Das israelische Militär hat bei Bombenangriffen auf Einsatzzentralen der islamistischen Hamas im Gazastreifen nach eigenen Angaben zwei der mutmaßlichen Verantwortlichen des Massakers an israelischen Zivilisten getötet. Merad Abu Merad, Leiter des Hamas-Luftüberwachungssystems in Gaza-Stadt, sei maßgeblich für die Steuerung der Terroristen während des Massakers verantwortlich gewesen. Ali Kadi habe als Kommandeur einer Eliteeinheit den Überfall bewaffneter Kämpfer auf Ortschaften im Süden Israels vor einer Woche angeführt, teilte das israelische Militär am Samstag mit.
Zudem seien bereits vor der erwarteten Gegenoffensive innerhalb der vergangenen 24 Stunden mehrere begrenzte Vorstöße auf das Gebiet des Gazastreifens unternommen worden, so der israelische Armeesprecher Daniel Hagari. Er schrieb am Freitagabend bei X (vormals Twitter), das Ziel dieser Einsätze sei es, "das Gebiet von Terroristen und Waffen zu säubern".
Netanjahu kündigt Zerstörung der Hamas an
Soldaten hätten am Freitagabend auch Leichen vermisster Landsleute entdeckt, berichtete die Zeitung "Jerusalem Post" am frühen Samstagmorgen. Angaben zur Anzahl der Toten gab es zunächst nicht. Zudem sind am Samstag aus dem Gazastreifen erneut Raketen auf Tel Aviv und das Zentrum des Landes abgefeuert worden. Berichte über Verletzte gab es am Samstagvormittag zunächst nicht. Auch im Süden des Landes gab es Raketenalarm.
Unter den mehr als 1.300 Todesopfern der Terrorattacken der Hamas in Israel sind auch mindestens 265 israelische Soldaten. Das teilte Militärsprecher Richard Hecht am Samstag mit. Die weitaus meisten der bei den Großangriffen getöteten Menschen sind demnach Zivilisten. Bei 120 Menschen gelte als gesichert, dass sie in den Gazastreifen verschleppt worden sind, sagte Hecht.
Die derzeitigen Gegenschläge im Gazastreifen seien nur der "Anfang" der Offensive, so das israelische Militär. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von der Zerstörung der im Gazastreifen regierenden Hamas. In einer landesweit übertragenen Fernsehansprache sagte er, man werde diesen Krieg stärker beenden als je zuvor. "Wir werden die Hamas zerstören."
Einwohner von Gaza-Stadt zur Evakuierung aufgerufen
Im Gazastreifen herrscht unter der palästinensischen Bevölkerung Angst und Verzweiflung angesichts einer drohenden Bodenoffensive. Nach Ablauf einer vom israelischen Militär gesetzten Frist zur Massenevakuierung des nördlichen Gazastreifens bis Freitagabend befürchten die Vereinten Nationen eine "katastrophale Situation", sollte die Armee in das dicht besiedelte Küstengebiet einmarschieren.
Am Samstag sicherte die Armee den Einwohnern des nördlichen Gazastreifens nun erneut einen Zeitraum ohne Angriffe zu, um sich in den Süden der Küstenenklave zu begeben. Zwischen 10.00 und 16.00 Uhr Ortszeit (09.00 bis 15.00 Uhr MESZ) sollen die Bewohner von Beit Hanun auf einer eingezeichneten Fluchtroute nach Chan Junis gehen, wie ein Sprecher der Armee in arabischer Sprache auf X mitteilte. Dort sei in den angegebenen Stunden Bewegung "ohne Schaden" möglich.
Die Zahl der bei israelischen Angriffen im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist am Samstag (Stand: 11.15 Uhr) auf 2.215 gestiegen. Zudem seien 8.714 Menschen verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium im Gazastreifen am Samstag mit.
Augenzeugen: Panik unter Bevölkerung im Gazastreifen
Augenzeugen berichteten von Panik unter der Bevölkerung. Menschen in Autos, auf Lastwagen, mit Eselskarren und zu Fuß machten sich auf der einzigen Hauptstraße des Gebiets Richtung Süden auf. Die im Gazastreifen herrschende Hamas versuchte, fliehende Zivilisten davon abzuhalten, dem israelischen Aufruf zur Räumung des Nordens zu folgen. Sie sollten nicht auf die "Propagandanachrichten" hereinfallen, hieß es.
Laut Hamas-Angaben sollen Luftangriffe der israelischen Streitkräfte 70 Menschen auf der Flucht in den Süden des Gazastreifens getötet und 200 weitere verletzt haben. Die meisten Opfer seien Kinder und Frauen, erklärte ein Sprecher der Islamistenorganisation am Freitag. Drei Konvois seien getroffen worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Vom israelischen Militär gab es keine Bestätigung. Die Berichte würden geprüft, hieß es dort.
