Wir treffen Rita Bolla in einem kleinen ungarischen Dorf, etwa 60 Kilometer von Budapest. Sie und sieben Freiwillige bereiten eine „Zeitungs-Tour“ vor. Ihre Zeitung heißt übersetzt „Druck es aus!“ und hat nur vier Seiten – mit Informationen, die in den regierungsnahen Zeitungen Ungarns nicht mehr auftauchen.
Das Team startet zweimal die Woche ins Ungewisse. Knapp 2000 Ausgaben drucken und verteilen sie in Orten, wo Menschen teilweise aggressiv die Regierungsmeinungen vertreten. Finanziert wird die Zeitung durch freiwillige Spenden.
"Wir stellen unsere Zeitung aus Nachrichten der unabhängigen Presse zusammen. Wir wählen Meldungen aus, die auch für Leute auf dem Land interessant sind. Wir wollen die Informationen mit ihnen teilen, die sie dort nicht bekommen. Wir möchten sie aus der Nachrichtenblase befreien, in der sie dank der Regierungspresse bereits leben." Rita Bolla, Zeitungsmacherin
Briefkasten um Briefkasten arbeiten sie sich durch das ganze Dorf. Die meisten Menschen freuen sich über die Zeitung. Eine Dorfbewohnerin erzählt uns, dass in der Zeitung gute Geschichten zu finden sind. Doch nicht alle zeigen Begeisterung, wie wir ein paar Straßen weiter bemerken: „Bei uns keine Zeitung einwerfen, das habe ich schon mal gesagt! Ich will das nicht! Diese Dreckszeitung interessiert mich nicht“, ruft eine verärgerte Frau. In solchen Situationen versucht Rita Bolla, ruhig und freundlich zu bleiben. Manchmal gelingt es ihr sogar, die Menschen trotzdem zu überzeugen, einen Blick in die Zeitung zu werfen, erzählt sie uns. Ihr ist das Zeitungsprojekt sehr wichtig, denn sie glaubt an die Demokratie.
Die Pressefreiheit in Ungarn – ein Anschlag auf die europäische Demokratie?
Die NGO „Reporter ohne Grenzen“ meldet, dass sich die Medienlandschaft Ungarns unter Viktor Orbán verschlechtert hat. Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt Ungarn, nach Bulgarien, den schlechtesten Platz in der EU – Platz 89 von 180 Ländern. Die NGO schreibt auf ihrer Website, dass die regionale Presse seit dem Sommer 2017 vollständig im Besitz Orbán-freundlicher UnternehmerInnen sei. Anlässlich der Corona-Krise habe die ungarische Regierung zudem die Verbreitung falscher oder „irreführender“ Nachrichten unter Strafe gestellt. Welche Nachrichten das sein sollen, scheint allerdings nicht klar definiert zu sein.
Attacken gegen die Pressefreiheit häufen sich in der EU
Für Schlagzeilen sorgte erst letzte Woche der Fall der österreichischen Journalistin Franziska Tschinderle. Tschinderle, die für das österreichische Magazin „Profil“ arbeitet, wurde im ungarischen Staatsfernsehen diffamiert. Grund dafür war ein Report zum Thema „Neue europäischen Rechte“, an dem die Journalistin derzeit gemeinsam mit einer Kollegin arbeitet. Drei Fragen hatte sie an die Fidesz-Fraktion in Brüssel gemailt. Daraufhin sendete das ungarische Fernsehen einen dreiminutigen Beitrag in dem es u.a. hieß, die „Amateurjournalistin“ habe die Europaabgeordnete der Regierungspartei Fidesz „mit Fragen provoziert“. Dass ausländische JournalistInnen, die kritische Fragen stellen, angegriffen werden ist ein neueres Phänomen, welches wir ebenfalls in anderen EU-Ländern beobachten können.
ARD-Korrespondent Nikolaus Neumaier von slowenischen Ministerpräsidenten angegriffen
So wurde letzte Woche auch unser Chefkorrespondent Nikolaus Neumaier vom slowenischen Ministerpräsidenten Janez Janša persönlich auf Twitter angegriffen und beleidigt. Ihm wurde eine Zensur im Stil von „Pravda“ oder „Der Stürmer“ vorgeworfen. Jansa bezog sich auf einen Beitrag vom 08. April in den Tagesthemen über die Lage der Medien in Slowenien. Der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Christian Nitsche, wies die Äußerungen Janšas zurück und erklärte: „Die Vorwürfe des slowenischen Ministerpräsidenten sind völlig haltlos und böswillig diffamierend. Der inakzeptable Geschichtsvergleich ist zugleich ein Versuch, unabhängigen Journalismus zu diskreditieren.“ Beide Fälle sorgten international für viel Kritik und Entsetzen, auch unter den PolitikerInnen der eigenen EVP-Gruppe.
Seit dem EU Beitritt hat die Pressefreiheit in Bulgarien abgenommen. Bulgariens zuletzt zurückgetretener Ministerpräsident Boyko Borissow hat in seiner Amtszeit JournalistInnen mit lauten Truthähnen verglichen oder sich anderweitig über sie lustig gemacht. Nicht zu vergessen ist sein vom Geländewagen aus geführter Wahlkampf auf Facebook. Auf diesem Wege ist es Borissow gelungen, kritischen Fragen aus dem Weg zu gehen.
"Psst, psst, leise! Guten Tag, warum gackert ihr denn so?!" Boyko Borissow bei einem Medientermin 2019
Diese gehäuften Fälle zeigen, dass die Pressefreiheit in der EU in Gefahr ist bzw. dass sie von einigen PolitikerInnen nicht ernst genommen wird. Zeitungsprojekte wie das von Rita Bolla versuchen, dagegen anzukämpfen. Ihr Ziel sei es, irgendwann alle zwei Millionen UngarInnen auf dem Land mit ihrer unabhängigen Zeitung versorgen zu können. Bis dahin sei es aber noch ein langer Weg.