Keine Ruhe nach der letzten Ruhe: Nach der Beisetzung des früheren Papstes Benedikt XVI. beginnen erste Debatten über sein weltliches und theologisches Erbe. Dabei muss Benedikts langjähriger Privatsekretär Georg Gänswein gerade viel Kritik einstecken.
Gänswein kritisiert Papst Franziskus in "Enthüllungsbuch"
Gänswein hatte sich in katholischen Medien vergangene Woche kritisch über Papst Franziskus geäußert. Im Gespräch mit der "Tagespost", sagte Gänswein, dass Benedikt Franziskus' Entscheidung, die sogenannte alte Messe stark einzuschränken, "mit Schmerz im Herzen" gelesen habe. Joseph Ratzinger - Benedikts bürgerlicher Name - ließ diesen Ritus während seines Pontifikats (2005 bis 2013) unter bestimmten Voraussetzungen wieder zu.
In seinem "Enthüllungsbuch" mit dem Titel "Nichts als die Wahrheit", das am Donnerstag erscheinen soll, berichtet Gänswein außerdem über bislang unbekannte Details über das nicht immer konfliktfreie Miteinander von Papst Franziskus und Ex-Papst Benedikt in den Jahren von 2013 bis zu dessen Tod. 2020 sei er zudem "geschockt" gewesen, als Franziskus ihn als Präfekt des Päpstlichen Hauses beurlaubte und dies auch bis heute nicht änderte.
Benedikt XVI. habe damals die Entscheidung seines Nachfolgers mit den ironischen Worten kommentiert: "Ich denke, dass Papst Franziskus mir nicht mehr traut und dass er will, dass Sie mich bewachen." Er habe sich dann persönlich an seinen Nachfolger gewandt, um ihn umzustimmen, doch ohne Erfolg. So schildert es Gänswein in einem bereits bekanntgewordenen Auszug seines Buches.
Papst lud Gänswein am Montag zu Privataudienz
Am heutigen Montagmorgen empfing Papst Franziskus Gänswein zu einer Privataudienz. Der Inhalt des Gesprächs wurde nicht kommuniziert. Gegenstand könnte die berufliche Zukunft des 66-Jährigen gewesen sein. Unklar war zunächst ebenso, wie spontan das Treffen anberaumt war, ob Gänswein um das Gespräch bat oder ob Franziskus den Deutschen zum Rapport bestellte.
Italienische Medien berichteten, dass sich Franziskus mit Äußerungen vom Wochenende indirekt auf Gänswein bezogen habe. Der Papst kritisierte am Sonntag vor dem Angelus-Gebet: "Geschwätz ist eine tödliche Waffe: Es tötet, es tötet die Liebe, es tötet die Gesellschaft, es tötet die Brüderlichkeit."
Deutscher Kardinal Kasper: "Es wäre besser gewesen, zu schweigen"
"Es wäre besser gewesen, zu schweigen", sagte auch der deutsche Kardinal Walter Kasper im Interview der italienischen Zeitung "La Repubblica" (Sonntag). "Jetzt ist nicht der Moment für solche Sachen", befand der 89-Jährige.
Der für Heiligsprechungen zuständige Kardinal Marcello Semeraro sagte der Tageszeitung "Corriere della Sera" (Samstag), er habe von Benedikt XVI. stets nur Worte der Wertschätzung, des Respekts und der wechselseitigen Zuneigung gehört. Zu den Berichten über Spannungen zwischen unterschiedlichen Fraktionen in der Kirche bemerkte der Kardinal: "Wenn so etwas passiert, zeigt es, dass etwas auf der geistlichen Ebene nicht stimmt. (...) Es ist schade, wenn es in der Kirche solche Unterstellungen und Versuche gibt." Dies betreffe aber nicht das "Herz der Kirche", sondern nur deren "menschliche Dimension", betonte Semeraro.
Kardinalstaatssekretär Parolin: "Potenziell delikate Situation"
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hatte zuvor in einem Interview derselben Tageszeitung daran erinnert, dass das Nebeneinander von zwei Petrusnachfolgern eine "potenziell delikate Situation" für die Kirche gewesen sei. Möglicherweise habe jemand das ausnutzen wollen, das sei aber nicht gelungen: "Wir alle haben die brüderliche Nähe gesehen." Ihre in Gesten, Blicken und Worten spürbare Zuneigung habe "viele Menschen bewegt und getröstet".
Auch andere Kirchenvertreter äußerten sich kritisch. "Ich denke, wenn man Kritik an den Heiligen Vater richten will, muss man das nicht über die Massenmedien machen, sondern direkt an ihn persönlich", sagte der Chef der US-amerikanischen Bischofskonferenz, Timothy Broglio, der Zeitung "La Repubblica".
Kardinal Müller: "Kontroverse, die dem Volk Gottes nicht gut tut"
Man müsse den gesamten Kontext kennen, sagte Kardinal Gerhard Ludwig Müller "La Stampa". "Leider ist das eine der Kontroversen, die dem Volk Gottes nicht gut tun." Don Alberto Varinelli aus der Diözese Bergamo in Norditalien rief Gänswein in einem offenen Brief auf, den Buchverkauf zu stoppen, sollte es sich dabei um eine Sammlung von Angriffen handeln.
Viele Stimmen gegen schnelle Heiligsprechung von Benedikt XVI.
Kardinal Kasper sprach sich auch gegen eine schnelle Heiligsprechung von Benedikt XVI. aus. Man fahre nicht mit einem Hochgeschwindigkeitszug in den Himmel, kommentierte der Kirchenmann die "Santo subito"-Diskussion.
Beim Begräbnis des früheren Papstes am Donnerstag hatte es auf dem Petersplatz Rufe nach einer beschleunigten Selig- und Heiligsprechung gegeben. Kasper ist damit nicht einverstanden. Die kirchenrechtlich festgelegte Wartezeit von fünf Jahren nach dem Tod sei ein sehr vorsichtiger und kluger Hinweis. Ähnlich hatten sich bereits der deutsche und der italienische Bischofskonferenz-Vorsitzende geäußert.
Auch Ratzinger hatte 2005 versucht, eine beschleunigte Seligsprechung zu bremsen
Auch der für Heiligsprechungen zuständige Semeraro erinnerte daran, dass der damalige Kardinal Joseph Ratzinger nach dem Tod von Johannes Paul II. im Jahr 2005 versucht habe, eine beschleunigte Seligsprechung mit dem Argument zu bremsen, dass solche Unterscheidungs-Prozesse "eine angemessene Zeit brauchten".
Seit Sonntag können Gläubige wieder in die Grotte des Petersdoms hinabsteigen und das Grab des emeritierten Papstes Benedikt XVI. besuchen. Der Verstorbene liegt im Grab seines polnischen Vorgängers Papst Johannes Paul II.
Mit Informationen von dpa und KNA
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