Fahrgäste müssen sich für die Wochen und Monate ab November wieder auf Streiks und damit erhebliche Einschränkungen im Bahnverkehr einstellen – möglicherweise auch zu Weihnachten. Grund sind die anstehenden Tarifverhandlungen zwischen der Bahn und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). GDL-Chef Claus Weselsky will sich dabei mit Warnstreiks nicht lange aufhalten und stattdessen die Mitglieder zügig über unbefristete Streiks abstimmen lassen. "Warum soll ich in irgendeiner Form nur ein kleines Tamtam veranstalten, wenn ich weiß, dass es auf die andere Seite keine Wirkung entfaltet?", sagte Weselsky der Deutschen Presse-Agentur.
"Von daher kommt bei uns mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit entweder kein Warnstreik oder nur einer oder zwei." Um eine Wirkung zu entfalten, brauche es längere Arbeitskampfmaßnahmen, für die sich die GDL rechtlich absichern müsse. Eine Urabstimmung und damit der Wille der Mitglieder müssten den Prozessen "ein Stück weit" vorangestellt werden. Derzeit erörtere die GDL, ob eine Urabstimmung schon vor dem ersten Verhandlungstermin am 9. November möglich ist.
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Kein "Weihnachtsfrieden"
Die Weihnachtsfeiertage schließt Weselsky für einen Arbeitskampf nicht aus. Die Bahn habe der GDL mit den Verhandlungsterminen auch einen "Weihnachtsfrieden" vorgeschlagen, sagte Weselsky. "Das haben wir abgelehnt, weil wir die Entwicklung nicht kennen und weil wir nicht wissen, wie viel Verhandlungen wir bis dahin machen."
Für Fahrgäste geht die Ungewissheit auf der Schiene damit weiter. Der monatelange Tarifstreit zwischen der Konkurrenzgewerkschaft EVG und der Bahn ist erst wenige Monate her. Zweimal legte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft im laufenden Jahr bereits mit Warnstreiks bundesweit den Bahnverkehr lahm. Eine Einigung kam Ende August erst nach einem zweiwöchigen Schlichtungsverfahren zustande. Heraus kamen unter anderem 410 Euro mehr pro Monat für die Beschäftigten und eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2.850 Euro netto.
Knackpunkt Arbeitszeitreduzierung
Nun ist die kleinere GDL an der Reihe. Sie fordert unter anderem mindestens 555 Euro mehr pro Monat sowie ebenfalls die Inflationsausgleichsprämie. Knackpunkt der Verhandlungen dürfte aber vor allem die Forderung nach einer Absenkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden für Schichtarbeiter ohne anteilige Lohnabsenkung sein.
"Wir haben zu wenig Lokführer, zu wenig Zugbegleiter, jetzt zu wenig Fahrdienstleiter, zu wenig Werkstattmitarbeiter", sagte der GDL-Chef. Das liege nicht am demografischen Wandel, "sondern es ist die Unattraktivität der Berufe, der Tätigkeiten, die im Eisenbahnsystem nun mal 24 Stunden, sieben Tage die Woche und 365 Tage im Jahr laufen", betonte Weselsky. Die Reduzierung der Arbeitszeit sei deshalb "ein Schritt, die Attraktivität der Berufe zu erhöhen und aufzuzeigen, dass auch in der Gesellschaft Anerkennung da ist".
Dass die Bahn diese Kröte einfach so schlucke, sei nicht absehbar. "Ich nehme in den anderen Tarifverhandlungen mit den Wettbewerbsbahnen wahr, dass die Arbeitgeber sich sehr schwertun, die Arbeitszeitabsenkung mitzumachen, das Thema überhaupt in Angriff zu nehmen", sagte Weselsky. "Nur die Argumente sind ausgeleiert." Schon seit einigen Monaten verhandelt die GDL unter anderem mit dem Eisenbahnunternehmen Transdev und einigen anderen Bahn-Konkurrenten.
Ist die Reduzierung der Arbeitszeit für die GDL somit wichtiger als die Entgeltforderungen? "In anderen Tarifrunden hätte ich die Antwort gegeben: Ja, das ist das Wichtigste", sagte Weselsky. "Heute würde ich mir das nicht erlauben, weil wir sehen, dass die Entgelterhöhung zwingend erforderlich ist, um überhaupt erst mal das dritte Jahr Inflation zu kompensieren." Was bei den Tarifen nicht erreicht werde, "entreichert unsere Mitglieder, macht sie ein Stück weit ärmer und schränkt sie ein, entweder im Konsum oder eben im gesamten Lebensstandard der Familien".
Das Tarifeinheitsgesetz steht wieder im Fokus
In der laufenden Tarifrunde wird ein weiteres Thema erneut aufkommen: das umstrittene Tarifeinheitsgesetz. Das Gesetz sieht vor, dass in einem Betrieb mit zwei konkurrierenden Gewerkschaften nur der Tarifvertrag der mitgliederstärkeren Arbeitnehmervertretung zur Anwendung kommt. In den Hunderten Betrieben der Deutschen Bahn ist das in der Regel die EVG. Doch in Dutzenden Tochterunternehmen ist die Frage zwischen allen Beteiligten hochumstritten. Derzeit werden die Tarifverträge der GDL laut Bahn lediglich in 18 Betrieben angewendet.
Der Konzern hatte zuletzt verlauten lassen, mit der GDL werde im Herbst für rund 10.000 Beschäftigten verhandelt. "Das ist einfach eine Lüge", sagte Weselsky. "Wir vertreten 40.000 Mitglieder in allen Eisenbahnverkehrsunternehmen, und der größte Anteil unserer Mitglieder sitzt bei der Deutschen Bahn AG."
Schon über die Methode, wie die Mitgliederzahl in einzelnen Betrieben festgestellt werden soll, wird laut Weselsky seit mehr als zwei Jahren vor Gericht gestritten. "Wir sind jetzt gerade mal so in der zweiten Instanz mit einem Verfahren beim Bundesarbeitsgericht angelandet, und kein Mensch kann Ihnen sagen, wann Sie tatsächlich Recht bekommen im Sinne eines gesitteten Zählverfahrens", sagte er. "Wir haben kein Zählverfahren, wir haben keine Methodik für den gesamten Vorgang." Die Frage ist sensibel, denn die Bahn hat kein Recht zu erfahren, ob und welcher Gewerkschaft ein Beschäftigter angehört.
Letzte Tarifrunde für Weselsky
Wie schon bei der vorigen Verhandlungsrunde will die GDL auch dieses Mal für neue Berufsgruppen verhandeln, für die es bislang keine GDL-Tarifverträge gibt. "Jetzt kommt der Schritt aus den Eisenbahnverkehrsunternehmen heraus in die Infrastruktur", sagte Weselsky. "Das ist ein Folgeschritt. Derzeitig haben wir noch keinen Tarifvertrag in der Infrastruktur. Das streben wir aber an."
Für den 64-Jährigen, der seit rund 15 Jahren als Bundesvorsitzender das Gesicht der GDL ist, ist es der letzte Tarifstreit seiner Laufbahn. Im September kommenden Jahres will er abtreten und das Zepter an seinen bisherigen Stellvertreter, Mario Reiß, übergeben.
Mit Informationen von dpa
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