Wer schneller klickt, kriegt mehr vom Staat. Was Windhundprinzip im Internet bedeutet, war vor kurzem auf der Seite der Förderbank KfW zu erleben: Der Andrang auf das "Solarstrom für Elektroautos"-Programm des Bundesverkehrsministeriums war so groß, dass viele nicht zum Zug kamen, Rechner abstürzten, Menschen fühlten sich ungerecht behandelt. Kein Wunder, es ging um viel Geld: Für die Kombination Photovoltaikanlage/Speicher/Wallbox gab es bis zu 10.200 Euro Förderung. Der Topf für dieses Jahr: 300 Millionen Euro. Nach nicht einmal einem Tag war er leer.
CO2-Ausstoß im Verkehr steigt stetig
Für das Bundesverkehrsministerium ist der Ansturm Zeichen für die "Bereitschaft der Bürger, an der Transformation im Verkehrssektor mitzuwirken". Und auf diese Bereitschaft ist das Ministerium dringend angewiesen. Denn der Verkehrsbereich, für den Volker Wissing (FDP) zuständig ist, reißt seit der coronabedingten Delle 2020 jedes Jahr seine Klimaziele. Der CO2-Ausstoß nimmt in diesem Bereich sogar wieder deutlich zu.
Der Verkehrsminister will die Klimaziele etwa durch den Ausbau der Schiene, der Radverkehrswege und besonders durch die E-Mobilität erreichen. Laut Koalitionsvertrag sollen 15 Millionen Elektroautos bis 2030 unterwegs sein. Allerdings waren es bis Juli nicht einmal 1,2 Millionen. Um mehr Anreiz zum Umstieg zu setzen, bringt das Ministerium Programme wie die Wallboxförderung 2020/21 oder die "Solarstrom für Elektroautos"-Förderung auf den Weg. Das Programm werde in "sehr kurzer Zeit einen großen Beitrag für die Elektromobilität in Deutschland leisten, weil es den Antragstellern ermöglicht, schneller auf Elektroautos umzusteigen", zeigt sich eine Ministeriumssprecherin gegenüber BR24 überzeugt.
DIW-Ökonom: Wohl nicht mehr Umstieg auf E-Mobilität
Ökonomen sind mit Blick auf den Nutzen der Förderung skeptisch: "Sie bringt weder in Bezug auf den Umstieg auf die Elektromobilität viel noch auf den zusätzlichen Ausbau der erneuerbaren Energien oder die systemoptimierte Stromnutzung", sagt Wolf-Peter Schill, Leiter des Forschungsbereichs Transformation der Energiewirtschaft beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Insgesamt würden relativ wenige Anlagen gefördert. Weiterer Grund seien Mitnahmeeffekte. Demnach führe so eine Förderung selten zu zusätzlichen Anschaffungen von PV-Anlagen oder E-Autos. Sie sorgt eher dafür, dass der längst gefasste Plan zu investieren, so lange aufgeschoben wird, bis eine Förderung beantragt werden kann.
"Goodie" für eine bestimmte Gruppe
Das Hauptproblem sieht der Wirtschaftswissenschaftler darin, dass in einem Segment gefördert werde, wo es schon viel Förderung gibt. Wer ein Hausdach mit Solaranlage hat, profitiere schon jetzt von der Einspeisevergütung und dem erheblichen Eigenverbrauchsvorteil. Sprich: Alle Möglichkeiten für sehr profitable Investitionen in PV-Anlagen seien bereits da. Das sei auch gut so, sagt Wolf-Peter Schill, nur zusätzlich anreizen müsse man sie nicht. Genauso wenig wie das E-Auto-Laden auf dem eigenen Stellplatz. Denn das sei ohnehin schon viel günstiger als an öffentlichen Ladesäulen. Warum also die Förderung? Es sei "relativ klar, dass eine bestimmte Gruppe von Eigenheim besitzenden Autofahrer_innen einfach ein Goodie hat bekommen sollen".
