In einem Einkaufswagen liegen Obst und Gemüse. Im Hintergrund sieht man das Kühlregal mit Milchprodukten
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Nach dem Gipfeltreffen der Bundesregierung mit dem Handel wird wieder rege diskutiert: Sind Lebensmittel zu billig?

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Lebensmittelpreise in Deutschland: Angemessen – oder zu billig?

Lebensmittelpreise in Deutschland: Angemessen – oder zu billig?

Landwirte klagen über Preisdumping, der Handel streitet es ab. Ein Treffen der Kanzlerin mit Handelsvertretern heizte die Diskussion diese Woche wieder an. Sind Lebensmittel in Deutschland zu günstig? Der #Faktenfuchs checkt die Zahlen.

Deutsche Bauern klagen seit langem, dass der mächtige Handel die Preise für Lebensmittel drücke. Handelsverbände weisen den Vorwurf zurück. Im Dezember traf sich Bundeskanzlerin Merkel zum Agrargipfel mit der Landwirtschaft, am vergangenen Montag nun auch zum Lebensmittel-Gipfel mit Verbänden und Vertretern der großen Supermarktketten.

Nach dem Treffen gingen die Diskussionen im Netz erhitzt weiter. Julia Klöckner kritisierte eine Billigpreismentalität – und viele widersprachen. "Ich möchte mir bitte weiterhin etwas zu essen leisten können", schrieb eine Userin. Die Twitter-Nutzerin räumte ein: "Natürlich muss mehr Geld bei den Landwirten ankommen, aber ich habe jetzt zum Teil schon Probleme, meinen Kühlschrank zu füllen."

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Kommentar einer Userin auf Twitter zur Diskussion um Lebensmittelpreise

Zurzeit kursieren auch viele Zahlen dazu, wie hoch deutsche Lebensmittelpreise im Vergleich zu anderen EU-Ländern sind. Manche sind der Meinung, Deutschland habe bereits besonders niedrige Lebensmittelpreise. Andere behaupten, in Deutschland seien die Preise höher als der EU-Durchschnitt. Was stimmt und was bedeuten die Preise für Verbraucher und Bauern?

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Kommentare von Usern zu angeblichen Daten von Lebensmittelpreisen

Sind Lebensmittel in Deutschland billiger als im EU-Ausland?

Im Interview mit dem BR sagte zum Beispiel der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, Stefan Genth: "In Deutschland liegen wir momentan im Preisniveau sogar zwei Prozent über dem Durchschnitt aller 28 EU-Länder, also noch inklusive UK." Das lässt sich mit den Daten des Statistischen Amts der EU (Eurostat) belegen: Im Durchschnitt lagen die Preise, die Konsumenten beim Einkauf von Essen und nichtalkoholischen Getränken bezahlen, im Jahr 2018 in Deutschland tatsächlich zwei Prozent über dem EU-Schnitt. Brot und Getreideprodukte kosteten in Deutschland zwei Prozent mehr als im EU-Schnitt, bei Fleisch waren es sechs Prozent. Bei Milch, Käse und Eiern lagen die Preise allerdings drei Prozent unter EU-Niveau.

Besonders billig sind Lebensmittel in Deutschland im direkten Preisvergleich mit anderen EU-Ländern also nicht. Am teuersten sind Nahrungsmittel und nichtalkoholische Getränke in Dänemark – dort zahlt man 30 Prozent mehr als im EU-Durchschnitt. In Rumänien sind diese Produkte am günstigsten mit nur 66 Prozent des EU-Durchschnitts.

Ob ein Preisvergleich von Land zu Land tatsächlich Sinn ergibt, stellen Experten in Frage. Peter Feindt, Professor für Agrar- und Ernährungspolitik an der Humboldt-Universität Berlin, gibt zum Beispiel zu bedenken: "Die Qualität der verglichenen Lebensmittel kann in den Ländern durchaus unterschiedlich sein."

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Am teuersten sind Lebensmittel in Dänemark, am günstigsten in Rumänien. Deutschland liegt im Mittelfeld.

Wie viel von ihrem Geld geben Menschen in Deutschland für Lebensmittel aus?

Auch sagen die Experten, dass diese Preise nicht die Antwort auf die Frage sein können, ob Lebensmittel zu billig sind. "Das ist absolut nicht aussagekräftig", sagt zum Beispiel Kirsten Schlegel-Mattheis, Professorin am Institut für Ernährung, Konsum und Gesundheit der Universität Paderborn. Auch Feindt sagt: "Auf die Verkaufspreise statt auf faire Einkommen zu schauen, zäumt die Debatte vom falschen Ende auf."

Der erste Grund dafür ist, dass Verkaufspreise noch nichts darüber aussagen, wie viel davon am Ende bei den Bauern ankommt. Lebensmittelpreise hängen in jedem Land von mehreren Faktoren ab: Von den Entstehungskosten und der Wertschöpfungskette (von Transport bis Verkauf), aber auch von den unterschiedlichen Steuersystemen, Lohnniveaus und Handelsstrukturen wie zum Beispiel der Bedeutung von Discountern im Land. Außerdem exportieren und importieren die Länder auch Waren. Wenn der Verbraucher mehr zahlt, ist nicht garantiert, dass mehr beim Bauern ankommt.

Außerdem sagen Experten, man müsse die Preise ins Verhältnis zum Lohnniveau setzen, um sie vergleichen zu können. Schaut man sich die durchschnittlichen Löhne an, zeigt sich: Wo die Menschen mehr verdienen, sind auch die Preise höher.

Geben die Deutschen zu wenig für Essen aus?

