Vor einem Spitzentreffen zur Einwanderungspolitik dringen die Länder auf mehr Geld vom Bund für die Versorgung der Geflüchteten. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU), teilte der Nachrichtenagentur dpa mit: "Allein in diesem Jahr summieren sich die Kosten für asyl- und flüchtlingsbedingte Ausgaben der Länder auf 17,6 Milliarden Euro. Hinzu kommen weitere 5,7 Milliarden Euro an Kosten, die von den Kommunen getragen werden."
Der Bund beteiligt sich Rhein zufolge an diesen Kosten in diesem Jahr "mit lediglich 3,75 Milliarden Euro und will den Betrag für 2024 auf 1,25 Milliarden Euro kürzen. Das ist aus Sicht der Länder nicht akzeptabel, weil der Bund die Städte und Gemeinden mit ihren Problemen allein lässt." Die Länder seien sich da sehr einig - obwohl es fünf verschiedene Parteibücher im Reigen der Ministerpräsidenten gebe.
Treffen muss klares Ergebnis bringen
"Wir haben keine Zeit mehr für einen weiteren Schlingerkurs", sagte Klaus Holetschek, CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, der "Augsburger Allgemeinen". Mit Blick auf das Treffen am kommenden Montag stellt Holetschek auch klar, dass das Treffen diesmal nicht ohne konkretes Ergebnis enden dürfe: "Wenn die Ampel-Regierung es nicht schafft, dieses zentrale Problem zu lösen, dann ist sie handlungsunfähig und muss die Konsequenzen ziehen." Aus seiner Sicht können das nur Neuwahlen sein.
Diskussionen über Bezahlkarte und Barzahlungen
Ein Bund-Länder-Gipfel am kommenden Montag hat den Schwerpunkt Migration. Diskutiert wird dann neben Finanzierungsfragen, ob Barzahlungen für Asylbewerber durch eine Bezahlkarte und Sachleistungen ersetzt werden sollten.
Holetschek fordert unter anderem solche Sachleistungen sowie mehr Tempo bei der Bearbeitung von Asylanträgen. "Die Bürger müssen jetzt sehen, dass die Politik wirklich handelt", sagte er. "Denn bisher war die Ampel im Bund ein migrationspolitischer Totalausfall."
Bayerns Innenminister Herrmann für mehr Grenzkontrollen
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordert vor dem Treffen mehr Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Migranten an der deutschen Grenze. "Wir brauchen schnellstmöglich eine erhebliche Begrenzung des Flüchtlingszugangs", sagte Herrmann der dpa. Notwendig seien verstärkte Kontrollen an allen deutschen Grenzen nach bayerischem Vorbild.
Zudem müsse die Rückführung abgelehnter Asylbewerber deutlich schneller gehen. Die Bundesregierung stelle sich "gegenüber den Forderungen aller deutschen Ministerpräsidenten, die Einrichtung von Bundesausreisezentren an Flughäfen zu prüfen, taub", kritisierte Hermann. Er plädierte angesichts einer hohen Zahl türkischer Asylbewerber zudem für Verhandlungen auf Bundesebene mit der Türkei. "Wirtschaftliche Perspektivlosigkeit ist aber kein Fluchtgrund", sagte Herrmann. "Das muss vor Ort gelöst werden." Er forderte zudem, der Bund solle sich stärker an den Flüchtlingskosten der Länder und Kommunen beteiligen - auch wenn "Geldspritzen" allein die logistischen Probleme nicht lösen könnten.
Deutscher Städtetag skeptisch gegenüber Guthabenkarte
Der Deutsche Städtetag steht Forderungen nach einer Bezahlkarte für Flüchtlinge derweil verhalten gegenüber. Eine Geld- oder Guthabenkarte für Asylbewerberleistungen klinge einfach, könne aber je nach Ausgestaltung sehr kompliziert werden, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy dem Evangelischen Pressedienst. Die Städte könnten sich eine solche Karte vorstellen, wenn sie einfach handhabbar wäre und möglichst bundesweit gelten würde. "Sie könnte die monatlichen Sätze für die Bedürfnisse des täglichen Lebens und für den eigenen Haushalt umfassen", sagte Dedy.
Auch eine Kartenlösung wäre aber nicht ohne zusätzlichen Aufwand für die Städte machbar, ergänzte der Hauptgeschäftsführer des kommunalen Spitzenverbands. Dedy lehnt zusätzliche Kosten für die Kommunen ab. "Sollten sich Bund und Länder auf eine Bezahlkarte für Asylbewerberleistungen verständigen, müssen sie die Umsetzung eng mit den Kommunen abstimmen und die zusätzlichen Kosten übernehmen", sagte er. Zudem betonte er, dass eine Bezahlkarte Geldzahlungen nicht völlig ausschließen werde. Es wird immer wieder einzelne Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wie Unfall- oder Krankheitskosten geben, die nicht über solche Karten abgewickelt werden könnten.
