Andrés Ritter muss auf der Pressekonferenz seine neue Funktion ganz genau erklären. Öffentlich ist diese kaum bekannt, schließlich wurde sein Amt neu geschaffen: Ritter ist Europäischer Staatsanwalt und Stellvertreter der ersten Europäischen Generalstaatsanwältin Laura Kövesi. Und nicht ohne Stolz ergänzt er: "Wir sind die erste supranationale Staatsanwaltschaft überhaupt."
Hauptaufgabe: Korruption und Missbrauch von EU-Geldern bekämpfen
Zurück liegen Monate der Vorbereitung. Heute nimmt die Europäische Staatsanwaltschaft schließlich ihre Arbeit auf, oder viel mehr ihren Kampf: gegen Betrug, Korruption, Straftaten gegen den EU-Haushalt oder grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug. Ausgestattet mit umfassenden Kompetenzen wird die Europäische Staatsanwalt befugt sein, die strafrechtliche Verfolgung der Delikte aufzunehmen und diese vor Gericht zu bringen. Dabei ist auch eine enge Zusammenarbeit mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) vorgesehen.
Nicht alle EU-Staaten machen mit
Der Sitz des neuen EU-Organs ist in Luxemburg, von dort aus koordinieren 22 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die Arbeit in den teilnehmenden Ländern. Dort sind weitere 88 Delegierte aus nationalen Staatsanwaltschaften vertreten, langfristig soll diese Zahl noch steigen. Außen vor bleiben zunächst Polen, Ungarn, Schweden, Dänemark und Irland, der Beitritt wird aber jederzeit möglich sein.
Haushaltsexpertin Hohlmeier: Europäische Staatsanwaltschaft kommt keinen Tag zu spät
Starker Rückhalt für die EU-weite Staatsanwaltschaft kommt vom Europäischen Parlament. Der Start komme "keinen Tag zu spät", erklärt die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, Monika Hohlmeier (CSU), und verweist auf Beispiele im Nachbarland Tschechien: "Die EU bekommt endlich das Werkzeug, das sie braucht, um das Geld der Steuerzahler zu schützen und Betrug, Missbrauch und Veruntreuung sowie Nichtverfolgung von Straftaten in einigen Mitgliedstaaten den Riegel vorzuschieben."
Barley: Enthaltung von Polen und Ungarn ist bezeichnend
Von einem "Meilenstein" spricht Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Europaparlaments und frühere Bundesjustizministerin. Dennoch sei es "bezeichnend, dass einige Mitgliedsländer wie Ungarn und Polen sich weigern, der Europäischen Staatsanwaltschaft beizutreten". Daher sei es umso wichtiger, die neue Behörde finanziell und personell besser auszustatten.
Noch einige Fragen offen
Auch Moritz Körner von der FDP verweist darauf, dass noch viel zu tun sei, "bevor alle Korruptionssümpfe in der EU erfolgreich trockengelegt werden können". Der Grünen-Abgeordnete Sergey Lagodinsky gibt außerdem zu bedenken, dass nach wie vor uneinheitliche Regelungen in den Mitgliedstaaten – zum Beispiel bei den Rechten Beschuldigter – bestehen. Ein Ziel müsse daher auch sein, "die unterschiedlichen rechtstaatlichen Standards in den Mitgliedstaaten unbedingt im Blick zu behalten".
Bedenken gibt es auch bei der Zuständigkeit der Gerichte. Klar ist, dass weiterhin nationale Gerichte für die Verfahren zuständig sein werden. Bei grenzüberschreitenden Delikten kann das aber zu Unstimmigkeiten führen.
Vertrauen in die EU soll gestärkt werden
Langfristig rechnet die Europäische Staatsanwaltschaft mit rund 3.000 Fällen pro Jahr. Beim Start am 1. Juni fange man aber keineswegs bei Null an, betont Andrés Ritter. Seit dem Beschluss, eine Europäische Staatsanwaltschaft einzurichten, sind mehr als drei Jahre vergangen. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, sämtliche Fälle aus dieser Zeit zur Prüfung vorzulegen. "Die letzten Monate waren daher alles andere als tatenlos", sagt Ritter. Es sei im Sinne der EU, aber auch aller Bürgerinnen und Bürger, dass Steuergelder ihrem Zweck entsprechend eingesetzt werden. Mit der Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft soll daher auch das Vertrauen der Bürger in die EU gestärkt werden.
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