Die Armee vermutet Mitglieder der Hamas in Tunneln unterhalb der Häuser und auch in Wohngebäuden der Menschen. Der Aufruf zur Evakuierung sei auf verschiedenen Wegen verschickt worden. Das israelische Militär warf der Hamas vor, zu versuchen, die Bevölkerung daran zu hindern, sich in Sicherheit zu bringen, und sie als "menschlicher Schutzschild" zu missbrauchen.
Im Video: ARD-Korrespondent Christian Limpert über die Lage
UN-Generalsekretär Guterres fordert Zugang zum Gazastreifen
Die UN forderten Israel auf, die Anweisung zur Evakuierung der etwa 1,1 Millionen Menschen zu widerrufen. UN-Generalsekretär António Guterres forderte sofortigen Zugang zum Gazastreifen für humanitäre Hilfe. "Auch Kriege haben Regeln", betonte er am Freitag in New York. "Wir brauchen sofortigen humanitären Zugang zu ganz Gaza, damit wir den Bedürftigen Treibstoff, Nahrung und Wasser zukommen lassen können", forderte er mit Blick auf die israelische Blockade der Küstenenklave.
Nach Angaben der UNO sind bereits mehr als 1.300 Gebäude komplett zerstört worden. Davon betroffen seien 5.540 Wohneinheiten, teilte das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (Ocha) am Samstag mit. Rund 3.750 weitere Häuser seien so stark beschädigt worden, dass sie vorerst unbewohnbar seien.
Saudi-Arabien und Ägypten kritisierten ebenfalls den Aufruf zur Massenevakuierung. Saudi-Arabien lehne die "Zwangsumsiedlung" ab, teilte das Außenministerium am Freitag mit. Jordaniens Außenminister Ayman Safadi warnte ebenfalls, jeder Schritt Israels mit der Folge einer Vertreibung von Palästinensern im Gazastreifen führe die Nahost-Region an den Abgrund eines größeren Konflikts. Safadi bezeichnet es zudem als eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht, dass Israel humanitäre Hilfe für den Gazastreifen blockiere.
Medico International: Verheerende Lage im Gazastreifen
Ein Flugzeug mit medizinischen Hilfsgütern der Weltgesundheitsorganisation für den Gazastreifen ist am Samstag auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel gelandet. Dort warte die Maschine am Flughafen Al-Arisch auf die Wiedereröffnung des Grenzübergangs Rafah, teilte der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, mit. "Wir sind bereit, die Hilfsgüter zu verteilen, sobald der humanitäre Zugang über den Grenzübergang hergestellt ist", schrieb Tedros auf X.
Die Lage der Menschen im Gazastreifen sei verheerend, betonte die Hilfsorganisation Medico International. Der Israel-Experte Riad Othman sagte am Samstag im Inforadio des Rundfunks Berlin-Brandenburg, es gebe für aus dem Norden des Gazastreifens fliehende Menschen quasi keine Aufnahmekapazitäten in anderen Landesteilen.
Die Menschen müssten jetzt auf Straßen und Feldern campieren. Einige kämen sicherlich bei Freunden und Verwandten unter, andere in Einrichtungen des UN-Hilfswerkes. Diese Einrichtungen seien allerdings gar nicht darauf vorbereitet, sagte Othman. Es seien keine Vorräte vorhanden, Lebensmittel und Medikamente kämen durch die Blockade des Gazastreifens nicht an.
Saudi-Arabien setzt Gespräche über Annäherung an Israel aus
Am Samstag wurde aus Saudi-Arabien bekannt, die Gespräche über eine mögliche Normalisierung der Beziehungen mit Israel seien ausgesetzt worden. "Saudi-Arabien hat beschlossen, die Gespräche über eine mögliche Normalisierung zu unterbrechen", sagte eine regierungsnahe Quelle am Samstag in Riad den Nachrichtenagenturen dpa und AFP. Die US-Regierung sei über diesen Schritt informiert worden.
Zwischen Israel und Saudi-Arabien hatte sich jüngst eine Annäherung abgezeichnet. Eine mögliche Normalisierung der Beziehungen wurde von US-Präsident Joe Biden vorangetrieben. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas könnte die Annäherung nun aber gefährden.
Israels Militär tötet Terroristen bei Eindringen aus dem Libanon
Das israelische Militär hat am Samstag indes nach eigenen Angaben an der Grenze zum Libanon mehrere mutmaßliche Angreifer getötet. Eine "Terrorzelle" habe versucht, auf israelisches Gebiet vorzudringen, teilte die Armee am Samstag mit. Bei einem Drohnenangriff seien "mehrere Terroristen" getötet worden.
