Das Logo des BR24 #Faktenfuchs
Bildrechte: Bayerischer Rundfunk
Bildbeitrag

Der Entwurf für einen Reformstaatsvertrag könnte Faktencheckern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Arbeit erschweren.

Bildbeitrag
>

Warum für Faktenchecks weiter "online first" gelten muss

Warum für Faktenchecks weiter "online first" gelten muss

Desinformation ist eines der größten Risiken für die Gesellschaft. Der Entwurf für einen neuen Medienstaatsvertrag sieht weniger Text auch für Faktenchecks vor - erschwert so aber den Kampf gegen Desinformation. Ein Dilemma.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Klimawandel, Konflikte, soziale Ungleichheit – Faktoren, die die Widerstandsfähigkeit von Volkswirtschaften bedrohen können. Doch eine Gefahr hebt der "Global Risk Report 2024" des Weltwirtschaftsforums besonders hervor:

"Als größtes Risiko für die kommenden zwei Jahre nennt der Bericht Falsch- und Desinformation, gefolgt von Extremwetter-Ereignissen, gesellschaftlicher Polarisierung und bewaffneten Konflikten", sagte die Geschäftsführerin des Weltwirtschaftsforums, Saadia Zahidi.

Faktenchecks: Bedeutung von Text, Detailtiefe und Transparenz

Der Entwurf für einen Reformstaatsvertrag könnte allerdings Faktencheckern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Arbeit erschweren und verhindern, dass die Ergebnisse ihrer Recherchen ein breites Publikum finden. Konkret geht es dabei um den §30 Abs. 7, zu finden hier auf Seite 32.

Kommt der Reformstaatsvertrag in der vorgeschlagenen Form, wäre es künftig nicht mehr möglich, Faktenchecks in Textform "online-first" zu verbreiten. Checks müssten sich dann an einem Audio oder Video – also einem Hörfunk- oder Fernsehbeitrag – orientieren, der vorher auf Sendung ging. In diesen Beiträgen kann jedoch nur eine begrenzte Auswahl an Fakten präsentiert werden.

Die Verleger argumentieren dagegen, sie könnten Leser kaum dafür gewinnen, für ihren Journalismus im Netz zu zahlen, wenn öffentlich-rechtliche Redaktionen nicht nur mit Video- und Audiobeiträgen im Netz informieren, sondern auch mit Texten. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger, BDZV, hat deshalb im Mai 2023 bei der EU-Kommission eine Beihilfebeschwerde eingereicht.

Vor allem im Blick auf den Kampf gegen Desinformation ergibt sich ein Dilemma, da die textliche Darstellung die präferierte Nutzungsform für Online-Informationen ist. Text ist wichtig, um Menschen bestmöglich und effizient zu erreichen. Dies unterstreicht auch ein neues Gutachten zur „Wettbewerbssituation im Online-Informationsmarkt in Deutschland 2024“, das im Auftrag der ARD entstanden ist.

Eingeschränkte Darstellung der Faktenlage - Warum ist das ein Problem?

Entscheidend bei Faktenchecks ist nicht nur die Kennzeichnung, dass eine Falschbehauptung falsch ist. Wichtig ist aus wissenschaftlicher Sicht auch, dass dies ausführlich begründet wird.

Die Kommunikationswissenschaftlerin Sabrina Heike Kessler von der Universität Zürich verweist auf eine mentale "Lücke", wenn Fehlinformationen nicht widerlegt werden. "Journalistinnen und Journalisten sollten beim Widerlegen von Fehlinformationen versuchen, diese Lücke zu schließen, indem sie eine detaillierte und einprägsame alternative Erklärung liefern."

Nur ein Online-Artikel bietet die Möglichkeit, die Recherche transparent, vollständig und nachvollziehbar zu schildern. Transparenz von Faktenchecks sei entscheidend, um Glaubwürdigkeit zu schaffen, sagt auch Maren Beaufort, Beirätin im Faktenchecker-Zusammenschluss GADMO . "Zum einen sollte klar ersichtlich sein, wer den Faktencheck erstellt hat und welche Finanzierungs- oder Förderstrukturen dahinterstehen. Zum anderen muss detailliert aufgezeigt werden, nach welchen methodischen Kriterien der Faktencheck durchgeführt wurde und auf welche validen und überprüfbaren Quellen er sich stützt."

Der BR24 #Faktenfuchs ist Mitglied im International Fact Checking Network (IFCN) und hat sich dessen Grundsätzen verpflichtet. Das Einhalten der hohen Standards wird von unabhängigen Gutachtern regelmäßig und öffentlich einsehbar überprüft.

Nachvollziehbarkeit von Quellen schafft Glaubwürdigkeit

Um den Usern den Rechercheweg und alle verwendeten Quellen aufzuzeigen und der Komplexität vieler Themen gerecht zu werden, erscheinen die Faktenchecks des BR24 #Faktenfuchs daher immer zuerst online als Artikel. Die Quellen - ob wissenschaftliche Studien, Zeitungsartikel oder Originaldaten - werden direkt verlinkt und unter dem Artikel noch einmal extra übersichtlich aufgelistet. Das ist für einen Faktencheck besonders wichtig: Denn er stützt sich auf eine Vielzahl an Quellen und belastbaren Fakten, die erläutert und dargelegt werden müssen. Diese Quellentransparenz ist ein zentrales Merkmal qualitativer Faktenchecks.

