Die radikal-islamistische Hamas hat am Samstag vom Gazastreifen aus Israel massiv aus der Luft, am Boden und vom Meer aus angegriffen. Es kam zu schweren Kämpfen mit israelischen Soldaten und Gräueltaten an Zivilisten. Aufseiten Israels kamen mindestens 200 Menschen um. Bei den israelischen Vergeltungsattacken wurden nach palästinensischen Angaben mindestens 240 Menschen getötet. Berichten zufolge gibt es Geiselnahmen und Entführungen in den Gazastreifen.
Hunderte Tote und Tausende Verletzte – Kämpfe dauern an
Unter den Opfern aufseiten Israels sind auch viele Zivilisten. Dies berichteten israelische Medien unter Berufung auf medizinische Kreise. Nach Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums wurden mehr als 1.450 Israelis verletzt.
Auch am Abend war die Situation in grenznahen Gebieten noch nicht wieder unter israelischer Kontrolle. Nach Angaben des israelischen Militärsprechers Daniel Hagari gibt es keine Gemeinde im Süden Israels, in der keine Streitkräfte seien. "Es gibt Gemeinden, die von Terroristen befreit wurden, aber wir möchten das Gebiet weiter durchsuchen, bevor wir dies bekannt geben", so Hagari. Ziel sei es nun, "dass alle Terroristen getötet werden und dass alle Gemeinden von Terroristen befreit werden". Laut Armeesprecher Richard Hecht befanden sich am Samstagabend noch "Hunderte" Kämpfer der Hamas auf israelischem Boden.
Auch am Abend Raketenalarm in mehreren israelischen Städten
Im Großraum Tel Aviv und anderen Städten des Landes gab es am Samstagabend erneut Raketenalarm. Warnsirenen heulten. Anschließend waren zahlreiche Explosionen über der Küstenmetropole zu hören, die vermutlich durch das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome ausgelöst wurden.
Bei den Angriffen wurden mehrere Menschen verletzt, drei davon schwer, wie der Rettungsdienst Magen David Adom meldete. Ob die Menschen durch die Angriffe verletzt wurden oder auf der Flucht, war zunächst unklar. Israelische Medien berichteten unter Berufung auf die Feuerwehr, ein Gebäude in Tel Aviv sei von Raketen getroffen worden und eingestürzt. Zwei Menschen seien gerettet worden.
Netanjahu kündigt Rache an
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu kündigte in einer Ansprache am Samstagabend eine harte Reaktion auf die Angriffe an: "Wir werden alle Orte, an denen die Hamas organisiert ist und sich versteckt, in Trümmerinseln verwandeln", sagte er und forderte Bewohner des Gazastreifens auf zu fliehen. "Denn wir werden überall und mit all unserer Kraft handeln". Israel werde Rache für diesen schwarzen Tag nehmen. Er sagte aber auch: "Dieser Krieg wird Zeit brauchen. Es liegen noch herausfordernde Tage vor uns."
Hamas will Kämpfe ausweiten
Die israelische Armee bestätigte Geiselnahmen von Israelis durch die Hamas. Die militante Palästinenserorganisation habe israelische Soldaten und Zivilisten gefangen genommen und damit "ein Kriegsverbrechen" begangen, sagte Hagari am Samstag, ohne Zahlen zu nennen.
Hamas-Vizechef Saleh al-Aruri sagte dem TV-Sender Al-Dschasira, "eine große Zahl" an israelischen Geiseln sei in der Gewalt der Hamas. Laut einem Sprecher wurden diese an gesicherten Orten und in Tunneln untergebracht.
Der Chef der Hamas, Ismail Hanijeh, kündigte am Samstagabend an, den Kampf vom Gazastreifen auf das Westjordanland und Jerusalem ausweiten zu wollen.
Hamas erklärt "Militäroperation" gegen Israel
Der bewaffnete Arm der im Gazastreifen herrschenden Hamas hatte zuvor erklärt, die "Operation Al-Aksa-Flut" gegen Israel gestartet zu haben. Dabei habe die Gruppe mehr als 5.000 Raketen auf Israel abgefeuert, sagte Mohammed Deif, der Chef der Essedine-al-Kassam-Brigaden, in einer im Fernsehen abgespielten Audionachricht. Ein Sprecher des israelischen Militärs hingegen bezifferte die Anzahl der auf Israel abgefeuerten Raketen mit 2.500.
Von der EU, den USA und Israel wird die Hamas als Terrororganisation eingestuft. Die Palästinenser-Miliz Islamischer Dschihad ist nach eigenen Angaben an dem Hamas-Angriff auf Ziele in Israel beteiligt.
Netanjahu: "Bürger Israels, wir sind im Krieg"
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich nach den Angriffen am Morgen in einer Videobotschaft aus dem Militärhauptquartier in Tel Aviv geäußert: "Bürger Israels, wir sind im Krieg", sagte er darin. Netanjahu betonte, es handele sich nicht um eine neue Gewaltrunde oder Ähnliches, sondern um einen Krieg.
Netanjahu sagte, er habe die Militärführung angewiesen, "die Ortschaften von den Terroristen zu säubern", die eingedrungen seien. Außerdem habe er die massive Mobilisierung von Reservisten angeordnet, "um zurückzuschlagen, in einem Ausmaß, das der Feind noch nicht erlebt hat".
