Fridays-for-Future-Aktivisten mit einem Ballon, der eine Weltkugel darstellt
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Peter Gercke

Fridays-for-Future-Aktivisten mit einem Ballon, der eine Weltkugel darstellt

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Junge Menschen und Klimawandel: Revolution, Reform oder Dialog?

Wie man mit dem Klimawandel umzugehen hat, beurteilen junge Menschen ganz unterschiedlich. Während manche zu radikalen Maßnahmen greifen, setzen andere auf Dialog. Die grundsätzliche Frage dahinter: Ist das alte Wohlstandsmodell überholt?

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik am .

Arthur Germain lebt in Paris, ist ein gut gebauter, 21 Jahre junger Mann mit langem blonden Haar. Warum es wichtig ist zu sagen, dass er gut gebaut ist? Nun ja, Arthur Germain schwimmt. Und zwar sehr viel und sehr lange. Mit 16 Jahren nahm Arthur Germain an einem Rennen teil, das von Dakar im Senegal zur Insel Gorée führte.

"Als ich im Meer schwamm, war das eine sehr intensive Erfahrung", sagt Arthur Germain. "Es lag ein Ölfilm auf dem Wasser, überall waren Plastikflaschen. Das hat mich als Liebhaber des Wassers und des Schwimmens geprägt." Seitdem engagiere er sich für die Umwelt.

Aktivist: "Das System fährt direkt auf eine Wand zu"

Kurz danach durchschwamm Arthur Germain den Ärmelkanal: 52 Kilometer in 9 Stunden und 47 Minuten. Er möchte damit auf Umweltverschmutzung aufmerksam machen. Denn sportliche Herausforderungen ziehen viele Blicke auf sich.

Germain sagt, in den westlichen Ländern lebe man im Überfluss. Es gehe um materiellen Reichtum, statt um das, was wir zum Leben wirklich brauchen. "Es ist ein vollkommener Irrsinn", erklärt er. "Wir haben lauter Krisen: Gesundheit, Umwelt, Sozial - das System fährt direkt auf eine Wand zu."

Ist das alte Wohlstandsmodell überholt?

Germain nahm sich also ein neues Projekt vor: Er schwamm die ganze Seine entlang: 774 Kilometer in 49 Tagen. Er kochte und schlief in der Natur. "Ich wollte zeigen, dass ich glücklich sein kann, obwohl es anstrengend war, das Umfeld schwierig, ich kaum Nahrung bei mir hatte. Ich hatte nichts dabei, um mich abzulenken."

Bildrechte: picture alliance / abaca | Zabulon Laurent/ABACA
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Arthur Germain bei seinem Leben in und entlang der Seine

Die ersten 30 Tage seien hart gewesen. Aber dann, Schritt für Schritt, war er immer mehr begeistert, sagt er. Germain ist Extremschwimmer, Aktivist, Utopist, Abenteurer.

Er stellt eine Frage, die viele junge Menschen weltweit aufwerfen: Ist das Wohlstandsmodell, das ihre Eltern und schon Großeltern entworfen haben, überholt? Die Antworten darauf fallen in der jungen Generation durchaus unterschiedlich aus.

Ukraine-Krieg macht Kampf gegen Klimawandel schwieriger

Gerade tobt der Krieg in der Ukraine, Deutschland bezieht aber weiterhin Energien aus Russland, braucht jetzt sogar mehr klimaschädliche Kohlekraft, weil sonst der Wohlstand gefährdet wäre.

"Wir haben hier eine klimapolitisch schädliche Entscheidung, die man vielleicht nicht anders treffen kann", sagt Fridays-for-Future-Sprecherin Carla Reemtsma. "Das heißt aber auch, es muss eine andere klimapolitische Entscheidung geben – beispielsweise der Kohleausstieg muss dann bis 2030 festgeschrieben werden – und es braucht einen Plan, wie die Emissionen, die jetzt mehr ausgestoßen werden, eingespart werden können."

"Letzte Generation" in der Kritik: "Sehr problematisch"

Andere gehen gegen die Klimapolitik der Bundesregierung weitaus radikaler vor. Die Aktionsgruppe "Letzte Generation" etwa. Hier traten Mitglieder in den Hungerstreik, damit Bundeskanzler Olaf Scholz sich stärker gegen die Klimakrise einsetzt.

