Am Mittwochabend greifen die Behörden schließlich durch: Gemeinsam mit der Polizei schließt das Landesjugendamt Rheinland-Pfalz das sogenannte "Familienzentrum" in der Aloisius-Grundschule in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Als Grund gibt das zuständige Landesjugendamt an, dass die Kinder "unter schlechten Bedingungen (kein Strom, kein Wasser, öliger Schlamm in den Fluren, keine funktionierenden Toiletten im Gebäude, die gesamte Schule wird als Lagerraum für Hilfsgüter aller Art genutzt)" durch "den Behörden nicht bekannte Personen betreut wurden".
Seit dem Wochenende hatten sich angereiste Freiwillige in der Schule aufgehalten und eine Art Krisenstab eingerichtet: Es gab eine Kinderbetreuung, es wurden Spenden sortiert und Aufräumarbeiten organisiert. In Videos und Sprachaufnahmen, die sich in den sozialen Medien finden und BR24 auch von Usern zugeschickt werden, verbreiten manche dieser Helfer ihr ganz eigenes Narrativ von dem, was in den Krisengebieten vor sich geht: Etwa, sie seien die einzigen, die vor Ort echte Hilfe leisteten.
Oder: Ihre Hilfe sei vom Staat nicht gewünscht, sie würden – trotz des vermeintlichen Staatsversagens – immer wieder weggeschickt. Ob das im Einzelfall tatsächlich passiert ist, lässt sich nur schwer überprüfen. Sicher aber ist: Polizei und Rettungskräfte sind in den Flutgebieten ständig vor Ort - auch wenn es sicherlich Fälle gibt, in denen die Hilfe nicht oder nicht schnell genug kommt. Immer wieder aber müssen Politiker und Behörden vor Ort nun gegen Freiwilligen vorgehen, die ihr Tun für eigene Zwecke benutzen: Entgegen der wiederholten Bitten der Rettungskräfte reisen sie auf eigene Faust in Hochwassergebiete, verbreiten Desinformationen und sammeln Spenden, bei denen unklar ist, an wen sie gehen.
Allmählich erst stellt sich heraus, wer sich in der Aloisius-Schule alles unter die Helfer gemischt hat: Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker sind darunter, aber auch ein wegen Volksverhetzung verurteilter rechter Videoblogger.
Wer steckt hinter der Hilfe in der Aloisius-Grundschule?
Das "Familienzentrum", in dem Eltern ihre Kinder betreuen lassen können, wurde offenbar von Mitgliedern der Initiative "Eltern stehen auf" betrieben, über die der BR schon an anderer Stelle berichtet hat. Die Initiative habe dort zwei Tage lang zwischen sechs und acht Kinder betreut, bestätigt eine Sprecherin des Landesjugendamtes Rheinland-Pfalz. Der Verein spricht sich gegen Corona-Maßnahmen aus, steht in dem Ruf, den Querdenkern nahezustehen, und warnt auf seiner Homepage vor der Impfung gegen das Virus. Sie sei ein "medizinisches Experiment", vor dem die Kinder geschützt werden sollen.
Bereits am Wochenende hatte auch das rheinland-pfälzische Familienministerium auf Twitter darauf hingewiesen, dass es sich dabei "nicht um ein mit der Einsatzleitung des Landes abgestimmtes Angebot handelt" und mitgeteilt, dass man auf eine Schließung des Zentrums hinarbeite.
Auch ein verurteilter Videoblogger ist in der Schule
Doch nicht nur "Eltern stehen auf" ist vor Ort. Auch der rechte Videoblogger Nikolai Nerling, der auf Telegram als "Volkslehrer" auftritt, sendet seit Montag Updates aus der Schule in Ahrweiler. Nerling wurde vom Landgericht München wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt.
In seinen Videos macht Nerling wiederholt Stimmung gegen den Staat: In einem Video zeigt er die Zerstörung, die das Hochwasser zurückgelassen hat: "Solche Situationen sehen wir an jeder Ecke – aber was wir nicht sehen, sind Polizei, THW, Bundeswehr, die hier koordiniert vorgehen." Nerling scheint der vermeintlich fehlenden Hilfeleistung Gutes abgewinnen zu können: "Das ist großartig, weil wir damit endlich in die Selbstverantwortung kommen. Und zeigen können, dass wir diese ganzen BRD-Organisationen gar nicht brauchen." Inzwischen allerdings scheint er das zumindest teilweise anders zu sehen: "Die BRD-Strukturen funktionieren", sagt Nerling in einem der jüngsten Videos.
Schlechte Bedingungen in der Kinderbetreuung, Falschinformationen
Für die Behörden wird die Hilfe von Querdenken-nahen Gruppen teilweise zum Problem. Etwa wenn auf eigene Faust angereiste Helfer Straßen zuparken, ohne Genehmigung Aufgaben übernehmen, oder Desinformationen verbreiten: In einem Fall etwa fuhr ein "Friedenswagen" durch die Straßen, der einem Polizeiauto sehr ähnlich sieht. Bei einigen Querdenken-Demos war ein solches Auto auch schon zu sehen.
Über Lautsprecher verkündeten die Fahrer nun im Flutgebiet, dass Polizei und Rettungskräfte die Anzahl der Einsatzkräfte reduziert hätten – was nicht stimmt. Die Polizei Koblenz sieht sich schließlich genötigt, die Behauptung richtigzustellen: "Wir sind ununterbrochen da!", twittert sie am Dienstag. Der Kampf gegen die Falschinformationen bindet ohnehin knappe Ressourcen.
