Nach stundenlangen Verhandlungen haben sich Bund und Länder beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt geeinigt auf eine kurzfristige Lösung geeinigt: Der Bund stellt den Ländern in diesem Jahr nun eine Milliarde Euro zusätzlich für die Versorgung von Flüchtlingen bereit. Im November soll demnach entschieden werden, was weiter nötig ist.
Scholz: Kommunen leisten Außerordentliches
"Wir haben viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen", sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach den Bund-Länder-Beratungen am Mittwoch im Kanzleramt. Gleichzeitig steige die Zahl derjenigen, die aus anderen Ländern kommen. Insofern bleibe es eine ganz große Aufgaben, "die wir miteinander zu meistern haben". Und: "Wir wissen, die Städte und Gemeinden leisten Außerordentliches." Scholz sprach bezüglich der Beratungen von einem "konstruktiven und guten Treffen".
Die irreguläre Migration müsse gesteuert und begrenzt werden, hielt Kanzler Scholz noch einmal fest. Deutschland werde "ganz neue Arten von Migrationspartnerschaften" abschließen, kündigte der SPD-Kanzler an. Dabei geht um die Rücknahme von Staatsbürgern anderer Ländern, wenn diese nicht in Deutschland bleiben können.
Einigkeit über europapolitische Initiativen des Bundes
Man sei sich auch über den Schutz der EU-Außengrenzen einig, der weiter vorangebracht werden müsste. Dies muss auf EU-Ebene geregelt werden. "Für uns ist es auch wichtig, dass wir unsere eigenen Grenzen gut bewachen", führte Scholz weiter aus. Außerdem müssten Asylverfahren beschleunigt werden. Für Länder mit EU-Beitrittsperspektive soll solch ein schnelleres Verfahren auf den Weg gebracht werden.
"Was wir brauchen, ist eine moderne Verwaltung", so Scholz weiter. Deshalb sollen "in kürzester Zeit" die Ausländerbehörden digital arbeiten. Außerdem wolle man sich um Wohnraum für die Geflüchteten kümmern, der Bund wolle weiter helfen.
Mehr Geld für Digitalisierung und Unterstützung der Kommunen
Scholz erwähnte erst spät die Debatte über Finanzmittel, die den Ländern besonders wichtig war. Er betonte zunächst einmal, wie viel der Bund bereits geleistet habe. Die eine Milliarde Euro, die nun zu den pauschalen Mitteln hinzukomme, solle für die Digitalisierung eingesetzt werden und um die Kommunen zu unterstützen. Im November soll bei einer weiteren Ministerpräsidentenkonferenz die Frage erörtert werden, "wie wir längerfristig dieses System weiterentwickeln können", so Scholz. "Da gibt es unterschiedliche Vorstellungen." Zwischendurch soll eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden. "Ich glaube, das ist eine gute Kombination."
MPK-Chef: Gute Zusammenkunft
Der Vorsitzende der MPK und gleichzeitig Ministerpräsident von Niedersachsen, Stephan Weil (SPD) stieg direkt mit den Finanzfragen in sein Statement ein. Es seien die "schwierigen Gespräche" gewesen, die alle im Vorfeld erwartet hatten. Dennoch sei es eine "gute Zusammenkunft".
"Diese Milliarde ist wichtig, löst aber noch nicht die Grundsatzfrage", wie es in Zukunft mit der Lastenverteilung ausschaut, erklärte Weil. Dabei hätten Bund und Länder noch nicht die gleiche Position. Einig sei man sich aber, dass dies eine Daueraufgabe sei, die in den Blick genommen werden müsste.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dankte dem Bund ausdrücklich für die finanzielle Hilfe von einer Milliarde Euro. Er betonte aber auch, dass sich die Kommunen ausdrücklich eine dauerhafte Finanzierung durch den Bund forderten. Vor allem bei der Unterbringung.
