Ist der Strom erst einmal weg, bricht innerhalb kürzester Zeit unsere gesamte Infrastruktur zusammen. Telefonieren wird schon nach ein paar Minuten nicht mehr möglich sein, Ampeln und Geldautomaten funktionieren nicht mehr. In Kühlschränken beginnt Essen zu verschimmeln - irgendwann kommt vielerorts selbst aus dem Wasserhahn kein Tropfen mehr.
Die Möglichkeit eines "Blackouts", also eines großflächigen Stromausfalls, der alles für mehrere Stunden oder gar Tage lahmlegt, jagt vielen Menschen Angst ein. Viele fragen sich: Bin ich vorbereitet? Habe ich Taschenlampen, Wasservorräte und genügend Konserven gelagert?
YouTuber behauptet: Energiewende macht Blackouts wahrscheinlicher
Ein bayerischer YouTuber behauptet in einem Video, ein solcher "Blackout" werde mit der fortschreitenden Energiewende deutlich wahrscheinlicher. Der Grund: Generatoren, die aktuell eine Überlastung des Stromnetzes ausgleichen können und verhindern, dass es zu einem Stromausfall kommt, würden mit Umrüstung auf erneuerbare Energien wegfallen. Im Video heißt es im Zusammenhang mit dem Ausfall von mehreren Kraftwerksblöcken in einem Kohlekraftwerk in Polen, der durch solche Generatoren ausgeglichen werden konnte:
"Können wir in zwei Jahren so einen Fehler auch noch ausbügeln? Oder würde so ein Fehler vielleicht in Deutschland zum Blackout führen? Das ist das Problem unserer Energiewende."
Ähnliche Behauptungen werden seit Jahren von rechten Medien, wie dem rechtsextremen Meinungsblog "PI-News", verbreitet. Auch Gegner der Energiewende argumentieren häufig mit einem dann angeblich drohenden "Blackout".
Steigert die Umstellung auf erneuerbare Energien tatsächlich die Gefahr eines Blackouts? Welche Herausforderungen gibt es - und wie könnten sie gelöst werden? Ein #Faktenfuchs.
Wie funktioniert das Stromnetz?
Um verstehen zu können, welchen Einfluss die Energiewende auf das Stromnetz in Europa und Deutschland hat, muss man zuerst verstehen, wie das Stromnetz funktioniert. In Deutschland gibt es vier Regelzonen, die von den Übertragungsnetzbetreibern Amprion, TenneT, 50Hertz und TransnetBW betrieben werden. Im europäischen Stromnetz ist Deutschland mit den anderen europäischen Länder verbunden.
Das Stromnetz ist darauf ausgelegt, dass immer nur so viel Strom produziert wird, wie auch verbraucht wird. Deshalb muss Strom, der in Deutschland nicht verbraucht werden kann, schnell ins Ausland weiterverkauft werden. Umgekehrt gilt das gleiche: Wenn in Deutschland nicht genug Strom produziert wird, dann muss Strom aus dem Ausland zugekauft werden.
Welches Land wie viel Strom für welchen Preis kauft oder verkauft wird am europäischen Stromhandel, einer Art Börse für Strom, entschieden.
Grundsätzlich liegt die Netzfrequenz in Europa bei 50 Hertz, Schwankungen zwischen 49,8 und 50,2 Hertz sind normal. Wenn aber zum Beispiel ein Kraftwerk ausfällt und die Frequenz unter die Schwelle von 49,8 Hertz fällt, dann gibt es Sicherheitsmechanismen, die das Netz stabilisieren. So wird dafür gesorgt, dass es eben nicht zu einem Stromausfall kommt.
Wie ist das deutsche Stromnetz gesichert?
Ein wichtiges Sicherheitsprinzip ist die sogenannte Momentanreserve, die im Falle einer Frequenzveränderung unmittelbar dafür sorgt, dass sich das Netz stabilisieren kann. Das sind mehrere hundert Tonnen schwere, rotierende Generatoren in Kern- und Kohlekraftwerken, die in ihrer Bewegung Energie speichern. Jedes konventionelle Kraftwerk stellt Momentanreserve - oder Schwungmasse - zur Verfügung. Über das Stromnetz sind diese Generatoren europaweit miteinander verbunden. Wenn einer davon ausfällt, kann die Masse der Generatoren den Frequenzabfall ausgleichen - ähnlich wie bei einem Tandem, wenn einer aufhört zu treten.