Ein Weg, den die Vorsitzende der Jungen Liberalen Franziska Brandmann nicht für richtig hält. "Das Aneinanderkleben an den Straßen zum Beispiel, das Blockieren von Wegen, bei denen teilweise Rettungswagen nicht mehr hinterherkommen - das finde ich sehr problematisch." Das sei nicht der richtige Weg, um Veränderungen herbeizuführen, findet Brandmann.

Politikverdrossenheit bei französischen Jungwählern

Bei der Bundestagswahl holte die FDP bei den Erstwählern das beste Ergebnis, knapp vor den Grünen. Diese Wählerinnen und Wähler, sagt Brandmann, hatten zum Beispiel das Thema Rentenreform ganz weit oben auf der Wunschliste. Doch Jung gegen Alt, diesen Konflikt will Franziska Brandmann nicht austragen. "Ich glaube, dass das gegeneinander Ausspielen nichts bringt, sondern, dass wir als Gesellschaft uns fragen müssen: Wie soll Politik weiter gestaltet werden?"

Doch genau diese Hoffnung scheinen junge Menschen in Frankreich verloren zu haben, sagt Arthur Germain. "Wenn man sich die Parlamentswahl in Frankreich anschaut, dann haben sich 70 Prozent der 18-34-Jährigen nicht an Wahl beteiligt. 70 Prozent!"

Sohn der Pariser Bürgermeisterin fordert Revolution

Die Politik, ist der Naturliebhaber sicher, kann in der Situation, in der sich die Menschheit befindet, nicht mehr weiterhelfen. Politikern fehle die Macht, um wirklich tiefgreifende Veränderungen herbeizuführen. "Sie können reformieren, aber keine Revolution in Gang bringen, wie ich sie für nötig halte."

Das sagt der 21-Jährige, dessen Eltern beides bekannte sozialistische Politiker sind. Arthur Germains Mutter ist die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die im Frühling auch Präsidentschaftskandidatin war. Ihr Sohn ging damals nicht zur Wahl. Denn er sagt, auch seine Mutter könne den Systemumsturz nicht herbeiführen, den es jetzt brauche.

Germains Vorschläge sind radikal: Man solle kein Essen mehr im Supermarkt kaufen, man solle aufhören zu wählen. Die Menschen sollten sich neu gruppieren in kleinen, lokalen Strukturen. "Nur so kann sich ein Volk auflehnen - in einem ultralokalen System", sagt Germain.

"Generation des Weltuntergangs"

Schluss mit dem Überfluss. Schluss mit Berufen, die nur dazu da sind, ein System am Leben zu halten, das zum Scheitern verdammt ist. Dafür wieder mehr Zeit für sich. So die Utopie von Arthur Germain. Die Fridays-for-Future-Sprecherin Carla Reemtsma würde nicht ganz so weit gehen, vor allem nicht, wenn es um die Demokratie geht.

"Stabile Demokratien und Klimagerechtigkeit gehen miteinander einher", sagt Reemtsma. Gleichzeitig hieße das aber auch, dass man im demokratischen Prozess darüber nachdenken müsse, wie das aussehen kann. "Zum Beispiel, wenn wir Klimaziele immer nur so stecken, dass sie nicht reichen oder nur ganz knapp ausreichen, dann bringen wir sie einfach aufgrund der Situation, dass immer wieder andere politische Prozesse und Ereignisse dazwischenkommen, in Gefahr."

Kann Politik die großen Probleme überhaupt lösen? Es wäre nicht das erste Mal, dass in Frankreich dazu revolutionärere Positionen vorherrschen als in Deutschland. Große Pariser Zeitungen betiteln die jungen Menschen etwa mit dem Spitznamen "génération fin du monde", die Generation des Weltuntergangs.

Mehr zum Thema in der Sendung 'Dossier Politik': Zwischen Komfortzone und Utopie - Wie veränderungsbereit ist die Gesellschaft? Am Mittwochabend um 21.05 Uhr auf Bayern2.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!