Seit Anfang Januar 2020 müssen alle Religionsgemeinschaften in Montenegro belegen, dass Kirchen, Klöster, Liegenschaften oder Grundstücke ihnen gehören, die schon vor 1918 in ihrem Besitz waren. Damals wird das Königreich Montenegro in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen eingegliedert, das spätere Königreich Jugoslawien. Die orthodoxe Metropolie in Montenegro und weitere Kirchengebiete des neu entstandenen Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen bilden die serbisch-orthodoxe Kirche.
Wie der Status der orthodoxen Kirche in Montenegro zu bewerten ist, daran scheiden sich die Geister: Gibt es damals eine eigenständige montenegrinisch-orthodoxe Kirche oder nicht. Die Orthodoxie erkennt eine montenegrinisch-orthodoxe Kirche nicht an und Vertreter der serbisch–orthodoxen Kirche in Montenegro bezeichnen diese als Bürgervereinigung.
Eigentumsnachweis aufgrund fehlender Quellen schwierig
Nikola Pejovic ist serbisch-orthodoxer Priester in der Auferstehungskirche in Podgorica. Er lehnt das neue Gesetz als Diskriminierung und verfassungswidrig ab. Die katholische Kirche sowie die islamische und jüdische Glaubensgemeinschaft seien aufgrund anderer Verträge mit dem Staat nicht betroffen, so das Argument. Der gesetzlich geforderte Eigentumsnachweis sei aufgrund fehlender Quellen schwierig, sagen auch Kritiker außerhalb der serbisch-orthodoxen Kirche. So hätten Katasterämter oder Kirchenarchive keine ausreichenden Informationen.
Gelingt der Nachweis jedoch nicht, fallen kirchliche Objekte und Grundstücke an den montenegrinischen Staat. Um wie viele Objekte es in dem Streit geht kann er nicht beziffern. Laut Schätzungen montenegrinischer Medien geht es um mehrere hundert Kirchen und Klöster, sowie zahlreiche Grundstücke und große Flächen Land.
Viele Gläubige in Montenegro sind serbisch-orthodox
Fast Dreiviertel der orthodoxen Christen in Montenegro sind serbisch-orthodox. Die serbisch-orthodoxe Kirche in Montenegro untersteht dem Patriarchat in Belgrad. Der Kirchenstreit berührt deswegen auch die Frage der montenegrinischen Identität. Zwischen Sprache und Ethnie von Serben und Montenegrinern gibt es praktisch keine Unterschiede, doch viele legen darauf großen Wert, was sich auch politisch instrumentalisieren lässt. Beim Kirchenstreit geht es auch um das Gefühl, von Serbien aus bevormundet zu werden.
Stevo Vucinic ist Vizepräsident im Rat der montenegrinisch-orthodoxen Kirche. Der 63-jährige fürchtet eine Einmischung der Regierungen in Belgrad und Russland im unabhängigen Montenegro. Die montenegrinisch-orthodoxe Kirche hat keine eigenen Kirchengebäude, kaum Gläubige und Priester und solle sich an der ukrainisch-orthodoxen Kirche ein Beispiel nehmen, so sein Vorschlag. Man wolle Zugang zu Kirchen und Klöstern in staatlichem Eigentum und dann werde die Zeit zeigen, welche Kirche sich in Montenegro durchsetzen könne.
Prozessionen zeigen allgemeine Unzufriedenheit in Montenegro
Dass hunderttausende zu den Prozessionen der serbisch-orthodoxen Kirche strömen, werten Beobachter auch als Protest gegen die Politik. In der Tat sind viele unzufrieden mit Präsident Milo Djukanovic und seinem Klüngel. Djukanovic regiert in wechselnden Positionen seit rund 30 Jahren das Land. Ihm werden zahlreiche Korruptionsaffären vorgeworfen, sowie Verbindungen zur Organisierten Kriminalität. Auch fehlende Gewaltenteilung und stark eingeschränkte Pressfreiheit sind in Montenegro ein Problem.
Dabei wären sachliche Informationen zum aktuellen Kirchenstreit sehr wichtig, findet die Journalistin Milka Tadic-Mijovic aus Podgorica. Sie arbeitet bei Vjesti und leitet ein Zentrum für investigativen Journalismus. "Wir haben jetzt dieses umstrittene Gesetz über Religionsfreiheit, das Montenegro völlig gespalten hat. Es gibt aber schrecklich wenig Analysen darüber, was dieses Gesetz wirklich bedeutet. Es gibt ganz wenige unabhängige Experten, die ihre Meinung präsentieren können." Der serbisch-orthodoxe Metropolit Amphilochius und der montenegrinische Premier Dusko Markovic haben sich inzwischen zu Gesprächen getroffen. Sie fanden keine abschließende Lösung und wollen die Gespräche fortsetzen.
Montenegro - eine bewegte Geschichte
Montenegro hat rund 620.00 Einwohner und die meisten wohnen in der Hauptstadt Podgorica. Bis 1878 gehört Montenegro zum Osmanischen Reich und auf dem "Berliner Kongress" wird dem Land die staatliche Unabhängigkeit zugestanden. Damals verhandeln die europäischen Großmächte ihre machtpolitischen Vorstellungen in Südosteuropa neu. Darunter Österreich-Ungarn, Russland, das Deutsche Reich und das Osmanische Reich.
1910 wird das Fürstentum Montenegro zum Königreich Montenegro. 1912 schließen Serbien, Bulgarien, Montenegro und Griechenland den sogenannten Balkanbund, der dem Osmanischen Reich im ersten Balkankrieg 1912 den Krieg erklärt. In Folge muss das Osmanische Reich praktisch alle europäischen Gebiete westlich von Istanbul abtreten. Im zweiten Balkankrieg 1913 führen unter anderem die ehemals verbündeten Balkanbundländer Krieg gegeneinander, da sie sich nicht über die neuen Gebiete einigen können.
2006 wird Montenegro unabhängig
1914 - beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs - steht Montenegro auf der Seite Serbiens und wird im Kriegsverlauf von Österreich – Ungarn besetzt. 1918 wird Montenegro – gemeinsam mit Serbien – in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen eingegliedert, das ab 1929 Königreich Jugoslawien heißt und eine Diktatur ist. 1941 überfällt Nazideutschland das Königreich Jugoslawien. Das Gebiet von Montenegro ist zunächst vom damals mit Hitler verbündeten faschistischen Italien besetzt, von 1943-1944 von den Deutschen. Partisanen kämpfen auch auf dem Gebiet von Montenegro gegen die Besatzer.
Nach 1945 ist Montenegro eine von sechs Teilrepubliken des sozialistischen Jugoslawien. Während der blutigen Zerfallskriege ab Anfang der 90er Jahre bleibt Montenegro im Verbund mit dem Serbien des serbischen Nationalisten Slobodan Milosevic. Ab 1992 in der "Bundesrepublik Jugoslawien", ab 2002 dann im Verbund "Serbien und Montenegro". Nach einem Referendum wird das Land 2006 unabhängig und 2017 Mitglied der NATO. Seit 2012 ist Montenegro EU-Beitrittskandidat.
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