"Diese Schwungmassen werden im Laufe der Energiewende nicht verschwinden", schreiben die Übertragungsnetzbetreiber in ihrer Stellungnahme an den #Faktenfuchs. „Sie müssen aber teilweise durch neue und teilweise auch bekannte technische Lösungen ersetzt werden." Daran arbeite man kontinuierlich.
Ein zentrales Sicherheitsprinzip ist außerdem das sogenannte "n-1-Kriterium". Das bedeutet, dass zum Beispiel beim Ausfall einer Leitung immer Ersatz zur Verfügung steht. So entstehe ein großer Sicherheitspuffer, schreiben die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Um die Sicherheit des Stromnetzes zu gewährleisten gibt es außerdem noch weitere Maßnahmen, die von der Bundesnetzagentur hier zusammengefasst wurden.
Wie könnte die Momentanreserve in Zukunft ersetzt werden?
Laut den Übertragungsnetzbetreibern müssen manche technische Lösungen erst noch erfunden werden. Für die Momentanreserve gibt es schon jetzt Alternativen.
Zum Beispiel könnten Windkraftanlagen die Momentanreserve liefern, wie das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) erforschte. In Schottland wurde das bereits sechs Wochen lang getestet. Welche Erfahrungen damit gemacht wurden, können Sie hier nachlesen.
Am Fraunhofer IEE in Kassel wurde im Rahmen eines weiteren Forschungsprojektes "Transstabil-EE” untersucht, welche Regelungsverfahren in Solar- und Windparks künftig kurzfristig die Netzstabilität garantieren könnten. Dort wurde auch grob abgeschätzt, wie viel diese zukünftige Bereitstellung von Momentanreserve kosten wird. "Der abgeschätzte Kostenrahmen beläuft sich auf 86 Millionen Euro/Jahr bis 2 Milliarden Euro/Jahr für Deutschland", schreibt ein Sprecher des Fraunhofer IEE an den #Faktenfuchs. "Dies wären etwa 0,014 Cent/kWh bis 0,33 Cent/kWh." Über die Netzentgelte könnten diese Kosten auf die Endverbraucher umgelegt werden. Bei einem typischen Haushalts-Verbrauch von 3500 Kilowattstunden pro Jahr wären das jährliche Kosten zwischen 50 Cent und 10 Euro pro Haushalt, heißt es vom Fraunhofer IEE.
Eine weitere - und laut Götz Brühl, dem Geschäftsführer der Stadtwerke Rosenheim, deutlich effektivere - Variante ist, dass Batterien die Momentanreserve ersetzen. "Das funktioniert wie die Batterie im Auto als Akku. Man nimmt darüber Strom auf oder gibt Strom ab, entsprechend der Netzfrequenz. Wenn die unter 50 Hertz liegt, muss Leistung ins Netz. Wenn sie über 50 Hertz ist, muss Leistung aus dem Netz genommen werden."
Martin Braun, Bereichsleiter für Netzplanung und Netzbetrieb des Fraunhofer IEE und Professor an der Universität Kassel, sagte dem #Faktenfuchs, man müsse bei den zahlreichen technischen Lösungsoptionen, die Momentanreserve zu ersetzen, zwischen einer Leistungserhöhung und einer Leistungsreduktion unterscheiden. "Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen können bei Bedarf schnell ihre Leistung reduzieren. Batteriespeicher können schnell ihre Leistung erhöhen oder senken." Damit gebe es viele Möglichkeiten, die bisherige Momentanreserve von Kohlekraftwerken zu ersetzen. Damit diese auch in den Anlagen integriert werden, seien von Seiten der Netzbetreiber Anforderungen zu definieren.
Was ändert sich mit der Energiewende?