Man wisse, dass sich "Rechtsextremisten als 'Kümmerer vor Ort' ausgeben", heißt es in einem weiteren Tweet. Solange diese aber nicht gegen geltendes Recht verstoßen, könne man wenig tun. Ob sich weiterhin Querdenker und Rechte in der Aloisius-Schule aufhalten, kann die Polizei Koblenz am Donnerstagabend nicht bestätigen. Sicher ist nur, dass das Kinderzentrum geräumt wurde.
Über Paypal wird Geld gesammelt
Immer wieder rufen die selbst ernannten Helfer auch zu Geldspenden auf. Der "Volkslehrer" etwa postet mehrfach eine Kontonummer. Wo genau das Geld hingeht, ob es wirklich den Hilfsmaßnahmen zugutekommt – das ist derzeit nur schwer zu überprüfen.
Ähnlich ist es bei Bodo Schiffmann, einem Arzt, der in der Pandemie immer wieder mit Falschbehauptungen aufgefallen ist. Seit Beginn der Flutkatastrophe ist er laut einer Analyse des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) auf Telegram aktiver denn je und verbreitet das Narrativ, dass andere Akteure die Krise nicht regeln könnten oder wollten.
Über einen Paypal-Account sammelt Schiffmann, der selbst derzeit im Ausland vermutet wird, Geld für die Opfer. Knapp 700.000 Euro sind dort binnen einer Woche eingegangen. Die Spenden gingen "zu 100 Prozent an die Hochwasseropfer", verspricht Schiffmann in seinem Kanal zunächst. Später weist er darauf hin, dass das Geld auch zur Unterstützung der Aufräumarbeiten eingesetzt werden soll.
Herbert Reul, Innenminister von NRW, warnte erst diese Woche vor Rechtsextremisten und Querdenkern, die versuchten, sich an der Krise zu bereichern. "Mit vermeintlichen Hilfeleistungen", so Reul, suchten diese den "Anschluss an die Mitte der Gesellschaft".
Experten finden die Instrumentalisierung erwartbar
Experten, die sich mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien beschäftigen, sind von dem Versuch der Vereinnahmung der Fluthilfe wenig überrascht. Es würden "Parallelstrukturen aufgebaut, welche zur Indoktrination und Imageaufbesserung genutzt werden", twittert etwa CeMAS, in dem Experten aus verschiedenen Disziplinen zu Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus forschen. CeMAS-Geschäftsführerin Pia Lamberty fordert auf Twitter deshalb, man müsse die Verbreitung von Desinformation und "verschwörungsideologische Mobilisierungen" beim Krisenmanagement künftig von vorneherein mitdenken und Strategien dagegen entwickeln.
Auch der Verschwörungstheorie-Experte und Physiker Holm Hümmler ist nicht wirklich verwundert. Bereits seit letztem Herbst diskutierten Querdenker, wie es weitergehe, wenn die Pandemie und die Maßnahmen vorbei seien. Deshalb sei es erwartbar, dass sie sich nun in anderen Themen "ein neues Zuhause" suchten, sagte Hümmler im Gespräch mit BR24.
Der "harte Kern" der Querdenker-Bewegung sei in weiten Teilen identisch mit verschwörungsgläubigen Gruppen, die seit Jahren bekannt seien, sagt Hümmler. "Diese Gruppen suchen sich immer wieder neue Themen heraus, die man über Verschwörungsglauben bearbeiten kann". Viele würden nicht nur an einen Verschwörungsmythos glauben, sondern an mehrere. "In solche Glaubenssysteme kann Verschiedenes einbezogen werden - selbst wenn es nicht widerspruchsfrei ist."
Die helfenden Initiativen sehen das anders
Die Helfer fühlen sich derweil durch die Berichterstattung über sie falsch wiedergegeben: In ihrem Telegram-Kanal etwa posten die "Eltern stehen auf" eine Stellungnahme, in der es heißt: "Der Staat erweist sich als unfähig, schnellst möglich die dringend benötigte Krisenintervention bereitzustellen", währenddessen werde ihre Hilfe aus politischen Gründen abgelehnt.
Auch der "Volkslehrer" kommentiert die kritische Berichterstattung in einem Video selbst. Manchen der Helfer werde vorgeworfen, sie würden die Aufräumarbeiten instrumentalisieren, schildert Nerling in einem Video. Er findet: "Hanebüchener kann man es kaum darstellen - was hier aufgebaut wurde, das ist Nothilfe vom Feinsten."
Die zuständigen Behörden bitten Freiwillige derweil immer wieder darum, mit den offiziellen Stellen zusammenzuarbeiten und behördliche Vorgaben zu befolgen. Etwa in Bezug auf die Kinderbetreuung im Familienzentrum in der Aloisius-Grundschule: "Bei aller Not, die vor Ort herrscht, müssen Kinder von qualifiziertem Personal betreut werden", sagt Detlef Placzek, Präsident des Landesjugendamtes Rheinland-Pfalz dem SWR.
Das immerhin scheint inzwischen umgesetzt zu sein: Die Kreisverwaltung Ahrweiler hat jetzt eine Kinderbetreuung in der katholischen Familienbildungsstätte eingerichtet, teilt eine Sprecherin des Landesjugendamtes mit: mit kindgerecht ausgestatteten Räumlichkeiten, wo die Kinder von pädagogischen Fachkräften betreut würden.
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