Symbolbild: Leeres Klassenzimmer
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Übergewicht und Essstörung: Folgen der Corona-Schulschließungen

Mehr Essstörungen bei Mädchen, mehr Übergewicht bei Jungen: Das sind Pandemie-Folgen bei Kindern und Jugendlichen. Noch komme Hilfe nicht zu spät, sagt Gesundheitsminister Lauterbach.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren leiden seit der Pandemie häufiger an einer diagnostizierten Essstörung. Im Jahr 2021 war der Anteil um 54 Prozent höher als noch 2019, also vor der Pandemie. Auch Angststörungen und Depressionen wurden häufiger bei Mädchen diagnostiziert. Der Bericht bezieht sich auf Zahlen der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK).

Bei Jungen zeigt sich ein anderes Phänomen: Die Zahlen der DAK belegen, dass bei Jungen zwischen 15 und 17 Jahren häufiger starkes Übergewicht diagnostiziert wurde, im Jahr 2021 etwa 15 Prozent mehr als noch 2019 vor der Pandemie. Ein Risikofaktor ist der Bewegungsmangel. Sport und Bewegungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche sind laut Bericht während der Pandemie stark eingebrochen und haben auch nicht wieder das Niveau von vorher erreicht.

Dreiviertel der Jugendlichen psychisch belastet

Ab März 2020 waren durch die Pandemie Schulen und Kitas geschlossen. Der Bericht zeigt, dass sich das bis heute auf Kinder und Jugendliche auswirkt. Durch die Schließungen brachen soziale Kontakte weg und das habe bei vielen jungen Menschen Gefühle von Einsamkeit, Isolation und Angst ausgelöst. Dieser psychische Stress halte teilweise bis heute an.

Eine europaweite Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, die der Bericht zitiert, macht klar, dass Kinder und Jugendliche durch einschränkende Pandemiemaßnahmen depressive Symptome entwickelt haben. Der Bericht macht dafür insbesondere die Schulschließungen verantwortlich: "Kinder und Jugendliche wiesen während der Schulschließungen zu 75 Prozent häufiger Depressionssymptome auf als vor der Pandemie".

Laut Bericht haben Schüler und Schülerinnen während der Pandemie weniger Zeit damit verbracht, zu lernen. Dadurch sind Lernrückstände entstanden. Auch soziale Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen haben sich verschlechtert.

Lauterbach: Lange Schulschließung war "falsch"

"Rückblickend war es richtig, in der ersten Phase die Schulen zu schließen", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dazu. In der Anfangsphase der Pandemie hatten Impfstoffe gefehlt, außerdem sei die Ansteckungsgefahr für Kinder genauso groß wie für Erwachsene. Aber Lauterbach räumte auch ein: "Was aus meiner Sicht falsch war, ist, dass wir die Schulen so lange geschlossen haben." Dadurch seien die Schäden für die Kinder und Jugendlichen in der späten Phase der Pandemie erst entstanden, sagte Lauterbach. Schulen hätten jedoch nur unter speziellen Voraussetzungen wieder öffnen können, wie etwa bei Wechselunterricht, mit guten Lüftungskonzepten mit Luftfiltern.

In Deutschland sind die Kita- und Schulschließungen fast die längsten in Europa gewesen, nur Polen hatte noch längere.

Mental Health Coaches an 100 Schulen

In dem Abschlussbericht planen das Gesundheitsministerium und das Familienministerium Maßnahmen, um die aktuelle Situation für Kinder und Jugendliche zu verbessern.

So sollen Familien direkt nach der Geburt eines Kindes stärker unterstützt werden. Nach den Sommerferien startet nach den Plänen von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ein Projekt, bei dem Mental Health Coaches an Schulen arbeiten sollen. Diese Coaches sollen Schülern und Schülerinnen eine erste psychische Anlaufstelle bieten und bei Bedarf weitere Unterstützungsangebote vermitteln. "Wir rechnen damit, gut hundert Schulen erreichen zu können", sagte Paus bei der Vorstellung des Berichts.

Sonderzulassungen für Psychotherapeuten

Eine weiterer Vorschlag: Junge Menschen sollen schneller eine Psychotherapie beginnen können. Aktuell reichen die Kapazitäten der Psychotherapeuten nicht aus, um kranke Kinder schnell zu versorgen. Der Bericht empfiehlt eine Sonderzulassung von Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche. Im geplanten Versorgungsstärkungsgesetz des Gesundheitsministeriums soll diese Sonderzulassung von Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche auch angelegt werden. Zusätzlich sollen Gruppentherapien für Kinder das Angebot erweitern. So können mehr junge Menschen schneller versorgt werden. Auch die Wartezeiten auf einen Therapieplatz in ländlichen Gebieten sollen verkürzt werden.

  • Zum Artikel: Während Corona: Mehr Kinder und Jugendliche mit Depressionen

Zum jetzigen Zeitpunkt seien die Störungen und Erkrankungen noch gut behandelbar, sagte der Bundesgesundheitsminister, dass die Kinder so lange warten müssten, sei aus seiner Sicht ein Skandal.

Bundesfamilien- und Bundesgesundheitsministerium wollen in diesem Zusammenhang ein neues Expertengremium aufbauen, "weil wir insgesamt in der Pandemie gesehen haben, dass wir die systematische und genaue Untersuchung der Kindergesundheit in Deutschland nicht haben", sagte Paus am Mittwoch. Deswegen werde jetzt darüber gesprochen, ob ein neuer Expertenrat sich dauerhaft diesem Thema widmen soll. Lauterbach ergänzte: "Jetzt muss es erstmal darum gehen, auch zu liefern".

Die Corona-Pandemie hat tiefe Spuren hinterlassen: Drei von vier Kindern und Jugendlichen in Deutschland zeigen seelische Schäden - das meldeten heute Gesundheitsminister Lauterbach und Familienministerin Paus.
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Die Corona-Pandemie hat bei Kindern tiefe Spuren hinterlassen

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