Im Jahr 2020 konnten 45,4 Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland laut Bundeswirtschaftsministerium mit erneuerbaren Energien gedeckt werden. Weil die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien aber in vielen Punkten ganz anders funktioniert als die Stromgewinnung über große Kern- oder Braunkohlekraftwerke, muss das Stromnetz in Deutschland angepasst werden.
Früher floss der Strom von den großen Kraftwerken zu den Verbrauchern - es gab also nur eine Richtung. Mit der Energiewende ist der Stromfluss nicht mehr so eingleisig- auch Verbraucher können nun zum Beispiel über Photovoltaikanlagen selbst Strom ins Netz einspeisen. Statt einiger weniger großer Kraftwerke nahe der Ballungszentren, deren erzeugter Strom nur einen relativ kurzen Weg zurücklegen muss, gibt es mit der Energiewende viele kleine Kraftwerke - Windräder, Photovoltaikanlagen, Wasserkraftwerke oder Biomasseanlagen. Das Stromnetz verändert sich dadurch grundlegend. Deshalb müssen neue Leitungen gebaut werden, um den Strom transportieren zu können. Denn teilweise muss er viel längere Strecken zurücklegen, um etwa von Windkraftanlagen im Norden bis in den Süden Deutschlands zu gelangen.
Hinzu kommt, dass die Erzeugungsleistung von Sonnen- und Windenergie stark schwankt, was in Daten der Bundesnetzagentur zu Stromerzeugung und -verbrauch in Deutschland deutlich wird. In diesem Zusammenhang wird deshalb häufig von einer Dunkelflaute gesprochen - wenn nachts keine Sonne scheint, dann kann auch keine Sonnenenergie gewonnen werden. Nachts wird zwar auch weniger Strom verbraucht, aber trotzdem entsteht ein Defizit, das zum Beispiel mit Kernenergie ausgeglichen wird.
Was die Grafik auch zeigt: Zu den Peak-Zeiten wird in Deutschland zu viel Strom erzeugt, da liegt die gesamte Energiemenge über dem Verbrauch (hier die rote Linie). Mit konventionellen Kern- und Kohlekraftwerken kann man grundsätzlich leichter steuern, wann wie viel Energie zur Verfügung steht. Grundsätzlich gibt es auch erneuerbare Energiequellen, die man steuern kann - Wasserkraft zum Beispiel oder Biomasseanlagen. Wind- und Sonnenenergie lassen sich nicht aber so leicht regeln. Damit das System nicht überlastet wird, müssen wir überschüssiger Strom aus Wind und Sonne also loswerden und verkaufen ihn sehr günstig an andere Länder - anstatt ihn selbst zu nutzen.
Wo das Stromnetz besser werden kann
Da besteht Optimierungspotential und deshalb wird viel dazu geforscht, wie man Erzeugung und Verbrauch besser aufeinander abstimmen könnte. Etwa, wie man die überschüssige Energie speichern kann, um sie dann zu Zeiten, in denen weniger Strom vorhanden ist, nutzen zu können.
Auch für die Netzbetreiber sei das eine Herausforderung, sagte Gerald Höfer, Geschäftsführer der N-ERGIE Netz GmbH, die zu den Städtischen Werken Nürnberg gehört, dem #Faktenfuchs.
"Hierfür optimieren und verstärken wir einerseits unser Stromnetz, andererseits werden künftig noch mehr innovative Lösungen gefragt sein: zum Beispiel Batteriespeicher oder Power-to-X-Anlagen, die die Spitzenlasten im Netz abfedern können." Power-to-X-Anlagen verwandeln Öko-Strom in chemische Energieträger, zum Beispiel Wasserstoff, sodass der Strom gespeichert werden kann. Mehr dazu, wie Power-to-X funktioniert, hat der TÜV Süd hier zusammengefasst.
Höfer ist zuversichtlich, dass die Versorgungsqualität nicht darunter leiden werde. "In den vergangenen Jahren haben wir in unserem Netzgebiet bereits fast 60.000 erneuerbare Anlagen integriert, dennoch konnten wir zuletzt unsere Ausfallzeiten sogar reduzieren", so Höfer. Mit Ausfallzeiten meint er den Zeitraum, in dem Verbraucher in Deutschland keinen Strom zur Verfügung hatten. Deutschland hat insgesamt sehr geringe Ausfallzeiten - dazu später mehr.
