Zu wenig Einheitlichkeit bei den Corona-Regeln: In Deutschland kommt diese Kritik schon seit Pandemie-Beginn auf. Nachdem oftmals der "Flickenteppich" zwischen den Bundesländern bemängelt wurde, irritiert nun einige die Unterscheidung zwischen Zügen und Flugzeugen bei der Pflicht zum Tragen von Masken.
Maskenpflicht im Zug ja, im Flugzeug nein: "Unerklärbar"
"Maskenpflicht muss im Verkehr einheitlich geregelt sein: Und zwar ganz oder gar nicht", teilte der Vizevorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Martin Burkert der Deutschen Presse-Agentur mit. "Das Beibehalten der Maskenpflicht in Fernzügen bei gleichzeitiger Abschaffung im Flugverkehr ist unerklärbar."
Ruf nach einheitlicher Lösung
Vom Lobbyverband Allianz pro Schiene, zu dem unter anderem die EVG gehört, kommen ähnliche Töne: "Wenn die Maskenpflicht in Flugzeugen aufgehoben wird, muss das genauso für alle anderen öffentlichen Verkehrsmittel auch gelten." Die Bundesregierung muss in den Augen von Geschäftsführer Dirk Flege dringend eine einheitliche Lösung finden.
Die Allianz pro Schiene sieht sich dabei nach eigener Aussage nicht in der Rolle, eine grundsätzliche Empfehlung zur Maskenpflicht auszusprechen. "Wir wollen lediglich, dass vergleichbare Sachverhalte gleich behandelt werden", erklärte der Verband auf Anfrage von BR24.
Verkehrsunternehmen verweisen auf Alltagsunterschiede
Mit nachvollziehbaren Regelungen habe der aktuelle Regierungsplan nichts mehr zu tun, erklärte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. "Im Flugzeug, wo die Passagiere stundenlang dicht an dicht sitzen, ohne sich bewegen, ausweichen oder aussteigen zu können, soll künftig keine Maskenpflicht mehr nötig sein", teilte Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff dazu mit. "Aber im Fernzug, wo man sich permanent bewegen kann, wo es Ausweichflächen und alle 30 bis 60 Minuten Haltepunkte gibt, bei denen die Türen geöffnet werden und ein Luftaustausch mit Frischluft stattfindet, soll weiterhin verpflichtend eine Maske getragen werden."
Die Deutsche Bahn äußerte sich zunächst nicht näher zu dem Plan der Bundesregierung. Man setze die behördlichen Vorgaben zum Infektionsschutz grundsätzlich um, teilte ein Sprecher auf BR24-Anfrage mit.
Maskenpflicht-Pläne der Ampel
Die Ampel-Regierung will die bundesweite Maskenpflicht in Flugzeugen zum Herbst aus dem Infektionsschutzgesetz streichen - auf Druck der FDP. In Fernzügen soll sie hingegen bestehen bleiben, Regeln für Busse und Bahnen im Nahverkehr können weiter die Länder bestimmen. Der Bundestag soll die neuen Corona-Regeln am Donnerstag beschließen, außerdem braucht es die Zustimmung des Bundesrats. Nach bestehender Gesetzeslage gilt die Maskenpflicht im Flugzeug noch bis 23. September. Statt medizinischer Maske ist ab 1. Oktober dann wahrscheinlich eine FFP2-Maske in Fernzügen Pflicht.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte mit Blick auf die geänderten Pläne, dass bei einem starken Anstieg der Corona-Fallzahlen die Regierung per Verordnung auch in den Flugzeugen die Maskenpflicht wieder einführen könne.
Lauterbach empfiehlt weiter, Maske zu tragen
Empfohlen bleibe die Maske auch in Flugzeugen, so der Minister zur Deutschen Presse-Agentur - denn ein Ansteckungsrisiko bleibt. "Das ist keine Frage von Vorschriften, sondern der Vernunft." Außerdem verwies er in der Debatte auf die Situation in anderen Ländern: "Bei internationalen Flügen wird leider so gut wie keine Maske mehr getragen. Da sind die Maßnahmen gelockert worden." So habe die Lufthansa immer wieder erklärt, dass sie die Maskenpflicht in Flugzeugen nicht mehr umsetzen könne. "Daher haben wir davon Abstand genommen und reduzieren uns auf die Bereiche im Inland, wo das möglich ist."
Für Lauterbach ist Maskenpflicht in Bahnen nicht verhandelbar
Auf den Bahnverkehr also. Dort ist der Wegfall der Maskenpflicht für Lauterbach keine Option. "Es ist von vornherein klargestellt gewesen, dass wir über die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen nicht verhandeln." Denn: "Selbstverständlich ist es so, dass das Risiko, sich zu infizieren, in Bussen und im Bahnverkehr sehr viel höher ist als im Flugverkehr." Lauterbach verwies wie andere auf die bessere Durchlüftung im Flugzeug und auf deren Filteranlagen.
"Sie müssen auch überlegen, wie wenige Leute fliegen, im Vergleich zu den vielen Menschen, die Busse und Bahnen nutzen", ergänzte Lauterbach. "Somit ist aus meiner Sicht die Regel hier nicht vergleichbar."
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SPD-Fraktionsvize: "Verzicht auf Masken ist fachlich begründbar"
Den Lüftungsaspekt führte auch schon SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese an: "Der Verzicht auf Masken ist fachlich begründbar und nachvollziehbar", sagte er der "Rheinischen Post". In Flugzeugen gebe es eine andere Luftzirkulation durch ein Absaugen der Luft und die Verwendung von Filtern. "Im ICE läuft dies anders."