Scholz will mit Merz und Dobrindt hinter verschlossenen Türen diskutieren
Am Freitag will Scholz bereits mit CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt über die Einwanderungspolitik reden. Das Treffen ist nicht offiziell angekündigt worden. Beide Seiten haben Stillschweigen darüber vereinbart. Es ist daher davon auszugehen, dass keine Ergebnisse bekannt gegeben werden. Scholz will die Opposition in die Bemühungen um eine Begrenzung der irregulären Migration einbinden, weil er einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens in dieser Frage anstrebt.
Unionsfraktion beharrt auf Bewegung
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, knüpfte deren Mitwirken an Bedingungen. "Wir müssen den gordischen Knoten endlich durchschlagen. Das erwarten die Menschen von der Politik", sagte der CDU-Politiker der "Rheinischen Post". Je länger die illegale Migration nach Deutschland im großen Stil anhalte, desto mehr "geht das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates verloren", ergänzte Frei.
In Richtung Bundeskanzler Scholz sagte Frei: "Wenn die Ampel-Koalition nicht die Kraft für eigene Entscheidungen besitzt, steht die Union grundsätzlich parat, um diese Herausforderungen anzugehen." Voraussetzung sei allerdings, "dass sich wirklich etwas bewegt".
Merz bezeichnet bisherige Maßnahmen als "kosmetische Schritte"
Fraktionschef Merz sah zuletzt in den von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen zur Migration nur kosmetische Schritte zur Begrenzung des Zuzugs. Er hatte dem Kanzler beim ersten Migrationstreffen einen 26-Punkte-Katalog mit Forderungen vorgelegt. Die Union verlangt darin von Scholz unter anderem ein "gemeinsames Verständnis" dafür, "dass Deutschland mit Blick auf die Integrations-Infrastruktur und den gesellschaftlichen Zusammenhalt eine Asylzuwanderung bis maximal 200.000 Personen pro Jahr verträgt".
Diskussion um Asylprüfungen außerhalb Europas
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach sich zudem dafür aus, Asylverfahren außerhalb Europas zu prüfen. Sein niedersächsischer Kollege Stephan Weil lehnt dies ab. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte der SPD-Politiker: "Dass Asylverfahren in Transitländern begonnen werden, halte ich für denkbar. Die Kanadier verfahren beispielsweise so. Aber dass wir Menschen gegen ihren Willen über die halbe Welt in ein Land verfrachten, zu dem sie keinerlei Bezug haben, kann ich mir nicht vorstellen."
Stimmungsbild gegenüber Flüchtlingen könnte "kippen"
Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa zeigte sich unterdessen besorgt über eine kritische Tonlage gegenüber Migranten. "Die Stimmung in der Zivilgesellschaft droht zu kippen", erklärte Welskop-Deffaa in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur. Das bekämen nicht nur geflüchtete Menschen selbst, sondern auch die Mitarbeitenden in Hilfseinrichtungen zu spüren.
"Viele haben das Gefühl, ihre Umgebung sei nicht begeistert, wenn sie erfährt, dass ihre Nachbarin oder ihr Nachbar in der Asylverfahrensberatung tätig ist", führte Welskop-Deffaa aus. Sie seien dann mit Fragen konfrontiert wie "Musst du dich denn jetzt um diese Leute so stark kümmern?" Das habe es in den vergangenen Jahren in dieser Form nicht gegeben, und es belaste die Mitarbeitenden zusätzlich.
Caritas-Präsidentin bewertet Unterkunftslage als "nicht so dramatisch"
Dabei sei die Lage in den Unterkünften insgesamt nicht so dramatisch, wie sie oft dargestellt werde. "Die Nervosität in der Sprache passt meiner Ansicht nach nicht wirklich zum objektiven Befund bundesweit", so die Caritas-Präsidentin.
Eine am veröffentlichten Befragung der Universität Hildesheim und des Mediendienstes Integration kam tzu dem Ergebnis, dass sich etwa 40 Prozent der Kommunen in Deutschland durch die Aufnahme von Geflüchteten "überlastet" oder in einem "Notfallmodus" sehen. Gut 58 Prozent beschrieben demnach die Lage als "herausfordernd, aber (noch) machbar". Nur 1,5 Prozent bezeichneten die Situation als "entspannt".
Mit Blick auf ein Bund-Länder-Gespräch am Montag äußerte Welskop-Deffaa sich zuversichtlich, dass man sich in der Frage der Finanzierung bei der Unterbringung von geflüchteten Menschen einigen werde - "zumal die Bundesländer ja sehr geschlossen dastehen".
Mit Informationen von dpa, AFP und epd
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