Sicherheitsmechanismen bleiben über Energiewende hinaus bestehen
Dass es wegen der Energiewende zu einem "Blackout" kommt, halten alle vom #Faktenfuchs befragten Expertinnen und Experten für unwahrscheinlich. "Wichtig ist, deutlich zu machen: Wir haben kein Blackout-Problem”, sagte Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dem #Faktenfuchs. Kemfert beschäftigt sich schon lange mit der Energiewende.
"Die Energieversorgungssicherheit ist auch mit einer Vollversorgung aus erneuerbaren Energien gesichert," so Kemfert. Ein Sprecher der Bundesnetzagentur bestätigt ihre Einschätzung in einer E-Mail an den #Faktenfuchs: "Die Energiewende und der steigende Anteil dezentraler Erzeugungsleistung haben keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungszuverlässigkeit.” Die Netzstabilität sei etwa durch den Ausstieg aus der Nutzung von Kernenergie zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen.
In einer langfristigen Netzanalyse bis ins Jahr 2038 kommen die Übertragungsnetzbetreiber im Dezember 2020 zum Ergebnis, die Netzstabilität werde auch bei Fortschreiten des Kohleausstiegs nicht gefährdet. Voraussetzung dafür sei, dass die für einen sicheren Netzbetrieb erforderlichen "Systemdienstleistungen", zum Beispiel die Momentanreserve, die bislang Kohlekraftwerke bereitgestellt haben, durch neue Methoden ersetzt werden könne - zum Beispiel, wie oben beschrieben, durch Batterien. Bis es soweit ist, prüft die Bundesnetzagentur, welche Kohlekraftwerke noch nicht stillgelegt werden, um die nötige Netzsicherheit zu gewährleisten.
Um die Frage der Stromversorgung nach dem Kohleausstieg beantworten zu können ist jedoch auch eine realistische Prognose des Stromverbrauchs notwendig. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat deshalb am Tag der Deutschen Industrie am 22. Juni neue Prognosen von der Industrie gefordert. "Die Annahmen bis jetzt sind aus meiner Sicht nicht zukunftsfähig, dass der Strombedarf sich nicht vergrößert."
Manuel Baumann forscht am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu nachhaltigen Energietechnologien. Im Gespräch mit dem #Faktenfuchs sagte er, die Regelmechanismen bzw. Sicherheitsmechanismen, die aktuell die Stabilität des deutschen Stromnetzes sicherstellen, würden auch nach der Energiewende weiter bestehen. "Sie müssen weiter bestehen, weil sie einfach ein integrativer Bestandteil des Netzbetriebes sind." Hinzu komme, dass die Energiewende nicht nur bedeute, Windkraft- und Photovoltaikanlagen ans Stromnetz anzuschließen. Stattdessen werde das ganze System intelligenter und die Prognosen würden immer genauer werden. "Das heißt, wir werden Verbrauch und Erzeugung besser aufeinander abstimmen können."
Laut Energiewende-Expertin Claudia Kemfert vom DIW kann das zum Beispiel funktionieren, indem die Verbraucher stärker eingebunden werden - etwa, indem sie Speicher bereitstellen. Das könnten Heimspeicher sein oder auch Elektrofahrzeuge.
Energiespeicher Elektrofahrzeug? Das klingt weit weg, ist aber potentiell eine Möglichkeit, Verbrauch und Erzeugung besser aufeinander abzustimmen. Wie die Elektrotechnikerin Heike Kerber vom Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE) erklärt, könnte das folgendermaßen aussehen: Besitzer von E-Autos laden ihren Auto-Akku nicht mehr sofort, wenn sie das Auto nach der Arbeit in der Garage parken. Stattdessen könnten Anreize wie ein niedrigerer Strompreis dafür sorgen, dass sie ihre E-Autos erst dann laden, wenn es im Netz gerade ohnehin zu viel Strom gibt, der verbraucht werden muss.