Söder: "Schlicht zu wenig"
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigte sich enttäuscht über die Ergebnisse: Es handle sich nur um einen Zwischenschritt, sagte er im BR24-Interview. Der Bund stelle zur Entlastung der Kommunen nur "eine kleine Milliarde" zur Verfügung - wobei das Geld auch für die Digitalisierung der Ausländerbehörden eingesetzt werden solle. "Das ist zwar auch nicht unwichtig, aber angesichts der aktuellen Situation einfach zu wenig." Der CSU-Vorsitzende forderte Nachbesserungen.
Zudem beklagte Söder, der Bund tue sich schwer mit klaren Entscheidungen. Nötig sei auch ein klares Konzept gegen illegale Zuwanderung und für die Rückführung von illegalen Straftätern. In beiden Bereichen sei beim Gipfel leider kein großer Fortschritt erzielt worden, bedauerte Söder. Der Bund sei - im Gegensatz zu Kommunen und Bundesländern – für den "Zugang nach Deutschland" zuständig, er müsse das regeln.
Video: Ministerpräsident Söder im Interview
Zurückhaltung bei bayerischen Landräten
Die Reaktionen auf kommunaler Ebene fallen direkt nach dem Gipfel verhaltener aus. Thomas Karmasin (CSU), Landrat des Landkreises Fürstenfeldbruck und Präsident des Bayerischen Landkreistages, sagte dem BR, "als Kommunalpolitiker sind wir bitter enttäuscht."
Man habe drei Kernforderungen an die Bundesregierung gehabt. "Begrenzung der Zuwanderung. Wenn sie das nicht will: Bezahlung der Kosten. Als Sofortmaßnahme: Bundesliegenschaften öffnen, um kurzfristig Platz für Unterbringung zu schaffen." Bei der Begrenzung habe Kanzler Scholz nichts in Aussicht gestellt, als vage Vorhaben, "die wir seit Jahren hören. Die Milliarde ist ein Tropfen auf den allzu heißen Stein." Bundesliegenschaften seien nicht einmal angesprochen worden.
Karmasins Parteikollege Robert Niedergesäß, Landrat im Landkreis Ebersberg sagte dem BR, "die Bundesregierung scheint das Problem nach über einem halben Jahr endlich erkannt zu haben." Die Erwartungen seien konkret: "Der Zustrom an Menschen muss begrenzt werden, wir sind am Ende unserer Möglichkeiten und der Bund muss seine Liegenschaften endlich öffnen, um die Menschen selber unterbringen zu können."
SPD verteidigt Gipfel-Beschlüsse
Die Vorsitzende der Landesgruppe Bayern in der SPD-Bundestagsfraktion, Marianne Schieder, zeigt sich mit dem Ergebnis der sechsstündigen Verhandlungen zufrieden. "Ich bin sehr froh, dass es eine Einigung gibt und die Diskussion damit hoffentlich ein Stück weit beendet ist", sagte Schieder im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers. Statt einer einmaligen Erhöhung hatte sich die Ministerpräsidentenkonferenz um ihren Vorsitzende Stephan Weil (SPD) ein sogenanntes "atmendes System" gewünscht. Mit anderen Worten: Bei mehr Geflüchteten gibt es auch mehr Unterstützung vom Bund. "Vielleicht ist das jetzt nicht das atmende System, das Stephan Weil beschrieben hat aber es ist doch ein Weg dahin", ordnet Schieder das Gipfelergebnis ein. Die erneuten Beratungen im November seien eine Perspektive für die Länder. Von ihnen fordert sie, dass das Bundesgeld jetzt auch schnell an die jeweiligen Kommunen weitergereicht wird.
Kommunen und auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) fordern eine stärkere Begrenzung der Zuwandererzahlen – beispielsweise durch Vorprüfungen von Asylanträgen bereits an den EU-Außengrenzen. Was das angeht, ist die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagfraktion skeptisch: "Der Bund kann auch nicht hexen", betont Schieder. Zwar sei ein gemeinsames europäisches Vorgehen wünschenswert und werde auch seit langem diskutiert aber sei "in der Umsetzung halt auch ziemlich schwer", erklärt Schieder.
Video: SPD-Politikerin Marianne Schieder: "Der Bund kann auch nicht hexen"
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