Von Frühjahr 2014 bis Mai 2019 war Petro Poroschenko Präsident der Ukraine. Der Multimilliardär unterlag damals dem heutigen Amtsinhaber, Wolodymyr Selenskyj. Heute ist Poroschenko Vorsitzender der pro-europäischen Partei Europäische Solidarität und unterstützt seinen Amtsnachfolger im Kampf gegen die russische Invasion. Auf Einladung der Münchner Sicherheitskonferenz war der 57-Jährige jetzt zu Gast in München. BR24 hat mit ihm über die aktuelle Entwicklung im Ukraine-Krieg und die Rolle Deutschlands gesprochen.
"Russische Truppen sind barbarisch"
BR24: Herr Poroschenko, der Krieg in der Ukraine tobt nun seit fast neun Monaten. Tausende Menschen haben ihr Leben verloren, die Infrastruktur ist immer wieder Ziel von russischen Raketenangriffen. Wie sind Sie persönlich aktuell vom Krieg betroffen?
Poroschenko: Vor eineinhalb Stunde hat eine russische Rakete mein Wahlkampfbüro in Dnipro getroffen. Es war Dreh- und Angelpunkt von Freiwilligen, die humanitäre Hilfe für die Menschen in den Regionen Luhansk, Donezk, Charkiw und Saporischschja leisten. Warum attackiert Russland mein Wahlkampfbüro? Das kann mir keiner erklären. Es ist ein Desaster. Und das ist der beste Beweis dafür, dass Russland ein Terrorstaat und Putin ein Terrorist ist. Russische Truppen sind barbarisch.
BR24: Es ist viel passiert in den vergangenen Tagen: In Polen ist eine Rakete eingeschlagen, die russischen Streitkräfte haben sich aus Cherson zurückgezogen. Haben wir einen Wendepunkt im Ukraine-Krieg erreicht?
Poroschenko: Aus meiner Sicht war der Wendepunkt früher: Als die ukrainischen Streitkräfte die russische Armee in den Vororten Kiews gestoppt haben. Ich bin stolz, selbst mit der Waffe in der Hand Teil der Verteidigung gewesen zu sein. Ich habe in Butscha und Irpin gekämpft und wir haben tausenden Ukrainern das Leben gerettet. Wir haben dabei eine neue Taktik angewendet: Wir haben die Nachschubwege der russischen Armee unterbrochen. Dadurch wurde es für Russland notwendig, die Truppen zurückzuziehen. Das war der Wendepunkt. Dann kam Charkiw, jetzt ist es Cherson. Wir haben gezeigt, dass die russische Armee auf verlorenem Posten ist.
"Diese Systeme retten viele ukrainische Leben"
BR24: Welche Rolle sollte Deutschland spielen, wenn es um den Wiederaufbau der Ukraine geht?
Poroschenko: Deutschland sollte auf jeden Fall Führung zeigen. Ohne deutsche Führung wäre Europa schwächer. Die Welt wäre schwächer. Deutschland ist extrem hilfreich, was die Lieferung von Waffen angeht. Die USA liefern natürlich viel, aber wir danken Deutschland für die IRIS-T und Gepard-Luftabwehrsysteme. Diese Systeme retten viele ukrainische Leben. Aber die wichtigste Rolle, die Deutschland hat, ist Unterstützung für die kritische Infrastruktur in der Ukraine. Und glauben Sie mir: Das ist nicht nur Hilfe für die Ukraine, das ist ein Investment in Ihre eigene Sicherheit in Deutschland. Je schwächer Putin ist, desto besser können wir ihn in der Ukraine stoppen. Wenn wir ihn in der Ukraine nicht stoppen, wer weiß, vielleicht will Putin morgen Dresden befreien, da war er ja mal als KGB-Agent stationiert. Wir sollten zusammenhalten. Der Zusammenhalt und die Solidarität mit der Ukraine haben Putin überrascht. Wir sollten stark sein und keine Angst vor Putin haben. Das ist der Schlüssel. Unsere Bitte an die deutsche Führung, die Regierung, den Bundestag, das deutsche Volk lautet: Unterstützen Sie diesmal unseren Antrag auf vollständige Mitgliedschaft in der Nato!
"Hören Sie nicht auf Putin"
BR24: Manche im Westen haben Angst davor, dass der Nationalismus in der Ukraine nun immer stärker wird. Was sagen Sie dazu?
Poroschenko: Bitte, hören Sie nicht auf russische Propaganda. Das ist Gift. Nicht nur für Ihr Verständnis von der Ukraine, sondern auch für das Verständnis Ihres eigenen Landes. Übernehmen Sie in den deutschen Medien nicht die russische Propaganda. Das ist kein Journalismus, das ist Propaganda. Damit werden keine Informationen verbreitet, sondern es wird ein demokratisches Instrument genutzt, um die demokratische Gesellschaft in Deutschland zu untergraben. Zum Thema des ukrainischen Nationalismus: Zunächst einmal ist das Patriotismus, weil wir eine große Motivation haben, mit der Waffe in der Hand unser Land und unsere Souveränität zu verteidigen. Es ist schwer, einen Kompromiss mit Russland zu finden. Wissen Sie, warum? Ganz einfach: Putin will mich, den fünften Präsidenten der Ukraine, töten. Aber ich will leben. Wie soll man da einen Kompromiss finden? Putin will die Ukraine von der Weltkarte ausradieren. Und wir wollen in unserem Land mit unserer 1.000-jährigen Geschichte leben. Deswegen: Hören Sie nicht auf Putin, ignorieren Sie ihn. Und haben Sie keine Angst vor Putin. Lassen Sie uns zusammenhalten und unterstützen Sie weiter die Ukraine. Das ist meine klare Botschaft.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!