Ähnlich funktioniert das auch von der Erzeuger-Seite und wird bereits heute so praktiziert: Die Stadtwerke Rosenheim zum Beispiel optimieren die eigene Stromerzeugung und die ihrer Kunden so, dass die Anlagen genau dann Strom ins Netz einspeisen, wenn der Strompreis am höchsten ist - so kann der Gewinn maximiert werden, sagte Götz Brühl von den Stadtwerken Rosenheim dem #Faktenfuchs. Bei Wind- und Sonnenenergie ist das Optimierungspotential geringer - bei Wärme-Speichern und Biogasanlagen hingegen ist es deutlich höher.
Wie stabil ist das deutsche Stromnetz?
Das deutsche Stromnetz gilt weltweit als eines der stabilsten, auch durch Maßnahmen wie das "n-1"-Kriterium. Also die Faustregel, dass es zum Beispiel bei Stromleitungen immer einen Ersatz geben muss, falls eine ausfällt.
"Wir haben gerade dadurch eine unglaublich hohe Ausfallsicherheit", sagt Fabian Zippel vom Lehrstuhl für Erneuerbare Energie an der Hochschule Aalen. „Die Stromversorgung in Deutschland ist sehr zuverlässig", bestätigt auch ein Sprecher der Bundesnetzagentur auf eine Anfrage des #Faktenfuchs.
Um die Qualität der Stromversorgung zu bewerten, berechnet die Bundesnetzagentur den sogenannten "SAIDI" oder "System Average Interruption Duration Index" - der wichtigste Indikator zur Stromsicherheit. Er gibt an, wie lange Verbraucher pro Jahr durchschnittlich ohne Strom auskommen mussten. 2019 seien das 12 Minuten und 12 Sekunden gewesen, „die bisher niedrigsten Ausfallzeiten” seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2006, so der Sprecher.
Und das, obwohl seit 2006 der Anteil erneuerbarer Energien im Strommix deutlich ausgebaut wurde.
"Was ich ganz spannend finde ist, dass die Energiewende immer mit einer Verschlechterung der Versorgungssituation in Verbindung gebracht wird", sagt Baumann vom KIT. "Stattdessen ist die Versorgungssicherheit in Deutschland so hoch wie nie."
Ein großflächiger Stromausfall ist möglich, aber nicht wahrscheinlich
In ihrer Stellungnahme gehen die vier Übertragungsnetzbetreiber auch auf die Möglichkeit eines großflächigen Stromausfalls ein. Dafür "muss es zu einer sehr ungünstigen Verkettung zahlreicher Umstände kommen." Zwar steige der „Stress” auf das europäische Übertragungsnetz durch die Energiewende kontinuierlich, weil Energie nicht mehr wie früher dort produziert werde, wo der Strom hauptsächlich verbraucht wird. Der Strom müsse deshalb weiter transportiert werden - und es müsse öfter ins Stromnetz eingegriffen werden. Ausfälle wie der im polnischen Kraftwerk, der auch im Video des bayerischen YouTubers angesprochen wird, zeigten aber, dass "die Sicherungsmechanismen erfolgreich gegriffen und die Auswirkungen dieser Störungen auf ein Minimum begrenzt haben”, heißt es in dem Statement.
Ausgeschlossen ist das Szenario eines großen "Blackouts" also nicht - aber es ist unwahrscheinlich, wie auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bestätigt. "Auch wenn großflächige langanhaltende Stromausfälle sehr unwahrscheinlich sind, sind sie jedoch ein plausibles Szenario und müssen im Rahmen der Notfallplanung berücksichtigt werden." Das BBK veröffentliche deshalb Checklisten zur Vorsorge für einen solchen Stromausfall (zum Beispiel hier) und achte darauf, dass Akteurinnen und Akteure des Krisenmanagements auf Stromausfälle und andere extreme Schadensereignisse vorbereitet sind.
In Deutschland gab es zuletzt im November 2005 einen längeren Stromausfall. Im Münsterland hielten Stromleitungen dem Schneedruck nicht Stand, Strommasten knickten ein. Die Menschen dort mussten mehrere Tage ohne Strom auskommen. Die Ursache für den Stromausfall war damals das Schneechaos. Wenn Strommasten einknicken ist es völlig irrelevant ob der Strom von einem Atomkraftwerk oder Windrad kommt - dann sind äußere Umstände der Auslöser dafür. Mehr zum Stromausfall von 2005 finden Sie zum Beispiel hier oder hier.