Die Lage im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon ist seit dem Hamas-Großangriff auf Israel angespannt. Am Freitagabend wurde ein Journalist der Nachrichtenagentur Reuters in einem grenznahen Dorf im Südlibanon getötet, das nach Angaben aus libanesischen Sicherheitskreisen von der israelischen Armee beschossen wurde. Sechs weitere Journalisten, die für Reuters, die Nachrichtenagentur AFP und den katarischen Nachrichtensender Al-Dschasira arbeiten, wurden verletzt. Man habe Bildmaterial und untersuche die Umstände, erklärt das israelische Militär, das von einem "tragischen Vorfall" spricht.
US-Präsident Biden will verschleppte Staatsbürger freibekommen
Das Schicksal vieler verschleppter Menschen nach Gaza ist derweil weiter unklar. US-Präsident Joe Biden versprach, sich für die von der Hamas verschleppten US-Geiseln einzusetzen. "Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um sie nach Hause zu bekommen, wenn wir sie finden können", sagte Biden in einem Interview mit dem US-Sender CBS.
Das Schicksal der Betroffenen gehe ihm sehr nahe. Biden telefonierte am Freitag auch mit Angehörigen der 14 US-Bürger, die seit dem Angriff der Hamas auf Israel vermisst werden. Das gab das Weiße Haus bekannt, ohne Details zum Inhalt der Gespräche.
Baerbock spricht in Tel Aviv mit Angehörigen von Hamas-Geiseln
Auch die Bundesregierung ist um die Freilassung der Gefangenen bemüht. Bei ihrem Besuch in Israel traf Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Angehörige deutscher Hamas-Geiseln und rief die radikale Palästinenserorganisation dazu auf, alle verschleppten Menschen freizulassen. "Lassen Sie diese unschuldigen Menschen, lassen Sie diese unschuldigen kleinen Mädchen frei", sagte Baerbock in Tel Aviv.
Während ihres Besuches musste die Ministerin wegen Raketenalarms in einen Schutzraum, am Abend reiste sie weiter nach Kairo. Dort traf sie sich am Samstagmorgen mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan. Die beiden Minister hätten sich unter anderem über die gemeinsamen Bemühungen um die Freilassung der verschleppten deutschen Geiseln und die Fragen des humanitären Zugangs nach Gaza ausgetauscht, hieß es am Samstag aus deutschen Delegationskreisen.
Russland fordert im UN-Sicherheitsrat "humanitäre Waffenruhe"
Russland hat im UN-Sicherheitsrat eine sofortige Feuerpause im Konflikt zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas gefordert. Der russische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensia, legte am Freitag bei der Sitzung des UN-Gremiums einen Resolutionsentwurf vor, in dem ein "humanitärer Waffenstillstand" und die Freilassung aller Geiseln verlangt werden.
"Wir sind überzeugt, dass der Sicherheitsrat handeln muss, um dem Blutbad ein Ende zu machen und zu Friedensverhandlungen zurückzukehren, mit der Perspektive, einen Palästinenserstaat zu schaffen, wie es seit langem vorgesehen ist", sagte Nebensia nach der Sicherheitssitzung hinter verschlossenen Türen.
Zugleich wies der russische UN-Botschafter den USA die "Verantwortung für den drohenden Krieg im Nahen Osten" zu und warf der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach deren Solidaritätsbesuch in Israel vor, "die Angriffe der israelischen Luftwaffe auf zivile Infrastruktur im Gazastreifen" bewusst zu ignorieren.
Über 800 weitere Deutsche mit Sonderflügen ausgeflogen
Die Lufthansa hat am Freitag mit vier vom Auswärtigen Amt organisierten Sonderflügen mehr als 800 deutsche Staatsangehörige aus Israel nach Deutschland geflogen. Insgesamt waren wie am Vortag vier Flugzeuge eingesetzt worden, hieß es aus dem deutschen Außenministerium in Berlin – jeweils zwei nach Frankfurt und nach München.
Am Donnerstag hatten laut Auswärtigem Amt insgesamt 950 Deutsche und ihre Angehörigen nach den Terrorangriffen der Hamas Israel verlassen – außer den vier Sonderflügen sei als weitere Option eine Fähre nach Zypern organisiert worden. Ab Samstag seien keine weiteren Sonderflüge geplant, teilte die Lufthansa mit. Hintergrund seien "neben der ungewissen Sicherheitslage auch ungelöste Fragen der operativen Stabilität in Tel Aviv", hieß es.
- Zum Artikel: Lufthansa verlängert Flugstopp nach Israel bis 22. Oktober
Mit Informationen von dpa und AFP und reuters
Im Video: Anzeichen für Bodenoffensive nehmen zu
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