Es hätte schon 2007 passieren können – das mit dem Hauptpreis. Hannah Herzsprung gewann damals zwar einen Bayerischen Filmpreis, allerdings "nur" als beste weibliche Nebendarstellerin. Preisträgerin für die beste weibliche Hauptrolle war damals Monica Bleibtreu, die ebenfalls für das Gefängnisdrama "Vier Minuten" von Chris Kraus ausgezeichnet wurde. Der Moment blieb trotzdem als zauberhaft in Erinnerung – Herzsprung erschien in einem dunkelblauen Seidenkleid auf der Bühne und versprühte mit ihrer unbedarften Fröhlichkeit ein bisschen Oscar-Seligkeit.
Die tickende Gefühlszeitbombe
Das Spiel wiederholte sich dann ähnlich beim Deutschen Filmpreis mit der Vergabe der Lolas im Juli 2007. Wieder waren Monica Bleibtreu und Hannah Herzsprung nominiert, und wieder wurde die Ältere ausgezeichnet. Bleibtreu als pensionierte Pianistin, die seit vielen Jahren in einem Frauengefängnis Klavierunterricht gibt. Dort trifft sie auf die 20-jährige Jenny, gespielt eben von Herzsprung, eine tickende Gefühls-Zeitbombe, die jederzeit hochgehen kann. Verurteilt wegen Mordes, eine wilde, unzugängliche, launenhafte und vor allem aggressive und musikalisch hochbegabte junge Frau. "Vier Minuten" erzählt von zwei Menschen, die einander herausfordern, die sich in kämpferischen Wortgefechten begegnen.
"Vier Minuten" war das große Ereignis der Kinosaison 2007 – gewann damals auch als bester Film die Trophäen beim Bayerischen sowie beim Deutschen Filmpreis.
Reizvoll, aber fatal: Kraus' Fortsetzungsidee
Regisseur Chris Kraus entwickelte Jahre später die so reizvolle wie letztlich fatale Idee einer Fortsetzung: Was ist aus Jenny geworden, wenn sie aus dem Gefängnis entlassen wird? Ist sie gebrochen? Oder einfach nur ruhiger und erwachsener geworden? Vielleicht sogar konstruktiver und endlich bereit, ihr großes musikalisches Talent zu entwickeln? Kraus entschied sich dafür, den emotional brodelnden Vulkan Jenny, das verletzte Wesen, so zu lassen, wie es auch schon vor 15 Jahren war: reizbar und roh. Hannah Herzsprung knüpft nahtlos an ihre bisher größte Rolle an.
Grandiose Schauspielerin
Die Schauspielerin, die nächste Woche für "15 Jahre" endlich mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wird, spielt wieder grandios. Nur leider ist der Film um sie herum diesmal ein ziemliches Desaster. Man merkt ihm an, dass Chris Kraus das Wiedersehen noch wuchtiger gestalten wollte als im Vorgänger.
So wird die nach der Haftentlassung in kirchlicher Resozialisierung lebende Jenny mit einem geflüchteten syrischen Pianisten zusammengespannt, dem der IS eine Hand abgehackt hat. Die beiden sollen in einer bekloppten TV-Show für Menschen mit Behinderungen namens "Talent kennt keine Grenzen" auftreten. Daneben wird dann noch der Mord aufgeklärt, für den Jenny unschuldig ins Gefängnis musste. Ihr damaliger Freund, der wirkliche Mörder, ist jetzt der Host der Talent-Show, ein punkiger Abklatsch von Dieter Bohlen, und wird zum Ausgangspunkt für eine krude Rachegeschichte. Dazu gibt es markige Botschaften wie diese hier: "Solange du lebst, verschwende dich!"
Ein Löwe ist los
Als Film funktioniert "15 Jahre" nie wirklich: zu grell, zu konstruiert, zu sehr auf emotionale und visuelle Effekte aus. Da taucht in einer nicht weiter erklärten Szene plötzlich ein wilder Löwe auf, wird von einem Polizisten erschossen, der dann wiederum von Jenny angegriffen wird. Klar – auch sie: ein wildes Tier! Aber braucht man dafür einen solch hanebüchenen, symbolisch aufgeladenen Einschub in die Handlung?
"15 Jahre" ist ein Film, der nie zur Ruhe kommen will, der keine Balance zwischen Tragödie und TV-Satire findet, der an seinem Ehrgeiz, noch toller zu sein als ehedem "Vier Minuten", grandios scheitert. Nur die guten Schauspieler, allen voran Hannah Herzsprung, machen das halbwegs erträglich. Für die Hauptdarstellerin könnte sich immerhin ein Kreis schließen: Warum sollte sie für ihre Jenny 2024 nicht nur den Bayerischen Filmpreis gewinnen, sondern (wie ehedem Monica Bleibtreu) auch die Lola? Möglich wär's.
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