Die Motivation hinter dem Blackout-Narrativ
Claudia Kemfert vom DIW hat zu Mythen rund um den Umstieg auf erneuerbare Energien geforscht. "Die Diskussion zum Blackout nehme ich wahr, seitdem ich denken kann. Damals ging es um Atomkraft, später war es die Kohlekraft, die angeblich fehlt", sagte sie. "Es ist immer die identische Diskussion, die getrieben ist von Beharrungskräften der Vergangenheit, die an ihren Geschäftsmodellen festhalten wollen."
Das Beschwören eines Blackout-Szenarios habe gezielt die Motivation, den Menschen Angst zu machen. Das kann auch einen finanziellen Hintergrund haben, wie die Expertin für Verschwörungstheorien Pia Lamberty in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung erläutert:
Es gebe Akteurinnen und Akteure, die versuchten mit den Ängsten der Menschen Geld zu verdienen. In Prepper-Shops könnten sich "Menschen mit Notnahrung und ‘Gefahrenabwehr’-Produkten zu häufig vollkommen überteuerten Preisen vor Blackout oder anderen Krisen schützen." Prepper (abgeleitet aus dem englischen: to prepare = vorbereiten) sind Menschen, die sich systematisch für eine mögliche Krise wappnen, sich große Vorräte anlegen und sich entsprechende Ausrüstung besorgen.
Auch im Video des bayerischen YouTubers, das Ausgangspunkt für die Recherche des #Faktenfuchs war, werden "Blackout-Kits" mit Ausrüstung beworben. Am Ende des Videos warnt der YouTuber vor steigenden Preisen und Lieferschwierigkeiten und sagt: „Wer jetzt noch nicht vorbereitet hat, ist vielleicht schon zu spät dran, aber er könnte jetzt noch versuchen ein bisschen was zu reißen. Deswegen, liebe Leute, sorgt vor!”
Sponsor des Videos ist ein Hersteller für Strom-Aggregate, auf seiner Webseite bietet der YouTuber Checklisten zur Krisenvorsorge an. Auf seinem Kanal verlinkt er sogar auf seine persönliche Amazon-Seite, einen kleinen Online-Shop beim großen Online-Händler. Dort steht explizit, dass er Teil des "Amazon-Influencer-Programms" sei und Provisionen verdient. Er verdient also ganz offensichtlich Geld damit, vor einem möglichen Blackout zu warnen.
Prepper-Szene ist heterogen - es gibt aber Verbindungen nach rechts
In Mecklenburg-Vorpommern gerieten Prepper im vergangenen Jahr ins Blickfeld der Behörden, berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Laut dem Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern sei die Prepper-Szene heterogen und wird nur dann vom Verfassungsschutz beobachtet, wenn sie extremistische Ziele verfolgt. Während der Corona-Krise hatten - laut dem RND-Bericht - jedoch auch Rechtsextremisten zur Vorsorge aufgerufen.
Das passt dazu, dass die Angst vor einem großflächigen Stromausfall durch die Energiewende schon seit Jahren zum Beispiel vom rechtsextremen Meinungsblog "PI-News" geschürt wird.
Was Rechte mit der Blackout-Bedrohung erreichen wollen
Robert Andreasch vom a.i.d.a-Archiv gegen Rechtsextremismus in München ordnet die Blackout-Erzählung im Gespräch mit dem #Faktenfuchs auch als Delegitimierungs-Versuch an der Regierung ein. "Rechte wollen Angst schüren und Unsicherheit", sagte er.
Auch politisch greifen Rechtspopulisten das Thema immer wieder auf. Die AfD bringe das Thema immer wieder, in geteilten Beiträgen im Netz, aber auch in der Aktuellen Stunde im Bayerischen Landtag. Auch in Wahlkämpfen nutzt die AfD das Thema, wie ein Sprecher der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München dem #Faktenfuchs schrieb. 2020 warb die Partei in München mit einem Plakat mit den Aufschriften "Keine Lust auf Blackout!" und "Energie statt Ideologie".