Bei den Vergeltungsattacken wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums vom Samstagabend mindestens 240 Palästinenser getötet. Zudem habe es in Gaza knapp 1.700 Verletzte gegeben, teilte das Gesundheitsministerium mit.
Zum Video: ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann berichtet von der Lage in Israel
Israel reagiert mit Luftangriffen
Israel reagierte nach Armeeangaben mit Luftangriffen auf verschiedene Ziele der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen. Am Samstag zerstörten israelische Kampfjets drei Hochhäuser in Gaza, die daraufhin nach Angaben von Augenzeugen einstürzten. "Die Terrororganisation Hamas platziert ihre Militäranlangen absichtlich im Herzen der Bevölkerung", erklärte die israelische Armee im Anschluss. Zuvor habe man die Bewohner gewarnt und aufgerufen, sich in Sicherheit zu bringen.
Der israelische Energieminister Israel Katz kündigte am Samstagabend an, die Stromversorgung im Gazastreifen zu kappen. Er habe eine entsprechende Anordnung unterzeichnet, schrieb Katz auf der Plattform X. Das Palästinensergebiet importierte bislang bis zu 120 Megawatt Strom vom staatlichen israelischen Energieversorger. Unter normalen Umständen haben die Bewohner im Gazastreifen nach Angaben des Nahost-Quartetts ohnehin nur fünf bis 15 Stunden am Tag Strom.
Die israelische Armee gab außerdem bekannt, sie werde Zehntausende Reservisten mobilisieren. Die Vorsitzenden der Oppositionsparteien im israelischen Parlament stellten sich laut der Zeitung "Times of Israel" in einer gemeinsamen Erklärung hinter die Armee und fordern die internationale Gemeinschaft auf, die Angriffe als Terrorakte zu verurteilen. Gleichzeitig riefen sie die politischen Lager zur Einheit auf. "In Tagen wie diesen gibt es in Israel keine Opposition und keine Koalition", so die Vorsitzenden mehrerer Oppositionsparteien.
Militärsprecher berichtet von Kämpfen an 22 Orten
Der Angriff aus dem Gazastreifen kam überraschend. In verschiedenen Städten Israels heulten laut Armee Warnsirenen. Nach Angaben von AFP-Journalisten ertönten in Jerusalem zweimal Sirenen. Auch in der Küstenmetropole Tel Aviv gab es Raketenalarm, ein Haus wurde getroffen. Das Militär rief die Einwohner der südlichen und zentralen Landesteile auf, in geschützten Bereichen zu bleiben.
Militärsprecher Hagari sagte am Abend, es werde an 22 Orten gekämpft. Zu einem früheren Zeitpunkt hatten israelische Medien – unter Berufung auf Angaben der israelischen Polizei – von rund 60 palästinensischen Terroristen an 14 Orten berichtet.
Baerbock: "Recht, sich gegen Terror zu verteidigen"
Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, appellierte auf der Plattform X an Deutsche in Israel, in der Nähe von Schutzräumen zu bleiben und sich über die Sicherheitslage zu informieren. Das Auswärtige Amt rät derzeit "dringend" von Reisen nach Israel und in die Palästinensergebiete ab und begründete dies mit den "gravierenden militärischen Auseinandersetzungen". Vor Reisen in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen wird gewarnt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) versicherten in Posts auf der Plattform X Israel der Solidarität Deutschland. "Deutschland verurteilt diese Angriffe der Hamas und steht an der Seite Israels", schrieb Scholz.
Baerbock sagte, Israel habe das völkerrechtlich verbriefte Recht, "sich gegen Terror zu verteidigen". Zugleich warnte sie, dass sich die Region durch die jüngsten Angriffe der Hamas einmal mehr weiter vom Frieden entfernt habe. "Durch diese Terrorangriffe besteht nun die unkalkulierbare Gefahr einer großen regionalen Eskalation", sagte Baerbock.
- Weitere Reaktionen aus aller Welt auf den Angriff auf Israel
Lage im Westjordanland zugespitzt
Die Lage besonders im besetzten Westjordanland hatte sich zuletzt wieder zugespitzt. Seit Donnerstag waren dort vier Palästinenser bei eigenen Anschlägen oder Konfrontationen mit der Armee getötet worden.
Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem völkerrechtswidrig besetzt. Israel hingegen spricht von "umstrittenen Gebieten". Die Palästinenser beanspruchen diese Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt. Die radikal-islamische Palästinensergruppe Hamas hat 2007 die Macht in dem von 2,3 Millionen Palästinensern bewohnten Gazastreifen übernommen.
Hamas hat Zerstörung Israels als Ziel
Die Hamas besteht aus unterschiedlichen militärischen Gruppierungen, darunter die Kassam-Brigaden, die in den vergangenen Jahren viele Angriffe und Selbstmordattentate auf Israel verübt haben. Die Organisation umfasst auch eine politische Partei und Hilfsorganisationen. Die Gruppe unterhält im Gazastreifen ein breites Netz an Schulen und sozialen Einrichtungen, womit sie sich in der Bevölkerung Sympathien und Zulauf sichert.
Die Terrororganisation hat sich die Zerstörung Israels zum Ziel gesetzt und kämpft für die Errichtung eines islamischen Staats. Das Wort "Hamas" ist eine Abkürzung für Islamische Widerstandsbewegung, bedeutet aber auch "Eifer" auf Arabisch.
Mit Informationen von dpa, AFP, Reuters und KNA.
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