Die dritte Welle der Corona-Pandemie in Deutschland ist nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) abgebremst. Es gebe eine "gute Entwicklung", aber für Entwarnung sei es momentan noch zu früh, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Donnerstag in Berlin auf der Bundespressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn und dem Intensivpfleger Ricardo Lange.
Pandemie erst unter Kontrolle, wenn weltweit unter Kontrolle
Die Fallzahlen seien noch zu hoch, auch wenn das exponentielle Wachstum sich seit Ostern nicht mehr in dem befürchteten Maße fortgesetzt habe. Sehr wahrscheinlich hätten sich noch mehr Menschen an die Maßnahmen gehalten. Bei Menschen unter 60 Jahren nähmen die Zahlen jedoch zu, bei Kindern deutlich: "Kinder tragen auf jeden Fall zum Infektionsgeschehen bei", sagte Wieler. Langzeitfolgen, die es auch bei Kindern gebe, dürfe man nun bei der Risikobewertung nicht aus dem Blick verlieren, warnte Wieler.
Nach bisherigen, noch nicht finalen Daten könnte es Wieler zufolge "jeden Zehnten treffen", das dürfe man nicht zulassen. "Wir müssen weiter alles dafür tun, um die Fallzahlen zu senken", betonte er. Es gehe jetzt darum, Ungeimpfte "auf den letzten Metern" kurz vor der Impfung zu schützen. Wieler verwies auch auf die internationale Lage: "Die Pandemie wird erst dann unter Kontrolle sein, wenn sie in allen Teilen der Welt unter Kontrolle ist." Nur Infektionsschutzmaßnahmen und Impfungen in Kombination wiesen den Weg aus der Pandemie.
Wieler fordert Solidarität von Geimpften
Zu den Forderungen nach einer umfassenden Aufhebung von Pandemie-Einschränkungen für Geimpfte äußerte sich Wieler vorsichtig. "Auch bei Geimpften besteht ein Restrisiko, dass sie andere anstecken können", sagte Wieler am Donnerstag in Berlin. Er forderte Solidarität der Geimpften mit noch nicht Geimpften und zog dabei einen Vergleich zum Straßenverkehr. Die meisten Älteren und Menschen aus Risikogruppen seien bald geimpft. "Sie fahren sozusagen gut und sicher angeschnallt durch diese Pandemie", sagte er. Gleichzeitig fehle aber den Jüngeren noch dieser Sicherheitsgurt. "Daher sind sie weiterhin auf Verkehrsregeln und umsichtige Verkehrsteilnehmer angewiesen, die dem Infektionsgeschehen angepasst durch die Gegend fahren", sagte Wieler.
Die Menschen müssten also sich selbst und ihr Umfeld auch durch andere Maßnahmen weiterhin schützen, um Ungeimpfte davor zu bewahren, "dass sie sich auf den letzten Metern vor der Impfung infizieren", sagte er.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnet in Europa mit einer "zügigen Zulassung" des Corona-Impfstoffs von Biontech und Pfizer schon ab zwölf Jahren. Er würde es begrüßen, wenn die über Zwölfjährigen im Sommer dann zum Schulstart nach den Ferien geimpft werden könnten, sagte der CDU-Politiker auf der Bundespressekonferenz. "Es würde sehr helfen, wenn die Zulassung da ist." Bislang ist der Impfstoff in der EU erst ab 16 Jahren zugelassen, in den USA bereits ab zwölf. "Spätestens in den Sommerferien werden wir die über Zwölfjährigen impfen können, wenn die Zulassung da ist", so Spahn.
Spahn will Werbekampagne mit "Impfluencern" ausbauen
Spahn will außerdem die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften in die Werbekampagne für Corona-Schutzimpfungen einbeziehen. Spahn verwies auf eine Kampagne unter anderen mit Fußballern und Schauspielerinnen, die - angelehnt an den Begriff "Influencer" in sozialen Netzwerken - als "Impfluencer" für die Immunisierung werben sollen. Er wolle auch mit den Religionsgemeinschaften darüber reden, ob und in welcher Weise sie bereit sind, dabei mitzumachen.
Spahn sagte, Informationen spielten eine zentrale Rolle bei der Impfkampagne. Das gelte auch für die Debatte um Impfungen in sozialen Brennpunkten. Spahn sicherte dabei zu, der Bund sei bereit, mobile an den Impfzentren angedockte Strukturen mitzufinanzieren. Die richtige Kampagne für "Essen, Leipzig oder Offenbach" könne er aber nicht vom Bund aus organisieren.
Intensivpfleger erinnert an das Leid der Erkrankten
Auf der Bundespressekonferenz appellierte der Berliner Intensivpfleger Ricardo Lange an die Bevölkerung, bei den teils heftigen Debatten über die Eindämmung der Corona-Pandemie das Leid schwer an Covid-19 erkrankter Menschen, ihrer Angehörigen und Pflegenden nicht aus den Augen zu verlieren. Seit einem Jahr arbeiteten seine Kolleginnen und Kollegen an der Belastungsgrenze und darüber hinaus, sagte Lange.
Vor dem Hintergrund der Schauspieler-Aktion #allesdichtmachen, sagte Lange, freie Meinungsäußerung sei wichtig. Allerdings müssten Meinungen auch unter moralischen Grundsätzen geäußert werden. Man solle sich genau überlegen, wie man seine Kritik mitteile.
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