"Man könnte auch eine Bedrohung von außen thematisieren", so Andreasch. Darunter falle etwa die Bedrohung des Stromnetzes durch Hacker-Angriffe. "Aber es ist meistens die Energie-Diskussion oder die Diskussion um den Ausstieg aus der Atomenergie."
Neben dem finanziellen Aspekt sieht er den ideologischen Nutzen von Rechtspopulisten und Rechtsextremen, die vor dem Blackout durch die Energiewende warnen. Das Blackout-Szenario werde immer weitergetrieben, um die Bedrohung aufrecht zu erhalten. "Die müssen ja die Bedrohung, wenn sie sie einmal erzählt haben, immer steigern. Sonst interessiert es ja niemanden mehr, dann wissen es schon alle."
Der Sprecher der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus in München ergänzt: "Die Botschaften malen indirekt auch das Schreckensbild eines Zusammenbruchs der Gesellschaft an die Wand. Solche großen Ängste lassen sich seitens der Rechten gut dafür nutzen, um sich als Akteur*innen darzustellen, die mit einfachen vermeintlichen Lösungen diese Gefahr bannen."
Blackout: Nur ein Thema von vielen bei Skeptikern der Energiewende
Aber: Nicht nur Rechte und Prepper sehen die Energiewende kritisch und thematisieren einen Blackout. Welchen Stellenwert nimmt die Angst vor einem Blackout bei denjenigen ein, die sich zum Beispiel auf lokaler Ebene gegen den Ausbau erneuerbarer Energien engagieren?
Jörg Radtke, Politikwissenschaftler an der Universität Siegen forscht zu Energiewende-Konflikten und führt Interviews mit Menschen, die der Energiewende aus verschiedenen Gründen skeptisch gegenüber stehen. Im Gespräch mit dem #Faktenfuchs erzählte er, dass die Angst vor einem Blackout zwar in den Gesprächen, die er führt, geäußert werde. Im Mittelpunkt stehe sie aber nicht unbedingt. "Ich würde es als ein Argument von vielen wahrnehmen, nicht so sehr als zentrales Motiv", sagte Radtke. Ein zentrales Argument sei hingegen generell die Frage, ob es den menschengemachten Klimawandel gibt.
Fazit
Dass es wegen der Energiewende zu einem Blackout kommt, ist sehr unwahrscheinlich. Das bestätigten verschiedene Expertinnen und Experten dem #Faktenfuchs. Zwar gibt es aktuell bei der Nutzung erneuerbarer Energien noch Optimierungsbedarf und vieles muss noch erforscht werden, gerade was die bessere Abstimmung von Strom-Erzeugung und -Verbrauch betrifft. Dennoch hat Deutschland eines der zuverlässigsten Stromnetze weltweit - und das, obwohl der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix seit Jahren wächst.
Grundsätzlich sind Stromausfälle in Deutschland deshalb unwahrscheinlich, weil es eine Vielzahl an Sicherheitsmechanismen gibt, die genau das verhindern sollen. Dazu zählen unter anderem die Momentanreserve, aber auch das "n-1-Kriterium", nachdem immer mindestens ein Ersatz (z.B. einer Stromleitung) vorgehalten wird.
Die Diskussion um den Blackout ist nicht neu. Sie wird dazu genutzt, Unsicherheit zu verbreiten. Diese Angst wird ausgenutzt - sei es, um finanziell davon zu profitieren, wie der bayerische YouTuber, der in seinem Video "Blackout-Kits" bewirbt, oder aus ideologischen Gründen. Die AfD zum Beispiel bringt das Thema immer wieder, ähnlich wie rechte Medien. Dahinter könnte der Versuche stecken, die Regierung zu delegitimieren.
- Könnten Hacker einen Blackout auslösen? Diese Frage klärt der #Faktenfuchs im zweiten Teil der Recherche zu Blackouts.
*05.07.2021, 17:05 Uhr: Wir haben den Text im Abschnitt zu möglichen Alternativen für die Momentanreserve mit Informationen zu einem weiteren Forschungsprojekt des Fraunhofer IEE in Kassel ergänzt.
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