Während die Proteste im Iran weitergehen, ist es am Samstag in einem für die Misshandlung von politischen Gefangenen berüchtigten Gefängnis in Teheran offenbar zu Zusammenstößen und einem Brand gekommen.
Gefängnisbrand in Teheran: Zahl der Todesopfer steigt auf acht
Den Angaben auf der Webseite der iranischen Justiz, Mizan.news, vom Montag zufolge starben mindestens acht Gefangene - Informationen, die aber nicht unabhängig überprüft werden können. Sie seien ihren Verletzungen erlegen, hieß es demnach weiter. Zunächst war laut der iranischen Nachrichtenagentur Irna von vier Toten die Rede. Das Feuer war nach einigen Stunden gelöscht worden.
Laut Online-Video fielen Schüsse
Menschenrechtsorganisationen und Kritiker hatten bereits in der Nacht Opfer in der Haftanstalt befürchtet. Ein von der Organisation "Iran Human Rights" veröffentlichtes Video zeigte am Samstagabend Flammen und eine Rauchwolke über dem Evin-Gefängnis in der iranischen Hauptstadt, zudem waren offenbar Schüsse zu hören. Im Hintergrund des Videos waren "Tod dem Diktator"-Rufe zu hören.
- Zum Artikel: "Feuer und Schüsse in berüchtigtem Gefängnis in Teheran"
In den sozialen Medien war auch von Schüssen in der Haftanstalt die Rede. Ein Reporter der reformorientierten iranischen Tageszeitung "Shargh" hörte eigenen Angaben zufolge mehrere laute Explosionen am Ort des Geschehens. Mehrere Feuerwehrfahrzeuge fuhren demnach zu dem Gefängnis im Norden der Hauptstadt, um die Flammen zu bekämpfen.
Viele Insassen sind politische Gefangene
In dem Gefängnis sitzen Berichten zufolge neben anderen politischen Gefangenen hunderte Menschen, die während der seit einem Monat andauernden Proteste für Menschen- und Bürgerrechte festgenommen wurden. "Ein Feuer breitet sich im Evin-Gefängnis aus", hieß es im Twitterkanal "1500tasvir", der regelmäßig über die Proteste und Polizeigewalt im Iran berichtet. Zudem habe es eine Explosion gegeben.
Behörden bestreiten Zusammenhang mit Protesten
Die Behörden versuchten, jeglichen Zusammenhang zwischen den Protesten und den Ereignissen in dem Gefängnis zu bestreiten. Auf Mizan.news wurde der Zwischenfall als ein "Kampf zwischen Insassen und ein Feuer" beschrieben, ohne dies zu belegen. Staatliche Medien berichteten teils widersprüchlich über die Gewalt. Aktivisten außerhalb des Gefängnisses stehen den Angaben der Regierung skeptisch gegenüber, insbesondere angesichts gravierender Differenzen zwischen offiziellen Angaben zu den Protesten und Angaben von vor Ort.
Angehörige "zutiefst beunruhigt"
Viele Angehörige der Inhaftierten eilten Medienberichten zufolge aus Sorge zum Ort des Geschehens. Im Evin-Gefängnis sitzen auch mehrere ausländische Staatsbürger ein. Die Familie des US-Bürgers Siamak Namazi erklärte in einer Reaktion auf die Berichte von den Unruhen und dem Feuer, sie sei "zutiefst beunruhigt" und habe nichts von Namazi gehört. Die Schwester eines weiteren in dem Gefängnis inhaftierten US-Bürgers schrieb auf Twitter, sie sei "krank vor Sorge".
USA besorgt über Lage im Iran
US-Präsident Joe Biden sagte bei einem Wochenendbesuch in Oregon, die iranische Regierung sei "so unterdrückerisch", er habe einen "enormen Respekt vor Menschen, die auf den Straßen marschierten".
Das Evin-Gefängnis ist seit langem auch für Häftlinge mit Verbindungen zum Westen bekannt, die vom Iran als "Verhandlungsmasse" bei internationalen Verhandlungen eingesetzt wurden.
