Sandra Hüller in silbernem Kleid auf dem roten Teppich
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Von "Toni Erdmann" nach Hollywood: Sandra Hüller

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Im Oscar-Fieber: Das macht Sandra Hüller so besonders

Die "Königin von Cannes" ist sie bereits, jetzt könnte der Oscar folgen: Sandra Hüller ist als "Beste Hauptdarstellerin" für den weltweit wichtigsten Filmpreis nominiert. Ihr Interesse gilt seit jeher Frauen-Rollen abseits gängiger Klischees.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Keine Frage, Sandra Hüller ist derzeit die berühmteste deutsche Schauspielerin. Auf den Internationalen Filmfestspielen in Cannes gewannen 2023 gleich zwei Filme die Hauptpreise, in denen sie die Hauptrolle spielt: das französische Justizdrama von Justine Triet "Anatomie eines Falls" und Jonathan Glazers Auschwitz-Drama "The Zone of Interest". Die Presse feierte die 1978 in Suhl, Thüringen, geborene Schauspielerin als "Königin von Cannes". Nun könnte sie für ihre Rolle in "Anatomie eins Falls" sogar einen Oscar als beste Hauptdarstellerin bekommen.

Mit "Toni Erdmann" zum Welterfolg

Ihren internationalen Durchbruch feierte Hüller schon vor Jahren mit dem Film "Toni Erdmann". Dieser ging 2016 auf den internationalen Filmfestspielen von Cannes noch leer aus. Kurz darauf bekam Maren Ades Familiendrama um den pensionierten Musiklehrer als Vater (Peter Simonischek) und Sandra Hüller als teflonglatte Unternehmensberaterin und verstockte Tochter zahlreiche Auszeichnungen – darunter den Europäischen Filmpreis und eine Oscar-Nominierung.

Der Grund: Sandra Hüller traut sich was, sie gibt alles, selbst wenn, oder gerade wenn die Rolle etwas befremdlich ist: "Es gibt so einen Impuls manchmal, dass eine Figur so delikat ist oder vielleicht eben so schwer zu erklären, oder so was. Oder ich erkenne irgendetwas in denen, dass ich das gern beschützen möchte. Das habe ich manchmal", sagt Hüller im November 2023 im BR.

Undurchsichtig, eigenwillig, stark

Im insgesamt fünffach Oscar-nominierten "Anatomie eines Falls" (neben beste Hauptdarstellerin, auch bester Film, beste Regie, bestes Originaldrehbuch und bester Schnitt), auch ein Familiendrama, spielt Sandra Hüller wieder eine eigenwillige Frau: die Schriftstellerin Sandra Voyter, die seit knapp zwei Jahren mit ihrem Mann und dem gemeinsamen elfjährigen Sohn Daniel in den französischen Alpen lebt. Eines Tages findet Daniel seinen toten Vater. Der ist aus dem Obergeschoss der Wohnung gestürzt.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Unfall. Doch sehr bald steht die Mutter unter Mordverdacht. Geschockt beteuert sie ihre Unschuld. Tatsächlich geht es in dem Film um eine gescheiterte Liebe, die öffentlich verhandelt wird. Und um eine Frau, die nicht nur sich selbst, sondern auch diese Beziehung mit all ihren Schwächen gegen das Urteil der Gesellschaft verteidigt. "Sie kommen hierher, haben Ihre Meinung, und sagen mir, wer Samuel war und was wir durchmachten. Aber was Sie beschreiben, ist nur ein kleiner Teil der Gesamtsituation. Manchmal ist ein Paar eine Art Chaos, und alle sind verloren. Manchmal kämpft man zusammen, manchmal allein und manchmal auch gegeneinander, das kommt vor", sagt sie als Sandra Voyter vor Gericht.

Freiheit der Intransparenz

Sandra Hüller begreift die Undurchsichtigkeit der Lage, der die Gerichtsverhandlung und dem Film bis zuletzt die Spannung verdankt, als Freiheit: "Mir hat mal jemand gesagt: Erklärbarkeit ist ein Service an die anderen. Damit spielt der Film auch, mit dieser Art von Freiheit, sich nicht lesen lassen zu müssen, sich nicht durchsichtig machen zu müssen für alle anderen", so Hüller im BR-Interview. Wobei sie einräumt, dass man das vielleicht nicht generell über Figuren sagen kann, die sie interessieren. Sie habe da nicht so ein Check-Buch, wo sie das abhake.

