Christa Blankenfeld hat immer wieder große Schmerzen in ihrem rechten Hüftgelenk. Manchmal könne sie gut laufen, manchmal tue es "sakrisch" weh, schildert die pensionierte Lehrerin. Ein Grund dafür sei vor allem eine Wucherung des Knochengewebes, ein sogenannter Osteophyt, haben ihr verschiedene Ärzte erklärt. Und sie hat gesagt bekommen, wenn schon die Knochenwucherung operiert werden muss, wäre es klug, gleich ein neues Hüftgelenk einzusetzen.
Münchener Universitätsklinikum als "unterdurchschnittlich" bewertet
Christa Blankenfeld ist 79 Jahre alt und internet-affin. Ihr Haushalt ist mit Computer und WLAN ausgestattet, sie kann sich auch auf Online-Portalen informieren, welche Krankenhäuser in Frage kommen. Eines dieser Portale ist der AOK-Gesundheitsnavigator. Dort gibt es auch Informationen über die Behandlungsqualität. Die größte Kassenart sortiert Kliniken in drei Kategorien: Unterdurchschnittlich, durchschnittlich und überdurchschnittlich.
Die Rentnerin lebt in der Kleinstadt Germering bei München. Wenn sie einen Suchradius von 50 Kilometern einstellt, gehört zu den Kliniken, die ihr das Online-Portal anzeigt, auch das LMU-Universitätsklinikum in München. Die Bewertung, die dort bei Hüftgelenks-Ersatz zu sehen ist, überrascht die 79-Jährige: Das Portal meldet "unterdurchschnittliche Qualität".
Klinik-Dachverband: Bewertungen irreführend
Hüft-OPs sind nicht der einzige Eingriff, bei dem die Uniklinik auf dem Gesundheitsnavigator als unterdurchschnittlich bewertet wird. Für 13 Eingriffe gibt es dort Qualitätsurteile. Bei zwei Eingriffen gibt es noch keine Bewertung für die Münchner.
Bei nur zwei OPs schneidet das LMU-Uniklinikum überdurchschnittlich ab. Viermal liegt es im Durchschnitt, fünfmal unter dem Schnitt, den die AOK ermittelt. Dieses Schicksal teilt das Münchner LMU-Klinikum mit vielen anderen Unikliniken. Deren Dachverband hält allerdings die Bewertung der AOK für irreführend.
Klinikdirektor: Erfassung "nicht feinmaschig genug"
Das Wissenschaftliche Institut des Kassenverbandes betont zwar, im Gesundheitsnavigator werde berücksichtigt, wie alt Patienten sind und welche Vorerkrankungen sie haben. Doch die entsprechende sogenannte Risikoadjustierung sei nicht feinmaschig genug, sagt der Direktor der Orthopädie der LMU-Uniklinik, Boris Holzapfel, im BR-Interview. Nur deshalb schneide sein Haus als unterdurchschnittlich ab. Sein Haus sehe sich als "Spitzenklinik", das dafür stehe, "kranke Patienten, voroperierte Patienten und Komplexfälle zu versorgen".
Auch viele andere Uni-Kliniken, ebenso wie ihre Dachorganisation, der Verband der Universitätsklinika Deutschlands, halten die Bewertung durch die AOK für zu grobmaschig. Christian Günster vom Wissenschaftlichen Institut der AOK weist diese Kritik zurück. Hinter der Qualitäts-Bewertung stünden aufwändige statistische Verfahren, erklärt der Mathematiker. Mit denen werde herausgerechnet, ob Patienten ein besonderes Risiko mitbringen. Und wenn eine Klinik bescheinigt bekommt, dass sie etwa bei Hüftgelenks-OPs unterdurchschnittliche Qualität liefert, dann habe es vorher intensive Diskussionen in Fachgremien gegeben, ob Vorerkrankungen ausreichend berücksichtigt wurden.
Komplikationen als Bewertungsmaßstab
Beim Wissenschaftlichen Institut der AOK weiß man, dass es überraschend wirkt, wenn vermeintlich exzellente Krankenhäuser wie Unikliniken in vielen Fällen schlecht wegkommen. Der Grund aber seien viele Hinweise auf Komplikationen, erklärt Christian Günster.
Günster ist Bereichsleiter des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. Das Institut teilt die Kliniken bei internen Rechnungen in vier Gruppen ein. In der ersten Gruppe seien Häuser zu finden, in denen bei bis zu 3,8 Prozent der Operationen Komplikationen auftreten. In der Gruppe mit den höchsten Komplikationsraten liege die Quote bei acht Prozent oder mehr.
Daten von 27 Millionen Versicherten
Wie hoch die Komplikationsraten sind, darüber habe die AOK für ihre Patienten eindeutige Informationen, sagt Günster. Wenn bei einem Patienten etwa nicht nur eine bestimmte Operation abgerechnet wird, sondern auch die Behandlung einer Wundinfektion, dann spreche das eine klare Sprache. Ebenso wie eine erneute Operation wegen des gleichen Problems innerhalb kurzer Zeit. Die Kasse könne dabei auf so viele Daten zugreifen, dass sie sich nicht nur Aussagen über ihre eigenen 27 Millionen Versicherten zutraut, sondern über alle Patienten.
Und auch wenn Kliniken die AOK-Bewertung nach außen als unfair abzuwehren versuchen, löse sie nach innen meist etwas aus: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kliniken sich dann ranmachen und ihre Prozesse noch mal kritisch durchgehen und sich dann auch verbessern." Bei den AOKs ist man also überzeugt, dass es eine hohe Aussagekraft hat, wenn die Online-Krankenhaussuche für vermeintliche Exzellenz-Kliniken schlechte Bewertungen ausspuckt. Bei etlichen betroffenen Krankenhäusern sieht man das anders.
Bewertung durch Online-Portale nicht alles
Der Mathematiker räumt aber auch ein: Die Bewertung eines Online-Portals ist nicht alles. Patienten sollten sich immer auch mit ihren Ärzten beraten. Das hat auch Christa Blankenfeld getan. Zwei Ärzte sagten ihr, sie brauche eine neue Hüfte. Dann hat sich der Chefarzt des Krankenhauses, in dem sie sich operieren lassen wollte, ihr Problem noch mal angeschaut. Sein Ergebnis: Ihr Problem ist eine Schleimbeutel-Entzündung. Und die lasse sich auch ohne neue Hüfte behandeln.
Das Beispiel der 79-Jährigen zeigt damit auch, wie schwer es Patienten haben, sich zu informieren. Trotz aller Internetportale.
- Zum Artikel: "Die Hütte brennt": Bayerns Krankenhäuser in Alarmstimmung
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