die Bundesregierung wenig konkret. Sie sprach vage von einer "Vielzahl an Maßnahmen der Prävention, Detektion und Reaktion".
Neben digitalen Angriffen gab es zuletzt auch immer wieder handfeste hybride Angriffe. Dazu gehörten im letzten Jahr etwa die drei mutmaßlichen Spione, die den US-Truppenübungsplatz in Grafenwöhr ausgekundschaftet hatten. Gegen sie wird in München gerade Anklage erhoben. Auch hier zeigt sich die hybride Vorgehensweise: Der Hauptverdächtige Dieter S. ist kein in Moskau ausgebildeter Agent, sondern, wie der Generalbundesanwalt vermutet, als "Proxy", also als Stellvertreter angeheuert worden. Solche "Proxies" werden auch über Messengerdienste wie Telegram angeworben - nicht nur für mutmaßliche Spionageaktionen, wie die Drohnenüberflüge an den Militärflughäfen, sondern auch für Sabotageaktionen.
Wieso ist Deutschland so angreifbar?
Das Problem bei hybriden Bedrohungen: Sie lassen sich nur schwer als solche erkennen. So sind in den letzten Jahren etwa einige hundert mutmaßliche Drohnenüberflüge über Liegenschaften der Bundeswehr gemeldet worden, wie ein Sprecher des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr in Berlin dem BR mitteilte. Bei vielen davon wird eher ein Hobby-Drohnenpilot als ein russischer Spion am Steuergerät gewesen sein.
Zudem bietet Deutschland zu viele Angriffsflächen, um sich gegen alle Angriffe zu schützen, meint Nico Lange. Etwa beim Thema Ostseekabel: "Man kann ja nicht Millionen von Kilometern von Leitungen Kabeln ständig überwachen oder eine völlige Sicherheit herstellen." Lange fordert stattdessen eine Abschreckungsmöglichkeit.
Zurückschlagen? Gar nicht so einfach
Man müsse neue Sanktionsmöglichkeiten in Betracht ziehen oder, etwa beim Thema Cyberangriffe, auch Möglichkeiten, zurückzuschlagen: "Es gibt in Deutschland Institutionen, die das könnten. Wir dürfen das aber nach der bisherigen Rechtslage nicht." Immerhin beim Thema Drohnenüberflüge soll die Bundeswehr jetzt etwas mehr Handlungsspielraum bekommen. Ein aktueller Gesetzentwurf soll der Bundeswehr ermöglichen, Drohnen abzuschießen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!