Ifo-Ökonomin: "Dort fördern, wo sonst nicht die Finanzkraft da wäre"
Prof. Karen Pittel, Leiterin des Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen am Münchner ifo-Institut sieht ein grundlegendes Missverständnis beim Förderziel: "Man müsste eigentlich etwas fördern, was man aus einem bestimmten Grund zwar für sinnvoll hält, was aber momentan noch nicht gekauft wird", sagt Pittel im Gespräch mit BR24. In der Anfangszeit von Photovoltaik oder Windenergie habe eine Förderung durchaus Sinn gemacht. Sinnvoll sei Förderung auch beim Gebäudeenergiegesetz: "Dort zu fördern, wo sonst nicht die Finanzkraft da wäre, um diese Anschaffung zu tätigen." Auch Karen Pittel ist skeptisch, ob das Förderprogramm des Verkehrsministeriums Menschen erreicht, die ohne die Förderung nicht investiert hätten. "Aus meiner Sicht wird nach wie vor zu breit gefördert."
E-Mobilität ohne große Mengen Steuergeld attraktiver machen
Dabei müsse man nicht unbedingt mit großen Mengen an Steuergeldern fördern, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin. Zum Beispiel würde eine eigene Spur für E-Autos in Stoßzeiten, wie es sie beispielsweise in den USA gibt, den Umstieg auf das Elektroauto attraktiver machen. Ganz ohne finanziellen Anreiz. Aus Sicht von Wolf-Peter Schill wäre es sinnvoller, mit den nun vergebenen 500 Millionen Euro – in diesem Jahr sind es 300, im kommenden 200 Millionen Euro - verstärkt Wallboxen in Mehrfamilienhäusern zu fördern. Oder die weißen Flecken in der öffentlichen Ladeinfrastruktur anzugehen.
Bund der Steuerzahler: "Dieses Förderkonzept ist falsch konzipiert"
"Dieses Förderkonzept ist falsch konzipiert! Dass die Mittel so schnell weggingen, ist kein Grund zum Jubeln, sondern zum Nachdenken", erklärt Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler auf Anfrage. Es gehe "um rasche Mitnahmeeffekte, wo eine Förderung gar nicht nötig zu sein scheint". Holznagel will Förderung im Klimaschutz nur dort, wo nachweislich Bedarf herrsche, "und die Menschen Hilfe gegen Überforderung benötigen".
Bundesverkehrsministerium: Programm richtet sich an alle, vor allem auf dem Land
Das Bundesverkehrsministerium sieht das gegeben: Die Förderung sei so gestaltet, dass "alle Einkommensgruppen" davon profitieren könnten. Wie, erklärt eine Ministeriumssprecherin so: "Beispielsweise ist es möglich, eine Photovoltaikanlage über im Markt verfügbare Miet- oder Finanzierungsmodelle zu erwerben. Dadurch fallen keine einmalig hohen Kosten an, und auch Personen mit geringem Einkommen können sich die Investition leisten."
Das Förderprogramm sei vor allem auf die Bedürfnisse ländlicher Regionen mit hohem Anteil an Einzelhäusern zugeschnitten. Hier sei ein Verzicht auf das eigene Auto kaum und eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr nur bedingt möglich. Das Verkehrsministerium wolle den Einstieg in "die klimafreundliche Mobilität" dort gezielt unterstützen.
Bundesrechnungshof: Für Klimaschutzmaßnahmen fehlt die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung
Deutliche Kritik am Bundesverkehrsministerium kommt nun vom Bundesrechnungshof: "Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) wird seiner Verantwortung für den Klimaschutz im Sektor Verkehr nicht gerecht", lautet das Resümee eines noch nicht veröffentlichten Gutachtens, das BR24 vorliegt. Die Gutachter kritisieren, welche Auswahl das Ministerium bei den Maßnahmen getroffen hat, mit denen es die Klimaziele im Verkehr erreichen will. Und auf welcher Grundlage.
Das Ministerium habe keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung gemacht, "in der das BMDV systematisch untersucht hätte, mit welchen Maßnahmen bzw. mit welcher Maßnahmenkombination die (Einspar-)Ziele im Sektor Verkehr mit dem geringsten Ressourceneinsatz zu erreichen sind", heißt es im Gutachten. Das aktuelle Förderprogramm wird dort zwar nicht bewertet. Aber es wirft grundsätzlich die Frage auf, ob in Wissings Ministerium geklärt wurde, wie die Klimaziele unter Einsatz von möglichst wenig Steuergeldern erreicht werden könnten.
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