Einige, die die Lebensmittelpreise in Deutschland für zu niedrig halten, beziehen sich immer wieder auf Zahlen, die belegen, wie viel Geld Menschen prozentual für Essen und Getränke ausgeben – im Vergleich zu anderen Posten wie Miete, Gesundheit, Freizeit, Verkehr. 2018 bezahlten die Menschen in Deutschland 10,8 Prozent ihrer Gesamtausgaben für Lebensmittel und nicht-alkoholische Getränke. Allein fürs Essen waren es 9,5 Prozent. Der EU-Schnitt liegt bei 13,1 Prozent mit und 11,8 Prozent ohne Getränke.

Weniger als die Deutschen gaben prozentual nur Österreicher, Luxemburger und Iren für Lebensmittel aus. Am meisten mussten Menschen in Rumänien (26,2 mit bzw. 24,7 Prozent ohne nicht-alkoholische Getränke), Serbien und Montenegro zahlen. Das ergibt laut Anne Markwardt, Leiterin des Teams Lebensmittel des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, auch Sinn, denn Menschen gäben anteilig mehr für Lebensmittel aus, wenn ihr Einkommen geringer sei. "Das hat nichts mit per se höherer Wertschätzung, sondern mit Einkommensverhältnissen und Preisstrukturen zu tun", so Markwardt. Deshalb sei der Anteil für Essen an den Gesamtausgaben "überhaupt nicht aussagekräftig" für die Frage, ob Lebensmittel in Deutschland "zu billig" sind.

Wie stellt man fest, wann Lebensmittel zu billig sind?

Auch Kirsten Schlegel-Mattheis von der Uni Paderborn hält all diese Vergleiche für "schwierig". Die Diskussion, ob Verbraucher nicht mehr für Essen zahlen sollten, lenke vom eigentlichen Problem ab: Dass Landwirte von ihrer Arbeit leben können müssen. Ob Lebensmittel zu billig sind, kann man laut Schlegel-Mattheis nur mit Blick auf die Bauern entscheiden. Wenn ein Bauer ein Produkt für weniger Geld verkaufen muss, als es ihn in der Herstellung kostet, dann kann sich das für ihn nicht lohnen.

Viele hingegen, etwa Handelsverbands-Chef Stefan Genth, argumentieren, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland seit Jahren steigen. Das stimmt zwar – doch durchschnittlich kamen von jedem gezahlten Euro 2018 nur knapp 21 Cent beim Erzeuger an. Das ermittelte das bundeseigene Thünen-Forschungsinstitut. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es noch mehr als 25 Cent. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich die Machtverhältnisse im Markt verschoben haben, hin zu den Supermarktketten, Verarbeitern und Großhändlern, sagt Peter Feindt von der Humboldt-Universität.

Der Preisdruck ist ihm zufolge in der Landwirtschaft besonders groß, weil es anders als in anderen Bereichen nur sehr wenige große Abnehmer für die Waren gibt. Das gebe den Supermarktketten große Macht und die Landwirte stehen in starker Konkurrenz. Gleichzeitig sei es schwer, sich von den anderen abzusetzen, weil die Standards des Handels oft höher seien als die gesetzlichen Vorgaben. Sie legen laut Feindt sehr genau fest, wie die Lebensmittel hergestellt werden dürfen – also gibt es innerhalb der konventionellen Landwirtschaft auch nur geringe Unterschiede in der Qualität.

Wie kann man faire Preise schaffen?

Darüber, wie man faire Preise schaffen sollte, sind sich auch Experten nicht einig. Kirsten Schlegel-Mattheis von der Universität Paderborn spricht sich dafür aus, dass Preiskämpfe vielleicht durch Regulierungsmaßnahmen erschwert werden sollten. Noch weiter geht Grünen-Chef Robert Habeck. Er forderte in einem Interview mit der "Augsburger Allgemeinen", dass der Verkauf von Lebensmitteln unter dem Erzeugerpreis vom Staat untersagt werden soll.

Feindt hält aus ökonomischer Perspektive Mindestpreise nicht für sinnvoll, weil diese zum Beispiel zu Überproduktion führen könnten. Besser wäre es, für faire Bedingungen der Preisbildung zu sorgen. Ein Beispiel dafür ist die Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken, die vergangenes Jahr in der EU überraschend schnell auf den Weg gebracht wurde und jetzt laut Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner auch "sehr schnell" in Deutschland umgesetzt werden soll. Diese sieht vor, dass es nicht mehr möglich ist, dass Supermärkte Waren unter Vorwänden an die Bauern zurückgeben können.

Eine weitere Möglichkeit fairere Preise für Bauern zu schaffen, sind Produktlinien, die sich zum Beispiel via einem Siegel festlegen, fair zu Bauern zu sein. Wichtig ist laut Feindt aber, dass genau festgelegt, gesichert und transparent gemacht wird, wie viel mehr Geld pro verkaufte Ware an den Bauern geht, zum Beispiel ein Cent mehr an den Getreidebauern pro Brötchen. Für Milchprodukte, bei denen die Preise chronisch niedrig sind, gibt es bereits einzelne Initiativen in diese Richtung.

FAZIT

Lebensmittelpreise europaweit zu vergleichen und daraus zu folgern, ob Lebensmittel in Deutschland zu günstig sind, halten Experten nicht für sinnvoll. Die Preise müsste man erst ins Verhältnis setzen zum Lohnniveau. Sinnvoller als den Vergleich zu den anteiligen Ausgaben der Verbraucher finden Experten den Blick auf die Bauern. Deren Gewinne sind in den letzten 20 Jahren geschrumpft, die Marktmacht der großen Ketten ist gewachsen. Problematisch ist es vor allem, wenn der Verkaufspreis unter den Erzeugerpreis sinkt, wie es bei Milchprodukten schon passierte. Wie man fairere Preise ermöglicht, sehen nicht nur Politiker, sondern auch Experten sehr unterschiedlich.

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