Faktenchecks befassen sich zudem häufig mit komplexen Sachverhalten. Um überzeugend darlegen zu können, was an einer Behauptung stimmt, was nicht und was nicht belastbar zu belegen ist, braucht es Platz. "Ein weiterer Vorteil des Online-Formats ist die Möglichkeit, Faktenchecks multimedial zu unterstützen, etwa durch Videos, Grafiken oder interaktive Elemente", sagt Beaufort. Das kann die Recherche veranschaulichen und verständlich machen.

Online-Artikel als ausführliche Grundlage für kürzere Ausspielungen

Der Online-Artikel bereitet damit auch die Grundlage dafür, dass Faktencheck-Inhalte auch im Radio oder auf Social Media ausgespielt werden können. Dort kann auf den Artikel mit allen Quellen und Details verwiesen werden, welche in kürzeren Ausspielungen ausgespart werden müssen. Denn bei inhaltlich begrenzten Ausspielwegen kann immer nur eine Auswahl der recherchierten Fakten dargelegt werden.

Manchmal können so nicht alle Fragen der User beantwortet werden - sie können in solchen Fällen aber auf den Artikel ausweichen und sich umfassend informieren. Dass auf diese Detailtiefe zurückgegriffen werden kann, ist ein zentraler Aspekt für einen gelungenen Faktencheck - und dessen Wirksamkeit.

Auch für das "Prebunking" bieten Online-Artikel den nötigen Platz: also für vorausschauende, präventive Aufklärung über wiederkehrende Narrative, Muster und Strategien der Desinformation. Dem Prebunking sprechen Experten eine hohe Bedeutung im Kampf gegen Falschinformation zu.

Darüber hinaus erreichen Online-Faktenchecks die Menschen auch über Auffindbarkeit in Suchmaschinen. Dieser Ausspielweg ist besonders wertvoll, weil der Faktencheck Menschen dann erreicht, wenn sie ihn brauchen. Gerade dann, wenn Menschen etwa durch ein Gespräch im Bekanntenkreis verunsichert sind und über Suchmaschinen nach Fakten zu einer Behauptung suchen, können Faktenchecks eine wichtige Orientierungshilfe sein.

Suchmaschinen von großer Bedeutung bei Auffindbarkeit

Google etwa sieht diese Bedeutung von Faktenchecks und fördert deren Sichtbarkeit, indem Online-Faktenchecks von verifzierten Faktencheckern oben angezeigt werden. Das ist ein wichtiger Verbreitungsweg und erreicht dort genau die Menschen, die mit der Falschbehauptung konfrontiert sind.

Ein digital einfach zugänglicher Artikel ist die schnellste Form, um auf sich schnell verbreitende Falschinformationen zu reagieren. So kann der Faktencheck dazu beitragen, die Verbreitung von Desinformation einzudämmen. Gleichzeitig lassen sich Links zu den digitalen Faktenchecks einfach im Bekanntenkreis teilen.

So, sagt Beaufort, "kann der Faktencheck dank der heutigen digitalen Nutzungsgewohnheiten einfach und vielfach in sozialen Netzwerken geteilt werden, was die Verbreitung erheblich steigern kann". Gerade in den Kommentarspalten auf Social Media oder in Online-Diskussionen, wo sich Falschinformationen sehr häufig verbreiten, kann dies Wirkung entfalten.

Bei Falschbehauptungen kann online schnell reagiert werden

Reichweite, Zugänglichkeit, Aktualisierbarkeit, Kosteneffizienz, Interaktivität und die Auffindbarkeit in Suchmaschinen sind laut der Kommunikationswissenschaftlerin Maren Beaufort wesentliche Vorteile eines Online-Faktenchecks: "Online kann zudem schneller auf Falschinformationen reagiert werden, was besonders wichtig ist, da der Zeitfaktor bei Faktenchecks eine wesentliche Rolle spielt."

Falschbehauptungen, Desinformation und Verschwörungstheorien verbreiten sich nicht nur einmalig. Stattdessen ist zu beobachten, dass bestimmte Behauptungen immer wieder kommen. Faktenchecks, besonders solche mit Einordnung des Narrativs oder des Musters der Desinformation, haben also längerfristig Relevanz und können durch die gute Auffindbarkeit im Netz über einen langen Zeitraum zur Aufklärung beitragen.

Im Video: BR-Chefredakteur Christian Nitsche äußert Bedenken zum Reformstaatsvertrag

BR-Chefredakteur Christian Nitsche steht im BR24-Fernsehstudio und beantwortet die Fragen der Moderatorin Ursula Heller.
Bildrechte: Bayerischer Rundfunk 2024
Videobeitrag

BR-Chefredakteur Christian Nitsche äußerte sich im BR24-Interview kritisch zu den Plänen des Reformstaatsvertrags.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.