Die Europäische Union hat ihre Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen seit Beginn des Angriffskrieges in der Ukraine vor gut zwei Jahren deutlich vermindert. Nach Angaben der EU-Kommission führte die Gemeinschaft 2021 noch rund 150 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland ein, 2022 waren es 88 und im vergangenen Jahr 43 Milliarden Kubikmeter.
Damit verringerte sich der Anteil russischer Lieferungen am EU-Gesamtbedarf von 45 auf zuletzt 15 Prozent. Insgesamt gingen die Gaseinfuhren aus Russland in die EU seit 2021 um 70 Prozent zurück.
Pipelines und Schiffe
Der Großteil der Gasimporte kam bisher über vier Pipelines aus Russland in den Westen: "Nord Stream", die "Jamal-Pipeline" durch Polen, den "Ukraine-Transit" und "Turkstream" über die Türkei. Ein kleinerer Teil wird als Flüssigerdgas (LNG) per Schiff angeliefert.
Die Kommission spricht von einer "sehr bedeutenden Reduktion" der russischen Gaseinfuhren. Das hat die EU erreicht, indem sie verstärkt auf andere Lieferanten wie Norwegen oder die USA (bei LNG) setzt. Außerdem haben Bürgerinnen und Bürger Energie eingespart und die Mitgliedsstaaten bauen mehr Windräder und Solarparks, um erneuerbare Quellen besser zu nutzen.
Keine Engpässe in Deutschland
Die Gasversorgung in Deutschland ist nach Angaben der zuständigen Bundesnetzagentur stabil, die Versorgungssicherheit gewährleistet. Die Preise haben sich nach dem drastischen Zwischenhoch infolge des russischen Lieferstopps im Sommer 2022 beruhigt. Trotzdem gilt seitdem die Alarmstufe des Gas-Notfallplans.
Das bedeutet, dass die Bundesnetzagentur die Lage genau beobachtet und engen Kontakt zu den Netzbetreibern hält. In Deutschland kommt seit der Sabotage der Leitung "Nord Stream 1" im Sommer 2022 kein russisches Pipeline-Gas mehr direkt an. Nach Angaben der Bundesnetzagentur versorgt uns vor allem Norwegen, das Erdgas aus eigenen Quellen fördert.
Grafik: Füllstände der Gasspeicher in Deutschland
Auch Russengas bei uns?
Außerdem bezieht Deutschland demnach Flüssigerdgas, das mit Schiffen in die fünf heimischen Terminals transportiert oder über Belgien, die Niederlande und Frankreich geliefert wird. Ob auf diesem Wege auch russisches LNG den deutschen Markt erreicht, lässt sich nach Angaben der Bundesnetzagentur nicht genau sagen: Mit der Einspeisung in das westeuropäische Fernleitungsnetz vermischten sich die Gase, dadurch könnten die Herkunftsländer nicht mehr bestimmt werden.
Immerhin erklärt die Bundesnetzagentur, dass russisches Erdgas, das über Bulgarien und die Slowakei nach Europa importiert wird, nicht nach Deutschland fließe, sondern nur der Versorgung Südosteuropas diene.
Ungarn und Österreich an Moskaus Gashahn
Obwohl sich die EU insgesamt unabhängiger von Moskaus Gas gemacht hat, importieren einzelne Mitgliedsstaaten weiter teilweise große Mengen. Ungarn bezieht trotz des Ukraine-Krieges weiter rund 80 Prozent seines Erdgases aus Russland und schloss vor einem Jahr neue langfristige Lieferverträge ab. Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán trägt EU-Sanktionen gegen Moskau nur halbherzig mit und blockierte entsprechende Beschlüsse öfter.
Österreichs Abhängigkeit ist sogar noch größer: Im vergangenen Dezember bezogen unsere Nachbarn vorübergehend 98 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland. Grund dafür sind langfristige Verträge zwischen dem österreichischen Energiekonzern OMV und der russischen Gazprom, die 2018 noch bis 2040 verlängert wurden.
Darin ist laut der zuständigen Ministerin Leonore Gewessler verankert, dass der Abnehmer auch dann zahlen muss, wenn er gar kein russisches Gas abnimmt. Dadurch komme es bei insgesamt sinkendem Gasverbrauch und gleichbleibenden Importmengen in Österreich zu einem höheren Anteil an russischem Erdgas. Nach Gewesslers Worten stellt die hohe Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen ein großes wirtschaftliches und sicherheitspolitisches Risiko für das Land dar.
Kein EU-Boykott von russischem Gas
Die EU hat im Dezember 2022 ein Embargo auf russisches Rohöl und zwei Monate später auch auf Ölprodukte verhängt und zusammen mit der G7 einen Ölpreisdeckel eingeführt. Die EU-Mitgliedsstaaten haben monatelang über Einzelheiten der Maßnahme gestritten und Ungarn, Tschechien und der Slowakei Ausnahmen zugestanden. Ein Boykott russischer Gasimporte stand und steht aber nicht zur Debatte. Dafür sind immer noch zu viele EU-Staaten von den Lieferungen abhängig.
Nach Angaben der Brüsseler Denkfabrik Bruegel konnte Russland Europa nicht bei seinen Erdgasexporten ersetzen, hat seine Ölexporte aber nach Asien umgeleitet. Die Auswirkungen der EU-Beschlüsse auf die russische Handelsbilanz sind nach Einschätzung von Bruegel eher gedämpft. Russland erzielt zwar nicht mehr so hohe Exporterlöse wie vor zwei Jahren, als die Energiepreise drastisch hoch lagen. Immerhin sind Moskaus Einnahmen durch den Verkauf fossiler Brennstoffe aber nicht unter das Vorkriegsniveau gefallen, weil der Kreml seine Ölexporte nach China, Indien und in die Türkei verlagern konnte.
Im Video: Deutsche Wirtschaft - "Mehr Probleme als nur das russische Gas" - Possoch klärt!
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