Aber Sandra Hüller hat durchaus eine Vorstellung davon, was für Rollen für sie eher nicht mehr in Frage kommen. Das, was das klassische Repertoire gerne mal bereithält: Frauen, die sich an Liebesschmerz verzehren und an der Männerwelt verzweifeln. "Man fängt an mit einer sehr positiven Energie, die dann alle irgendwie toll finden. Und am Ende ist man tot, gebrochen oder alleine", so Hüller. Und das sei eine Art des Erzählens über Frauen, die sie nicht mehr gewollt habe und immer noch nicht wolle.

Ebenfalls nominiert: "The Zone of Interest"

Auch der zweite Cannes-Gewinner, in dem Sandra Hüller eine Hauptrolle spielt, geht bei den Oscars ins Rennen: "The Zone of Interest" ist wie "Anatomie eines Falls" gleich in fünf Kategorien nominiert (bester Film, beste Regie, bestes adaptiertes Drehbuch, bester internationaler Film und bester Ton). Hüller spielt die alles andere als gewöhnliche Rolle der Frau des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, Hedwig, deren Wohnhaus mit Garten und Swimming Pool direkt an die Mauer des Stammlagers Auschwitz I angrenzte.

Im Video: "The Zone of Interest" - Familiäres Idyll im Schatten des NS-Horrors

Szene aus "The Zone of Interest" mit Sandra Hüller, Regie: Jonathan Glazer
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Familiäres Idyll im Schatten des NS-Horrors: kinokino über das schockierende und verstörende Täterdrama.

Hedwig Höß ist eine Figur, die Hüller selbst als "Monster" bezeichnet. Und dennoch bedeutet ihr diese Rolle viel, denn es sei wichtig, so Hüller im Interview mit kinokino, "anzuerkennen, dass es möglich ist, dass jeder Mensch dazu im Grunde in der Lage ist und dass es eine große Achtsamkeit erfordert, mit allen Impulsen, die exkludierend, die abwertend und so weiter sind, immer wider umzugehen und genau zu beobachten, an welchen Stellen wir genauso agieren wie die Leute dort."

Film- und Theater-Schauspielerin

Hüllers erste Kinorolle, für die sie gleich sechs Preise bekam, war Michaela, ein Opfer religiösen Wahns in Hans-Christian Schmids "Requiem", einer ergreifenden Passionsgeschichte. Seitdem bekommt sie fast jährlich irgendeine wichtige Auszeichnung. Auch für ihre Arbeit als Theater-Schauspielerin, etwa für ihren "Hamlet" unter der Regie von Johan Simons im Schauspielhaus Bochum. Publikum und Kritiker rasten mal wieder vor Begeisterung, während sie ihr Spiel lediglich als "Vorschlag" sah, weil sie letztlich auch nicht wisse, wie man den Dänenprinzen interpretiert.

Vielleicht ist es genau das, was an ihr in jeder Rolle fasziniert: Dass da keine Großschauspielerin ihr Virtuosentum ausstellt. Sondern ein Mensch, der immer wieder aufs Neue nach dem Wesen eines anderen sucht. So auch in Thomas Stubers Film "In den Gängen": Für den Dreh dieses Melodrams nach einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer ließ sie sich als Gabelstapler-Fahrerin ausbilden. Das sei doch eine Jobsicherheit, hat sie dem "Hollywood Reporter" gegenüber erklärt – und betont, dass sie das absolut ernst meine.

Kritiker-Preis für Sandra Hüller

Apropos "Hollywood Reporter": im September 2023 titelte das Branchenblatt mit Sandra Hüller und der Frage "Schauspielerin des Jahres?". Diese schienen US-amerikanische Kritiker Anfang Januar beantwortet zu haben: Die National Society of Film Critics (NSFC), der rund 60 namhafte Filmkritiker angehören, wählte Hüller für ihre Rollen in "Anatomie eines Falls" und "The Zone of Interest" tatsächlich zur besten Schauspielerin des Jahres. Sie lag damit bei der Anzahl der Stimmen vor Emma Stone ("Poor Things") und Lily Gladstone ("Killers of the Flower Moon"). Im Dezember hatte bereits der Filmkritiker-Verband LAFCA (Los Angeles Film Critics Association) Hüller ausgezeichnet.

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Dieser Artikel ist erstmals am 23. Januar 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.

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