Im Kuss-Skandal um den inzwischen suspendierten spanischen Fußball-Verbandschef haben sich nun auch die Vereinten Nationen kritisch gegenüber Luis Rubiales geäußert. "Wie schwierig ist es, jemanden nicht auf die Lippen zu küssen?", sagte der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, Stephane Dujarric, in New York.
UN: Kein Hinweis auf Einvernehmlichkeit beim Kuss
Rubiales hatte die Spielerin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung nach dem gewonnenen WM-Finale auf den Mund geküsst. Die Spielerin hatte den Kuss anschließend als ungewollt beschrieben. Er sehe "keinen Hinweis darauf", dass der Kuss von Rubiales einvernehmlich gewesen sei, sagte Dujarric weiter. Es gebe "weiterhin ein kritisches Problem des Sexismus im Sport und wir hoffen, dass die spanischen Behörden und die spanische Regierung dieses Problem auf eine Weise angehen, die die Rechte aller Sportlerinnen respektiert".
Staatsanwaltschaft kündigt Ermittlungen an: Was droht Rubiales?
Die Aussichten dafür scheinen nicht schlecht zu stehen. Am Montag kündigte die spanische Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen Rubiales wegen eines möglichen sexuellen Übergriffs an. Bereits am Samstag hatte der Fußball-Weltverband Fifa den spanischen Verbandschef im Zuge eines Disziplinarverfahrens für zunächst 90 Tage gesperrt und Rubiales sowie dem spanischen Fußballverband jeglichen Kontakt zu Hermoso und ihrem Umfeld untersagt.
Seit Montagmittag berät zudem das spanische Sportgericht TAD über eine von der Regierung beantragte weitere Sperrung des Verbandschefs. "Wenn der TAD die Klage der Regierung annimmt, werden wir den Präsidenten sofort von seinen Aufgaben suspendieren", sagte Sportminister Miquel Iceta der Tageszeitung El País. Das Strafmaß reicht von einer Geldbuße bis hin zu einer Sperre von 15 Jahren.
Regionalverbände entziehen Rubiales das Vertrauen
Selbst innerhalb des spanischen Fußballverbandes scheint Rubiales inzwischen jegliches Vertrauen verloren zu haben. Am Montagabend forderten die Chefs der Regionalverbände den Präsidenten der nationalen Föderation zum Rücktritt auf. "Nach den jüngsten Ereignissen und dem inakzeptablen Verhalten, das das Image des spanischen Fußballs ernsthaft beschädigt hat, fordern die Präsidenten, dass Luis Rubiales sofort als RFEF-Präsident zurücktritt", hieß es in einer Mitteilung des Verbandes nach einer außerordentlichen Sitzung der Regionalpräsidenten.
"Wir werden die entsprechenden Gremien auffordern, eine tiefgreifende und sofortige Umstrukturierung der strategischen Positionen des Verbandes vorzunehmen, um den Weg für eine neue Phase in der Führung des spanischen Fußballs zu ebnen", erklärten die Funktionäre weiter.
Hermoso fordert Rubiales' Rücktritt
Rubiales hatte sich nach dem gewonnenen WM-Finale gegen England am 20. August auf der Ehrentribüne neben Spaniens Königin Letizia als Siegespose an die Genitalien gegriffen und danach bei der Siegerehrung vor den Augen eines Millionen-Publikums Hermosos Kopf mit beiden Händen festgehalten und sie auf den Mund geküsst. Das übergriffige Verhalten hatte international Empörung ausgelöst. Nicht nur Teile von Spaniens Fußballszene fordern seitdem den Rücktritt des 46-Jährigen, sondern auch einige Mitglieder der sozialistischen Regierung.
Auch die betroffene Nationalspielerin Jennifer Hermoso verlangte den Rücktritt. Sie habe sich "verletzlich und als Opfer eines Übergriffs gefühlt, eines impulsiven, machohaften Aktes, der unangebracht war und dem ich nicht zugestimmt habe". Zusammen mit den anderen Nationalspielerinnen kündigte sie an, nicht wieder für das Nationalteam antreten zu wollen, solange Rubiales dem Verband vorstehe.
Demonstrationen und Kollegen-Proteste
Auch in der spanischen Gesellschaft gibt es viel Unterstützung für Hermoso. Allein in Madrid gingen Tausende Menschen auf die Straße, machten ihrem Unmut gegen Verbandspräsident Rubiales lautstark Luft, in den sozialen Medien gab es unzählige Unterstützungsbotschaften für Hermoso. Auch bei den männlichen Fußballer-Kollegen von Hermoso gab es viele Solidaritätsbekundungen. Mannschaften liefen mit Transparenten wie "Wir sind alle Jenni" auf oder wie der FC Sevilla mit dem an Rubiales gerichteten Slogan "Es ist vorbei" auf dem Trikot.
Rubiales spricht von "sozialer Hinrichtung"
Luis Rubiales verweigert jedoch weiter einen Rücktritt. "Hier geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um eine soziale Hinrichtung", sagte er kürzlich auf einer Sondersitzung des spanischen Fußballverbands. Es habe sich um einen einvernehmlichen Kuss gehandelt. Jennifer Hermoso widersprach dem energisch. An dem Kuss sei nichts einvernehmlich gewesen und sie habe sich als Opfer eines "sexistischen" Übergriffs gefühlt.
Mutter weiter im Hungerstreik
Rubiales' Mutter trat zur Unterstützung ihres Sohnes am Montag in einen Hungerstreik. Sie habe sich aus Protest gegen die ihrer Meinung nach "unmenschliche und blutige Jagd" auf ihren Sohn in einer Kirche der andalusischen Stadt Motril im Süden des Landes eingeschlossen, erklärten Familienmitglieder.
Demnach will sie den Streik "Tag und Nacht" fortsetzen, bis "der Gerechtigkeit Genüge getan" ist. Die Mutter sage, ihr Sohn sei ein guter Mensch, der niemals jemanden bedrängt habe, berichteten spanische Medien. Sie forderte Jennifer Hermoso auf, "die Wahrheit zu sagen". Es liege kein Übergriff vor, da beide Seiten einverstanden gewesen seien. Sie frage sich "warum sie es an ihm auslassen" und was "hinter dieser ganzen Geschichte steckt", sagte seine Mutter weiter.
"Er wurde vorverurteilt", erklärt eine Cousine
Die Kameras des staatlichen Fernsehsenders RTVE zeigten, wie am Montagmittag zahlreiche Journalisten, Fotografen, Kameraleute und auch Schaulustige vor der Kirche Divina Pastora versammelt waren. Die Mutter von Rubiales ist nach Angaben des Priesters in Begleitung ihrer Schwester. Sie sei sehr nervös und weine.
Eine Cousine von Rubiales sagte den Journalisten vor der Kirche: "Wir leiden alle sehr. Er wurde vorverurteilt". "Seine Mutter, die tiefgläubig ist, hat ihre Zuflucht bei Gott gefunden, sie ist in den Hungerstreik getreten, sie will die Kirche nicht verlassen", schilderte die Verwandte weiter. Angehörige und Freunde des 46-Jährigen seien der festen Überzeugung, dass der Kuss in beiderseitigem Einvernehmen erfolgt sei.
Mit Informationen von KNA, dpa, SID und afp
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!