Die Allianz pro Schiene hält dem auf BR24-Anfrage entgegen: "Die Lüftungssysteme in Flugzeugen und in Bahnen sind in puncto Ansteckungsgefahr aus unserer Sicht vergleichbar sicher." Hinzu komme, dass bei Haltepunkten durch die Türen frische Luft einströme sowie in vielen Regionalbahnen Fenster geöffnet werden könnten.
Filtertypen im Flugzeug und bei der Bahn
Wie gut Passagiere vor Corona-Infektionen in Flugzeugen geschützt sind, ist eine Frage, die schon seit Langem diskutiert wird. Airbus-Chefingenieur Jean-Brice Dumont erklärte schon früher, dass in einem Flugzeug alle zwei bis drei Minuten die Luft komplett ausgetauscht werde. Die Angaben variieren je nach Flugzeugtyp. Die Luft strömt im Flugzeug von oben nach unten und drückt freigesetzte Tröpfchen auf den Kabinenboden. Unter den Sitzen wird sie wieder abgesaugt. HEPA-Filter, also High-Efficiency Particulate Air-Filter, sind sogenannte Schwebstofffilter und sollen helfen, veratmete Luft zu reinigen. Frische Luft von außen wird ebenfalls aufbereitet.
Informationen von der Webseite der Deutschen Bahn zufolge findet in einem ICE alle sieben Minuten ein vollständiger Luftaustausch statt. "Außerdem verfügen die Züge über eine aktive Luftmengensteuerung, die die Frischluftzufuhr abhängig von der Besetzung der Züge regelt." In den Zügen sind Filter der Klasse G4 vorhanden, die zu den Grobfiltern gehören. Die Klimaanlagen in Fernverkehrszügen ziehen die Luft laut Deutscher Bahn vertikal von oben nach unten und anschließend aus dem Zug.
Experte: Luftvolumen entscheidend
Dieter Scholz von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg erklärte im Gespräch mit BR24 aber, dass nicht die Luftwechselrate, also die bereits erwähnten Minuten, entscheidend seien. Vielmehr müsse geschaut werden, wie viel Luftvolumen pro Passagier und Zeit ausgetauscht werde. Es finde ein Luftaustausch über die ganze Kabine statt. Es gebe auch keine komplette Erneuerung der Luft, weil durch eine erkrankte Person ständig neue Viren freigesetzt würden. Daran würde auch ein HEPA-Filter nichts ändern, so Scholz.
Die Parameter, die Politiker anführen, sind für den Professor für Flugzeugentwurf, Flugzeugsysteme und Flugmechanik daher weniger maßgeblich. Zum Bahn-Flugzeug-Vergleich sagte er: "Der Unterschied zwischen Bahn und Flugzeug ist so gering, dass man so eine radikale Entscheidung wie bei der Maskenpflicht damit nicht treffen kann." Zwar hat die Bahn schlechtere Filter, dafür ist der Abstand je nach Auslastung zwischen den Passagieren aber beispielsweise größer. Für den Vergleich sind also mehrere Faktoren zu berücksichtigen.
Dahmen: Ende der Maskenpflicht in Bahnen wäre kein kluger Schritt
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen nannte einen Wegfall der Maskenpflicht für Bahnreisende "keinen klugen Schritt". Bezüglich des Flugverkehrs sagte er im Deutschlandfunk: "Es gibt sehr unterschiedliche Sichtweisen in unserer Koalition in Berlin und da war die Harmonisierung europäischer Regeln dem Koalitionspartner ein wichtiges Anliegen." Dem habe man Rechnung getragen, gleichzeitig aber an anderer Stelle dafür gesorgt, dass das Schutzniveau in Deutschland, etwa im Gesundheitswesen, noch weiter erhöht werde. Der Wegfall der Pflicht im Flugzeug sei "etwas, was man sicherlich sehr genau im Auge behalten muss, was ich persönlich vielleicht auch anders entschieden hätte", so Dahmen.
Lufthansa froh über Schritt der Regierung
Die Lufthansa zeigte sich jedoch zufrieden mit dem Vorhaben: Chef Carsten Spohr sprach in Frankfurt von einer guten Nachricht und sagte: "Wie froh sind unsere Mitarbeiter, die nicht mehr Maskenpolizei spielen müssen. Und wie froh sind täglich knapp 300.000 Fluggäste, die nirgendwo sonst mehr eine Maske tragen mussten, weil es jede andere Airline ignoriert hat." Auch Bahn-Vertreter berichteten bereits von Erfahrungen, dass die Maskenpflicht immer seltener eingehalten werde.
Kritik aus Bayern
Scharfe Kritik kam bereits aus Bayern. "Die Berliner Ampel macht sich mit ihrem konfusen Corona-Kurs völlig lächerlich", sagte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). "Wer soll den Bundesgesundheitsminister noch ernst nehmen, wenn er jetzt schon wieder vor der FDP einknickt?" Niemand bestreite ernsthaft, dass Masken in Flugzeugen ein wirksamer Schutz vor Infektionen sein könnten. "Dies gilt vor allem dann, wenn alle Anwesenden eine Maske tragen. Hinzu kommt: Es ist für Flugreisende durchaus zumutbar, auf diese Weise sich und vor allem andere zu schützen."
Mit Material von dpa.
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