Die Liste der Vorwürfe gegen den Rapper Kollegah ist lang: antisemitisch, gewaltverherrlichend und frauenfeindlich sollen seine Texte sein. Es sind die Metaphern, die Symbolik, die unter anderem den Verband der Jüdischen Studenten in Bayern veranlassen, von einem "antisemitischen und verschwörungsideologischen Gesamtkunstwerk" zu sprechen.
Kein offener Angriff gegen Juden, sondern antisemitische Chiffren
Etwa, wenn Kollegah in einem seiner neuen Songs von einer "Elite" spricht, die die Menschen mit billigem Geld getäuscht habe und einen "Reset", letztlich eine neue Weltordnung plane. Nur eine Zeile später ist dort von einem Tiefseekraken die Rede, der "mit riesigen Tentakeln" Beute mache – eine typische antisemitische Tiermetapher, die auch schon das nationalsozialistische Hetzblatt "Der Stürmer" verwendete. Beispiele dieser Art gibt es mehrere.
Das Problem hierbei sei, dass Kollegah zwar vermeide, offen Jüdinnen und Juden anzugreifen, das Ganze dadurch aber nur noch perfider werde, sagt Michael Movchin, Verband Jüdischer Studenten in Bayern. "Denn jetzt werden antisemitische Chiffren benutzt, um das Ganze zu verstecken. Teilweise zwischen den einzelnen Liedern wird das dann chiffriert. Das Schlimme dabei ist, dass Antisemiten das dann tatsächlich auch so verstehen und so deuten könnten."
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Antisemitismus im Hip-Hop nicht so leicht zu erkennen
Demnach behauptet Kollegah also nichts direkt, aber vieles assoziativ oder über Umwege, so Movchin. Henning Flad vom Bundesarbeitskreis Kirche und Rechtsextremismus sieht genau darin die Gefahr: "Ich glaube, dass die Gesellschaft oft Antisemitismus gut und schnell erkennen kann, wenn es um den Kontext des Nationalsozialismus geht, wenn es um aktuelle Neonazis geht."
Nicht so gut sei das "Sensorium" ausgebildet, wenn es um andere gesellschaftliche Milieus, andere Erscheinungsformen gehe, sagt Flad, "das zeigt sich jetzt hier deutlich im Hip-Hop und auch nicht zum ersten Mal".
Kollegah richtet sich an Publikum mit Hang zur Selbstdarstellung
Die Botschaften von Kollegah und Kollegen richten sich an ein Publikum, dem ein gewisser Hang zur Selbstdarstellung nachgesagt wird. An Menschen, die das eigene Ich überhöhen, in dem sie andere verächtlich machen, so der Rechtsextremismus-Experte. Frauen, Schwule, und eben auch Juden.
Aber wie gefährlich sind die Texte wirklich, wenn man erst ein ausgeprägtes Wissen haben muss, um die Bedeutung zu begreifen, die unter der sprachlichen Oberfläche verborgen liegt? "Dass es völlig ungefährlich ist, würde ich nie sagen", so Jöran Landschoff. Er ist Linguist an der Universität Heidelberg und hat sich eingehend mit den Texten beschäftigt. Gleichzeitig betont er: Es komme aber nicht allein auf die Texte an.
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Nicht allein die Texte zählen, sondern auch der Kontext
"Natürlich gibt es Gruppen, in denen sich Menschen, meistens sogar jüngere Menschen, finden können, wo ihnen gesagt wird: 'Hier guck mal, was die Juden alles bei uns machen! Kollegah erklärt dir das in seinen Texten.' Und dann kommt der Wow-Effekt." Das Problem sei der gesellschaftliche, individuelle Rahmen und was dann im Anschluss damit gemacht werde, so Landschoff.
Mit anderen Worten: Landschoff will, dass über der Reizfigur Kollegah nicht die Antwort auf die Frage vergessen wird, warum antisemitische Stereotype in bestimmten gesellschaftlichen Räumen überhaupt Anklang finden. Auch daran müsse gearbeitet werden.
Konzert von umstrittenem Rapper in München findet statt
Das Konzert von Kollegah und anderer umstrittener Künstler am Samstag wird also stattfinden. Obwohl verschiedene Verbände protestieren. Und obwohl sich auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, schockiert zeigt: "Wir haben in den letzten Jahren reichlich Skandale um judenfeindliche und hasserfüllte Texte erlebt. Und trotzdem sollen die, die sie vortragen, jetzt erneut in München auftreten. Ich verstehe nicht, warum die Verantwortlichen eines Festivals das zulassen, und ich verstehe noch weniger, warum auch von staatlicher Seite niemand interveniert."
Der Geschäftsführer der Eventlocation hat bis Redaktionsschluss nicht auf die Anfrage nach einem Interview geantwortet. Und auch telefonisch war niemand erreichbar.
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