Pavlo verbringt seine Haft in einem ehemaligen Kloster, im Jugendstrafvollzug in freier Form.
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Junge Straftäter: Knast oder Kloster?

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Junge Straftäter: Knast oder Kloster?

5.000 Menschen unter 25 Jahren sitzen in deutschen Gefängnissen. Hier sollen sie resozialisiert werden. Doch rund 65 Prozent kommen nach ihrer Entlassung innerhalb von drei Jahren wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Helfen Alternativen zum Knast?

Über dieses Thema berichtet: BR Story am .

Erziehung gilt im Jugendstrafrecht als oberstes Ziel. Daher verhängen Jugendgerichte, bevor sie zu einer Freiheitsstrafe verurteilen, andere Sanktionen: Erziehungsmaßregeln oder sogenannte "Zuchtmittel" wie Verwarnungen, Auflagen oder Jugendarrest.

Wer also als Jugendlicher ins Gefängnis kommt, hat definitiv schon mehrere schwere Straftaten begangen. "Es ist die letzte Maßnahme", betont Prof. Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Eine Maßnahme, die jedoch eine große Krux hat: "Wir haben es natürlich im Vollzug mit einer Ansammlung von sehr problematischen Menschen zu tun, bei denen man in vielen Fällen schon vieles ausprobiert hat, was nicht gefruchtet hat oder was nicht funktioniert hat", so der Experte. Und die treffen in der Vollzugsanstalt aufeinander.

Die Folge: Die Resozialisierung im Gefängnis scheitert gerade bei jungen Straffälligen häufig. Denn der Alltag in den JVAs kann den jungen Menschen oft nicht gerecht werden: Wegschluss, Konflikte mit Mithäftlingen, zu wenig Betreuung nach Haftentlassung und Stigmatisierung erschweren die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Dazu kommt: Die Betreuungsmöglichkeit der Inhaftierten durch Psychologen und Sozialarbeiter ist begrenzt.

Kritik am deutschen Strafvollzug

Thomas Galli, der selbst viele Jahre als Gefängnisdirektor gearbeitet hat, zählt inzwischen zu den größten Kritikern des deutschen Strafvollzugs. Seiner Meinung nach kommen die Straffälligen im Gefängnis in ein völlig falsches Umfeld, "das sie womöglich auf einem kriminellen Weg noch bestärkt, oder jedenfalls nicht von diesem kriminellen Weg herunterführt."

Man müsse junge Menschen schon vorher intensiv betreuen, statt sie später wegzusperren. "Am besten in seinem realen Leben begleiten und betreuen und versuchen, das zu ersetzen, was das Elternhaus offensichtlich nicht geben kann." Auch Thomas Bliesener räumt ein, dass sich Häftlinge in Jugendvollzugsanstalten häufig in einer "problematische Gemengelage" befinden, "die der Resozialisierung auch nicht zuträglich ist".

"Projekt Chance" – Eine freie Form des Strafvollzugs

Es gibt auch Alternativen zum Gefängnis. Der 20-jährige Pavlo wurde zu einem Jahr und zehn Monaten Haft verurteilt. Doch in seinem Strafvollzug gibt es keine Gitter und verschlossene Zellen – dafür ist der Tagesablauf streng und beginnt schon um 6 Uhr morgens mit Sport. Es folgen Arbeit und Haushaltsdienste.

Pavlo nimmt am Resozialisierungsprogramm "Projekt Chance" teil, das bereits seit 20 Jahren vom Christlichen Jugenddorfwerk Deutschland in einem ehemaligen Kloster, in Creglingen in Baden-Württemberg durchgeführt wird. Es ist eine freie Form des Strafvollzugs, wie sie im Moment nur noch in Sachsen und Brandenburg existiert.

Die Chance für Intensivtäter im Kloster

Junge Intensivtäter zwischen 14 und 21 Jahren können im ehemaligen Kloster an einem speziell für sie konzipierten pädagogischen Training teilnehmen. Nur wenige bekommen diese Chance. Die meisten hier sind Intensivtäter. Das heißt: Sie haben mehrmals schwere Straftaten wie Körperverletzung, Raub oder Betrug begangen.

Pavlo wurde vom Jugendgefängnis Adelsheim hierher verlegt. Der 20-Jährige hatte bereits mehrere Bewährungsstrafen, bevor er ins Gefängnis kam. Sein Vater starb, als er neun Jahre alt war. Seiner Mutter wurde das Sorgerecht entzogen, sodass er in verschiedenen Pflegefamilien und Heimen lebte. Schon mit 14 geriet er auf die schiefe Bahn – und landete schließlich in der JVA. An seinen ersten Tag dort erinnert er sich gut: "Das war das Schlimmste. Ich habe echt gedacht, ich packe es, aber es hat mich schon zerstört."

Sozialverhalten und Rücksichtnahme trainieren

Pavlo konnte zum "Projekt Chance" wechseln: Hier hat er ein eigenes Zimmer, das nie verschlossen wird - auch nachts nicht. Zimmerkontrolle steht trotzdem täglich auf dem Programm. Doch dabei geht es vor allem um Sauberkeit. Und: Es sind die Jugendlichen selbst, die sich hier gegenseitig kontrollieren. Im Projekt Chance sollen die jungen Straftäter Sozialverhalten, Durchhaltevermögen und Rücksichtnahme neu erlernen und trainieren.

