Ende November lädt der Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré (AfD) ein Video auf YouTube hoch. Er beschreibt darin, wie die Bundesregierung angeblich bei "Nacht und Nebel" Menschen einfliegen lasse. Diese seien keine Verfolgten oder Flüchtlinge, sondern einfach "Menschen, die bei uns angesiedelt werden sollen".
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Allein in den Jahren 2018 und 2019 seien auf diese Weise insgesamt "10.000 Menschen (…) aus Äthiopien, aus Afrika" nach Deutschland gekommen. Dahinter steckt Kotré zufolge die Umsetzung eines internationalen Programms. Was ist dran an dieser Aussage?
Resettlement-Programm ist für Geflüchtete gedacht
Seine Behauptungen stützt Kotré auf die Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage von ihm im Bundestag. Darin wird auf das "Resettlement"-Programm des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) verwiesen. Dieses Programm regelt die "organisierte Aufnahme von (…) anerkannten, besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen, die weder in ihr Heimatland zurückkehren, noch in dem Land bleiben können, in das sie geflohen sind". Es geht also um die Neuansiedlung (englisch "resettlement") von Geflüchteten, die in dem Land, in das sie ursprünglich geflüchtet sind, nicht mehr sicher leben können.
In dem von Kotré erwähnten Fall handelt es sich um somalische Flüchtlinge, die in das Nachbarland Äthiopien geflohen waren und Schutz suchten. Mit Hilfe des Resettlement-Progamms wurden sie nach Deutschland geholt.
Status der "besonders Schutzbedürftigen"
Um am Resettlement-Verfahren teilnehmen zu können, müssen betroffene Personen vom UNHCR als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention angesehen werden. Außerdem trifft das UNHCR eine Vorauswahl von "besonders schutzbedürftigen" Geflüchteten im Erstzufluchtsland.
Als "besonders schutzbedürftig" gewertet werden beispielsweise schwerkranke Geflüchtete, Opfer von Gewalt und Folter, aber auch Kinder. Weitere Faktoren sind die Sicherheit im Erstaufnahmeland und die Möglichkeit der Familienzusammenführung im Resettlement-Staat.
Unter den vom UNHCR als "besonders schutzbedürftig" eingestuften Geflüchteten wählt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) "Resettlement-Flüchtlinge" aus und erteilt ihnen eine Aufnahmezusage. In Deutschland angekommen, haben "Resettlement-Flüchtlinge" eine Aufenthaltserlaubnis von drei Jahren, genau wie Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge. Ziel des Resettlement-Programms ist es, dass Geflüchtete im Vorhinein von Aufnahmeländern eine Zusage erhalten und ihnen eine sichere Einreise über den Flugweg ermöglicht wird.
Das Bundesinnenministerium schreibt in seiner Antwort auf die Anfrage Kotrés, dass es sich bei den eingeflogenen Menschen um "schutzbedürftige Flüchtlinge" handle. In seinem Video behauptet der Abgeordnete das Gegenteil.
💡 Der Unterschied zwischen "Migranten" und "Flüchtlingen"
Oftmals werden Migranten und Flüchtlinge in Diskussionen oder Berichten synonym verwendet. Dabei unterscheiden sich die Begriffe. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) definiert einen "Flüchtling" als Person, die auf Grund von Gewalt oder Verfolgung das Land verlassen muss. Damit folgt das UNHCR der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, die bis heute gültig ist. "Anerkannte Flüchtlinge" in Deutschland sind Personen, die aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention hier Asyl erhalten.
Während es für den Begriff "Flüchtling" eine rechtliche Definition gibt, ist es bei "Migranten" anders. Als "Migranten" werden Menschen bezeichnet, die nicht in Deutschland geboren wurden und/oder die ihr Heimatland verlassen haben. Der Begriff "Migranten“ kann sowohl Flüchtlinge bezeichnen, als auch Menschen, die über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. (Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Neue Deutsche Medienmacher)
Deutschland stellte 10.200 Resettlement-Plätze zur Verfügung
An dem Resettlement-Programm sind 29 Staaten beteiligt. Die Staaten des Resettlement-Programms, die am meisten Menschen aufnehmen, sind die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich und Schweden. Deutschland beteiligt sich seit 2012 an dem Programm.
Für die Jahre 2018 und 2019 erklärte sich Deutschland bereit, 10.200 Geflüchtete über das Resettlement-Programm aufzunehmen. Hintergrund ist die Empfehlung der Europäischen Kommission, EU-weit bis Oktober 2019 mindestens 50.000 Resettlement-Plätze zu schaffen. Bisher wurden 7.793 Geflüchtete nach Deutschland gebracht - unter ihnen vor allem Syrer, Iraker, Eritreer und Sudanesen (Stand: 6. Dezember 2019).
Resettlement-Programm ist kein Geheimnis
Eine zweite, auch von anderen AfD-Abgeordneten geäußerte Behauptung ist, dass die Bundesregierung "in Nacht und Nebel die Menschen hier einfliegen" lasse, alles gehe "klammheimlich" und "im Verborgenen" vor sich, so Steffen Kotré.
Jedoch ist das Resettlement-Programm kein Geheimnis. Deutschland nimmt seit 2012 Menschen über das Programm auf. Informationen findet man frei zugänglich auf offiziellen Seiten der UNHCR, dem deutschen Web-Auftritt des Programms, beim Bundesinnenministerium.
Diese Informationen sind frei einsehbar und öffentlich.
Fazit
Ja, die Bundesregierung holt Menschen per Flugzeug nach Deutschland. Doch handelt es sich bei diesen Menschen nicht um irgendwelche "Migranten", wie es Kotré behauptet. Die Eingeflogenen sind Geflüchtete, die von der UNHCR - aufgrund von körperlicher Verfassung, Alter, Traumata - als besonders schutzbedürftig eingestuft wurden. In diesem sogenannten Resettlement-Programm geht es darum, diesen Menschen eine sichere Einreise zu ermöglichen. Diese Menschen werden nicht heimlich eingeflogen.
Genaue Informationen zum Resettlement-Programm - wie Zahlen, Auswahlverfahren und Ablauf - sind bei offiziellen Stellen frei verfügbar.
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Anmerkung unter Text:
In einer früheren Version dieses Artikels wurde nicht deutlich, dass unter dem Begriff „Migranten“ auch Flüchtlinge subsumiert werden können. Wir haben diese Textstelle nach der Erstveröffentlichung konkretisiert. [Red]