Wie immer sollte vorab keiner wissen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Ukraine fährt. Mit dem Nachtzug von der äußersten polnischen Ost-Grenze in die Hauptstadt Kiew dauert es gut neun Stunden. Die Geheimnistuerei ist vor allem der Sicherheit geschuldet. Fliegen ist zu gefährlich, also bleibt nur die Nachtfahrt mit der Bahn. Wer in den Zug einsteigt, muss das Handy ausschalten, die Scheiben sind mit Folien beklebt. Falls es einen Angriff aus der Luft gibt, sollen die Splitter nicht herumfliegen und Menschen aufschlitzen. Es ist Krieg in der Ukraine.
Ukraine-Krieg überschattet Ampel-Amtszeit
Scholz hat dieser Krieg die Amtszeit vergiftet. Die Ampelregierung zerbrach letztlich an der Frage der Finanzen, aber schon kurz nach dem vom russischen Präsidenten Wladimir Putin befohlenen Angriff standen alle Vorhaben der Koalition unter einem Ukraine-Vorbehalt. Kein russisches Gas, radikaler Umbau der Energieversorgung, Waffenlieferungen, Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen in die sozialen Sicherungssysteme – beinahe überall schwangen der Krieg und seine Auswirkungen auf Deutschland mit.
Vor allem bei Waffenlieferungen gab Scholz von Anfang an den abwartenden Kanzler – mit dem Argument, er habe einen Eid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Er gab den Kanzler, der stets in Absprache mit den amerikanischen Verbündeten handelt, keine übereilten Entscheidungen treffen möchte. So hält er es bis heute.
Beim Wahlkampfauftakt in Berlin sprach er davon, einen kühlen Kopf zu bewahren und warnte vor "Heißspornen" – angesprochen fühlen sollten sich die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und der Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU). Beide sind der Ansicht, Scholz mache für die Ukraine zu wenig und das auch nicht schnell genug. Auch die Grünen stehen in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine deutlich näher bei Merz als bei Scholz, wie die Co-Vorsitzende Franziska Brantner gerade erst wieder betonte.
Scholz' Doppelstrategie in der Ukraine-Frage
Scholz fährt in der Ukraine-Frage seit jeher eine Doppelstrategie. Einerseits betont er ständig, Deutschland sei nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant mit 28 Milliarden Euro Militärhilfen. Andererseits insistiert er genauso stark darauf, dass Deutschland nicht in den Krieg hineingezogen werden dürfe. Mit dieser Begründung hat er die Lieferungen von weitreichenden Waffen wie den Taurus-Marschflugkörpern bisher strikt abgelehnt. Die deutschen Waffenlieferungen sollten die Ukraine stärken, sie aber nicht dazu befähigen, Russland weit auf russischem Gebiet hinein anzugreifen.
Dass es die Sorge gibt, Putin könnte das zum Anlass nehmen, seinerseits mit weitreichenden Waffen Europas Hauptstädte anzugreifen, weiß Scholz. Diese Sorge nehme er ernst, sagt er bei jeder Gelegenheit. Nichtsdestotrotz unterstützt er die Ukraine weiterhin. Bei seinem Besuch in Kiew verspricht er weitere Waffenhilfe. Noch in diesem Jahr sollen Rüstungsgüter im Wert von 650 Millionen Euro bereitgestellt werden: Kampfpanzer, Raketen, Drohnen und Flugabwehrsysteme. Scholz sieht das als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine. Die Opposition in Berlin sieht das anders.
Opposition kritisiert "Instrumentalisierung" für Wahlkampfzwecke
Sahra Wagenknecht (BSW) kritisiert besonders die Waffenzusagen als "teure Waffengeschenke" und "rücksichtslos gegenüber deutschen Steuerzahlern". Oppositionsführer Merz stört sich hingegen vor allem daran, dass Scholz das Thema im Wahlkampf anspricht: "Die Mobilisierung von Kriegsangst ist DNA der SPD", sagte er am Wochenende. Nach Bekanntwerden der Reise des Kanzlers nach Kiew legte der Außenpolitiker Roderich Kiesewetter (CDU) noch einmal nach. Scholz mache "Wahlkampf auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung". Sein Besuch vor Ort sei "verlogen", weil Scholz die Forderung nach weitreichenden Waffen weiter ablehne.
Dass der Kanzler diese Einschätzung nicht teilt, erklärte er bereits mehrfach. So hatte er am Wochenende schon vor der Kiew-Reise an die Adresse von denjenigen gesagt, die ihm eine Instrumentalisierung des Krieges vorwerfen: "Dieser Krieg in Europa ist ein Thema, ob der Bundeskanzler nun davon redet oder nicht." Die Bürgerinnen und Bürger hätten ein Anrecht zu erfahren, wer wo steht. Von der SPD gab es dafür lauten Applaus.
Im Audio: Bundeskanzler Scholz besucht die Ukraine
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