Wer sich anstrengt und die mit dem Trainer vereinbarten Ziele erreicht, wird belohnt: mit Fahrten nach Hause, Verlängerung der Telefonzeiten, Training im Fitnessraum. Neben diesen kleinen Zielen hat Pavlo auch ein großes: Er will sich verändern, keine Straftaten mehr begehen.

Und: Er möchte nach seiner Haftzeit eine Ausbildung als Hotelfachmann beginnen. Im "Projekt Chance" arbeitet er gemeinsam mit den Trainern hart daran, seine Ziele zu erreichen. An eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung ist nur zu denken, wenn seine Entwicklung erkennbare Fortschritte macht und er lernt, seine Impulse unter Kontrolle zu halten.

Betreut durch Pädagogen

Schon heute arbeitet er die ganze Woche über in den Werkstätten. Das ist Pflicht – auch für diejenigen, die vormittags die hauseigene Schule besuchen. Ob beim Mauern, beim Malen oder in der Schreinerei: Mit ihrer Arbeit renovieren die Jugendlichen "ihr" Kloster. Zur Seite stehen ihnen dabei die Arbeitspädagogen. Außerdem gibt es sogenannte Bezugstrainer, mit denen jede Woche Fortschritte und Ziele besprochen werden.

Robert Ileka, der Leiter der Einrichtung, will, dass Pavlo Verantwortung übernimmt, für die Vergangenheit und für seine Zukunft. "Das ist eine harte innerliche Arbeit. Und ich bin überzeugt, dass das genau die richtige Arbeit ist. Es geht nicht darum, nur zu strafen. Sondern das Anliegen ist es ja, zu erziehen und Entwicklung zu fördern und eine positive Entwicklung zu fördern", sagt er.

Zehn pädagogische Fachkräfte arbeiten teils rund um die Uhr mit 21 Jugendlichen – das ist ein hoher Betreuungsschlüssel im Vergleich zum Jugendgefängnis in Adelsheim: Dort ist ein Sozialarbeiter für 32 Häftlinge zuständig.

Statistiken: Rückfallquoten und Verurteilungen

Die hohen Rückfallquoten, vor allem bei jungen Straffälligen, scheinen die Kritik am Strafvollzug zu bestätigen. Eine bundesweite Untersuchung hat ergeben: Etwa 64 Prozent der zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung Verurteilten kommen innerhalb von drei Jahren nach der Entlassung wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Und knapp 27 Prozent davon kehren sogar wieder in den Vollzug zurück.

Bessere Ergebnisse liefert der offene Vollzug mit der Möglichkeit, draußen arbeiten zu gehen: Studien zeigen, dass Straffällige nach offenem Vollzug seltener rückfällig werden als nach geschlossenem. Und trotzdem durchlaufen ihn in Deutschland nur wenige: In Nordrheinwestfalen und Berlin sind es rund ein Viertel aller Strafgefangenen, in Ländern wie Bayern und Thüringen weniger als fünf Prozent.

Und wie schneidet der "Vollzug in freien Formen" ab? Im Hinblick auf die Rückfallquote lassen sich Projekte wie in Creglingen mit dem regulären Strafvollzug nicht seriös vergleichen, da dort die Teilnehmer bereits einer bestimmten Vorauswahl unterliegen.

Insgesamt nimmt die Zahl der zu einer Freiheitsstrafe verurteilten jungen Menschen unter 25 aber kontinuierlich ab. In den letzten acht Jahren ist sie um fast 40 Prozent zurückgegangen. Die Ursachen: Es werden weniger Straftaten von jungen Menschen verübt und Jugendgerichte verurteilen inzwischen seltener zu einer Freiheitsstrafe. Einzig die Zahl der tatverdächtigen Kinder unter 14 Jahren ist im Jahr 2022 in einigen Bundesländern erheblich gestiegen.

Positive Prognose für Pavlo

Für Pavlo hat sich die Mühe gelohnt: Er hat im ehemaligen Kloster hart an sich gearbeitet, ist zum Ende hin diszipliniert und pünktlich. Er hat sogar einen Ausbildungsplatz als Hotelfachmann gefunden. Der Arbeitgeber stellt auch eine Wohnung. Aber ob er vorzeitig entlassen wird, hängt auch davon ab, ob er gelernt hat, seine Impulse zu kontrollieren. Hat er: Pavlo bekam nicht nur eine positive Stellungnahme vom Team im Projekt Chance, auch die JVA in Adelsheim und der Richter haben sich dieser angeschlossen.

"Wir brauchen solche alternativen Vollzugsformen, denn sie zeigen, - das zeigt auch jetzt dieses Beispiel von Pavlo - dass es gelingen kann jemanden von diesen schwierigen Bedingungen hier relativ schnell auch wieder zu befreien. Und das ist wirklich ein ganz tolles Beispiel dafür, wie wertvoll diese Projekte sind, weil da einfach auch ein höherer Betreuungsschlüssel da ist, und mehr Möglichkeiten sind, dann auch die Resozialisierung zu fördern." Katja Fritsche, Gefängnisleiterin der JVA Adelsheim

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