Bei einem Besuch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Kiew hat ihr ukrainischer Kollege Dmytro Kuleba Deutschland Zeitverschwendung in der Frage der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern vorgeworfen. "Ich verstehe nicht, warum wir Zeit verschwenden", beklagte Kuleba am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Die Außenministerin kündigte ihrerseits für das kommende Jahr eine Wiederaufbaukonferenz in Berlin an und sicherte der Ukraine Deutschlands fortgesetzte Unterstützung zu.
Ukraine drängt Deutschland zu Taurus-Lieferung
Die Ukraine hätte "bereits mehr erreichen können und mehr Leben von ukrainischen Soldaten und Zivilisten retten können, wenn wir Taurus bereits hätten", sagte Kuleba weiter. "Wir respektieren Ihre Debatten, wir respektieren Ihre Verfahren", fuhr er fort. Es gebe aber kein objektives Gegenargument. "Je schneller es geschieht, desto mehr wird es geschätzt. Es ist sehr einfach", fuhr Kuleba fort.
Die Ukraine drängt Deutschland seit längerem dazu, die Marschflugkörper mit großer Reichweite und Zerstörungskraft zu liefern. Großbritannien und Frankreich stellten der Ukraine bereits Marschflugkörper mit einer geringeren Reichweite als Taurus zur Verfügung.
"Uns ist die Situation mehr als bewusst", sagte Baerbock. Sie verwies jedoch auf offene Fragen: "Wie bei den anderen Lieferungen, die wir geleistet haben, müssen alle Fragen geklärt werden."
Taurus: Marschflugkörper mit 500 Kilometern Reichweite
Der fünf Meter lange Marschflugkörper Taurus KEPD-350 wird von Kampfflugzeugen aus gestartet und kann mit seinem Jet-Antrieb mehr als 500 Kilometer weit fliegen. Er orientiert sich dabei anhand von Daten über die Geländebeschaffenheit und kann feindliches Radar mit hoher Geschwindigkeit in weniger als 50 Meter Höhe unterfliegen. Beim Aufschlag auf das Ziel sprengt eine erste Ladung eine Lücke in Wand oder Decke der Ziele. Durch diese dringt dann ein 400 Kilo schwerer und mit Sprengstoff gefüllter Metallstab ein und explodiert.
Mit mehr als 500 Kilometern Reichweite könnte Taurus auch ohne weiteres russisches Staatsgebiet erreichen. Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner warnte deshalb vor einer möglichen "Eskalation des Krieges". Die Ukraine hat allerdings zugesichert, westliche Waffen nicht für Angriffe auf russisches Gebiet einzusetzen - und sich bisher auch daran gehalten. Angesichts der stockenden ukrainischen Gegenoffensive werben Grüne und FDP schon seit Wochen für die Taurus-Lieferung – und auch in der SPD gibt es inzwischen Politiker, die sich dafür aussprechen.
Eine technische Beschränkung der Möglichkeiten von Taurus gilt als möglicher Kompromiss, um Vorbehalte gegen die Lieferung zu überwinden. Dabei gibt es im Wesentlichen zwei Optionen: Das Waffensystem könnte so umprogrammiert werden, dass seine Reichweite eingeschränkt ist und es beispielsweise nur 300 Kilometer weit fliegen kann. Denkbar wäre auch eine Gebietseinschränkung, die den Einsatz auf russischem Gebiet verhindert. In beiden Fällen ist aber fraglich, ob die Ukraine die Beschränkung im Zweifel nicht eigenständig rückgängig machen könnte.
Milliarden fließen aus Deutschland in die Ukraine
Außenministerin Baerbock war am Montagmorgen zu ihrem vierten Besuch in der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar vergangenen Jahres eingetroffen. "Wir stehen an Eurer Seite, solange Ihr uns braucht an jedem einzelnen Tag, no matter how long it takes", sagte die Außenministerin. "Wir in Europa wissen: Ihr verteidigt hier auch unsere europäische Freiheit. Dafür sind wir den Ukrainerinnen und Ukrainern auf ewig dankbar."
Mit 22 Milliarden Euro sei Deutschland mittlerweile der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine weltweit, im kommenden Jahr werde in Berlin eine Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine stattfinden. Deutschland unterstütze die Ukraine zudem bei den Vorbereitungen für den Winter. "Wir stocken unsere humanitäre Soforthilfe noch einmal um 20 Millionen Euro auf", sagte die Ministerin. Damit belaufe sich die deutsche humanitäre Hilfe für die Ukraine allein in diesem Jahr bereits auf 380 Millionen Euro.
Mit Informationen von AFP und dpa
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