Bei Protesten gegen die Regierung halten Demonstranten ein Schild mit der Aufschrift "Wirtschaftspolitik von Truss? Ideologischer Unfug" in die Höhe. Im Hintergrund ist Big Ben zu sehen
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Liz Truss bewies wie ihre Vorgänger keine glückliche Hand

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Vom Brexit ins Chaos – Wie die Tories Großbritannien zerrütteten

Nach nur 44 Tagen im Amt drängte ihre Tory-Partei die glücklose Premierministerin Liz Truss aus dem Amt. Das Personalkarussell bei den britischen Konservativen dreht sich immer schneller. Womit hat das angefangen? Wo liegen die Ursachen?

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik am .

Mit einem Wahlversprechen des Tory-Premierministers David Cameron begann der lange Weg Großbritanniens aus der EU, der die konservative Partei und das Land spalten und für die immer rascheren Wechsel an der Spitze der langjährigen Regierungspartei sorgen sollte.

Anfang 2013 knüpfte Cameron sein politisches Schicksal – und das der Tories – an das Versprechen, sollte er bei den nächsten Wahlen 2015 gewinnen, würde er spätestens 2017 der Bevölkerung in einem Referendum befragen, ob Großbritannien in der Europäischen Union bleiben sollte oder nicht.

David Camerons Hoffnung auf "Nein" beim Brexit-Referendum

Er bedauere diese Entscheidung nicht, rechtfertigte sich David Cameron Jahre später, der vergeblich auf ein "Nein" seiner Landsleute zum Brexit gesetzt hatte. Am Tag nach dem knappen "Ja"-Votum im Juni 2016 erklärte er seinen Rücktritt. Es sei ein Wahlversprechen gewesen und damals hätten alle Parteien zugestimmt, den britischen Wählerinnen und Wählern das letzte Wort über einen Austritt zu geben.

Was er hingegen "sehr bedauere", sei nicht allein, "dass wir das Referendum verloren hatten". Die "Schwierigkeiten und Probleme, die wir bei der Umsetzung des Ergebnisses dieses Referendums haben" – das würde er ganz offenkundig bedauern.

Ständiger Streit bei den Tories: Auch Theresa May scheitert

Schwierigkeiten und Probleme: Was sich hinter diesen mit britischem Understatement ummantelten Worten Camerons verbarg, war eine nicht enden wollende Kaskade von heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen, im Parlament wie auch in der Öffentlichkeit, über die Frage der Umsetzung des Brexits.

Theresa May, die sich im innerparteilichen Rennen um die Cameron-Nachfolger hatte durchsetzen können, scheiterte mit ihren ungeschickten Versuchen, ihre zerstrittene Tory-Fraktion im Unterhaus durch massive Drohungen an die Adresse der EU auf Kurs zu halten. Heftige Debatten über Mays Vertragsentwürfe für den Austritt ließen ihren Rückhalt in den eigenen Reihen weiter erodieren. Als sie ihr Austrittsabkommen dem Parlament im Januar 2019 vorlegte, erlitt sie eine krachende Niederlage. Nur 202 Abgeordnete votierten dafür, 432 gegen – darunter ein Drittel der Tory-Fraktion. Sie musste einige Monate später, bedrängt vom entscheidenden Parteigremium, dem "1922-Komitee", ihren Vorsitz abgeben und den Weg freimachen für den lautstärksten Brexit-Befürworter der Konservativen, Boris Johnson.

Boris Johnson: "Get Brexit Done!"

Mit dem Schlachtruf "Get Brexit Done!", unzählige Male vom ideologiefreien neuen Tory-Premier wiederholt, konnte sich Boris Johnson zunächst nicht durchsetzen, auch nicht in den eigenen Reihen. Unverändert lehnte ein beträchtlicher Teil der Tory-Fraktion im Unterhaus den Brexit ab.

Johnson hatte keine parlamentarische Mehrheit und suchte im Dezember 2019 den Ausweg in Neuwahlen, die seine Tories deutlich gewannen. Sie konnten die absolute Mehrheit erringen. Auch hier war Johnsons beständige Beteuerung ausschlaggebend, als einziger in der Lage zu sein, die britische Scheidung von der EU durchsetzen zu können. Wenige Tage später stimmten alle 352 Tory-Abgeordneten für das "Withdrawal Agreement" Gesetz. Der Weg war damit frei, Oberhaus und EU räumten die letzten Hürden aus den Weg aus der Europäischen Union. Ende Januar 2020 war "Brexit done", das Austrittsabkommen trat in Kraft. Doch damit endeten nicht die "Schwierigkeiten und Probleme" bei der Umsetzung des Brexits, die von David Cameron bedauert wurden.

Denn Johnson nahm, wie seine Regierung auch später einräumte, den Bruch internationalen Rechts in Kauf, um das von ihm selbst verhandelte Nordirland-Protokoll umgehen zu können. Das sei ein eklatanter Vertrauensbruch, der das internationale Ansehen Großbritanniens massiv schädigen würde, erzürnten sich im September 2020 frühere Premierminister, von John Major über Tony Blair bis Theresa May. Diese berechtigte Kritik kümmerte den burschikosen Amtsinhaber nicht. Auch nicht das zweimalige Nein des britischen Oberhauses zu dem Versuch Johnsons, mit dem "Binnenmarktgesetz" die Nordirland-Passagen im Brexit-Vertrag zwischen London und Brüssel auszuhebeln.

Liz Truss übernahm Johnsons Brexit-Rhetorik

Liz Truss, von Johnson protegiert, durchlief in diesen wenigen turbulenten Brexit-Jahren einen politischen Wandel: War sie vor dem Referendum von 2016 für einen Verbleib Großbritanniens, so schloss sie sich danach rasch dem Lager Johnsons an. Sie übernahm dessen Brexit-Rhetorik, auch als Außenministerin vertrat sie dessen Auffassung: Mit einem Gesetz könne die Regierung aus dem geschlossenen Scheidungsvertrag mit der EU aussteigen, um somit das "Dauerproblem" Nordirland und die EU-Grenze zur Republik abzuwickeln.

Kommt Boris Johnson zurück?

Jetzt, nach dem abrupten Rücktritt von Liz Truss, richtet sich das Augenmerk erneut auf die Frage, wen die desolaten Tories dieses Mal mit dem Parteivorsitz betrauen wollen – und damit mit dem Amt des Premiers. Über einen der Aspiranten, über Boris Johnson, fällt sein Parteifreund, Ex-Premierminister David Cameron, in seinen Memoiren ein vernichtendes Urteil: Johnson sei es eigentlich vor dem Austritts-Referendum von 2016 egal gewesen, welches Lager er im Brexit unterstützen sollte. Johnson habe das "Leave"-Lager nur deshalb gewählt, "weil es seiner politischen Karriere helfen würde". Einer Karriere, die in den nächsten Tagen wieder aufgenommen werden könnte.

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