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Solidaritäts-Demonstrationen in Deutschland
Wegen des Brands im Evin-Gefängnis kam es in mehreren deutschen Städten am Samstag zu spontanen Solidaritätsbekundungen mit den politisch Inhaftierten im Iran. In Berlin versammelten sich nach Angaben der Polizei Menschengruppen vor dem Auswärtigen Amt und vor der iranischen Botschaft zu Demonstrationen. Die Proteste verliefen demnach friedlich und ruhig.
Auch in Frankfurt und Hamburg versammelten sich am späten Abend spontan mehrere Menschen vor den iranischen Generalkonsulaten. In Hamburg lief die Versammlung bis in die frühen Morgenstunden. Die Teilnehmer seien aufgeregt, aber friedlich geblieben, teilte die Polizei mit. Sie hätten Solidarität mit den politisch Inhaftierten im Iran gefordert.
- Zum Artikel: So erlebt eine Iranerin in Aschaffenburg die Proteste
Experte vergleicht Brand mit "Cinema-Rex"-Vorfall
"Schüsse werden abgefeuert, während Evin brennt", schrieb der Wissenschaftler Roham Alvandi von der London School of Economics auf Twitter. "Sollten politische Gefangene dort umkommen, wird dies ein Vorfall von den Ausmaßen des 'Cinema Rex'-Brandes in Abadan im August 1978 sein, der den Sturz des Schahs beschleunigt hat." Zum Zeitpunkt des Tweets hatte es noch keine Berichte über Todesopfer gegeben.
Bei einem Brandanschlag auf das "Cinema Rex" vor mehr als 40 Jahren waren rund 400 Menschen ums Leben gekommen. Der Vorfall am Vorabend der iranischen Revolution löste Proteste gegen den Schah aus, auch wenn die Hintergründe des Anschlags nie aufgeklärt wurden.
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Nach Tod von Mahsa Amini – Proteste halten an
Die Proteste im Iran gingen derweil am Samstag weiter. Bei einer Demonstration an der Schariati-Universität in der Hauptstadt Teheran riefen Frauen ohne Kopftücher Slogans wie "Die Mullahs sollen sich verziehen!", wie ein im Internet verbreitetes Video zeigte. Weitere Proteste wurden unter anderem aus Isfahan und Kermanschah gemeldet.
Laut 1500tasvir riefen junge Frauen an einer Hochschule in Teheran "Freiheit, Freiheit, Freiheit", während sie ihre Kopftücher in der Luft schwenkten. Der Twitter-Kanal berichtete zudem von streikenden Ladenbesitzern in der Provinz Kurdistan und in West-Aserbaidschan.
Wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten im Iran hatten sich die EU-Länder auf neue Sanktionen gegen Teheran geeinigt. Laut Diplomatenkreisen sollen die EU-Außenminister die Strafmaßnahmen am Montag bei einem Treffen in Luxemburg offiziell beschließen.
Parlament äußert sich zum Fall Amini
Derweil veröffentlichte das iranische Parlament eine Stellungnahme zum Tod der 22-jährigen Mahsa Amini und räumte Versäumnisse bei der Polizei ein. Eine Gewaltanwendung gegenüber der jungen Frau wurde jedoch weiter bestritten. Amini sei gestürzt und die anwesenden Polizisten hätten zu lange gewartet, um Hilfe für sie zu holen, hieß es in einer am Sonntag veröffentlichen Erklärung.
Vorwürfe von Kritikern, die junge Frau sei durch Schläge der Beamten ums Leben gekommen, wurden damit einmal mehr zurückgewiesen. Nach offizieller Teheraner Darstellung brach Amini in einem Polizeirevier plötzlich zusammen, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen eines zu locker sitzenden Kopftuchs festgenommen worden war. Drei Tage später starb sie. Nach Angaben ihrer Familie wies ihr Körper Spuren von Gewaltanwendung auf.
Mit Informationen von AFP, AP, dpa und Reuters