Sir Michael Philipp Jagger, besser bekannt als Mick Jagger gehört zu den großen Rock- und Pop-Stars der 60er Jahre, die eigentlich nicht mehr "Frontman" zu nennen sind, meint der Freiburger Kulturwissenschaftler und Altersgenosse von Jagger, Klaus Theweleit. Zwischen ihm und Keith Richards sei eine Parität, ähnlich wie bei John Lennon und Paul McCartney. "Also ich würde Mick Jagger schon beschreiben als Protagonisten eines neuen Phänomens, das in den Sechzigern auftaucht, wo das Prinzip 'Band' oder das Prinzip 'Gang' in das Prinzip 'Group' übergeht - in die Boygroup". Jagger stehe danach für das neue, nicht hierarchische, soziale Prinzip, das sich in den 60ern nicht nur in der Musik durchsetzte, sondern auch auf anderen Ebenen, etwa den Wohnformen oder (Motorrad-)Gangs.
Der stärkste Hochenergetiker
Mick Jagger, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, hat auch schon früh auf der Bühne eine eher androgyne Form der Selbstinszenierung gewählt, er verkörpert nicht – trotz zahlreicher Affären und Ehen – den klassischen Machismo. Dennoch möchte Klaus Theweleit Mick Jagger nicht als Protagonisten des Androgynen nehmen. "Eher als den stärksten Hochenergetiker", so Theleweit. Womit er Künstler meint, "die permanent was produzieren müssen, immer da dran sind, auch immer ein bestimmtes hohes Level halten, deren Leben daraus besteht. Andy Warhol war einer von denen, und die tauchen auch nicht umsonst bei ihm in den Porträts auf und haben persönliche Beziehungen." Diese Hochenergetiker, zu denen neben Jagger unter anderem auch John Lennon gehörten, hätten eine neue internationale englisch-amerikanische Kultur geprägt, die für freie Sexualität, die körperbetonte Form von Musik in Richtung Auflösung von Geschlechtlichkeit stehe. Kurz: Für all das, was später Popkultur oder neue Jugendkultur heißt.
Meister der Vermarktung
Der britische Musikjournalist Nik Cohn hat über Jagger geschrieben: "Er hatte harte Lippen wie Stoßstangen, rot und fett und glänzend, und die bedeckten sein Gesicht." Das ist allerdings eine Sinnlichkeit, die sich mit einem großen Geschäftssinn paart: Mick Jagger ist ein Meister der Vermarktung. (Apropos Vermarktung: Das Stones-Lippen-Logo geht nicht – wie viele meinen – auf diese Lippen Jaggers zurück, der Designer dieses Logos, John Pech, hatte dabei die Hindu-Göttin Cali im Sinn.)
Auch das ist etwas Neues: "Elvis etwa war noch vollkommen abhängig von seinem Manager, wie die ganzen frühen Rockgruppen abhängig sind von ihren Plattenfirmen oder Managern", so Klaus Theweleit. Das wird mit den Boygroups anders: Die Stones und die Beatles gründeten eigene Plattenfirmen und organisierten ihre eigenen Geschäfte. "Das sind auch auf der Produktionsebene emanzipative Figuren, die gezeigt haben, dass man als Gruppe oder auch Individuum sich von solch einem Betrieb artistisch und geschäftlich unabhängig machen kann."
Die "eselsgleiche Lache" des Mick Jagger
Mick Jagger hat sich zuweilen auch als Schauspieler vor der Kamera versucht. Er sollte ursprünglich in Werner Herzogs Fitzcarraldo mitspielen, in der Rolle des schwachsinnigen Wilbur, die dann schlussendlich aus dem Film gestrichen wurde. Aber Werner Herzog hat die Dreharbeiten mit Jagger im Dschungel in bester Erinnerung: "Nein, das war lustig. Der Mick Jagger hat ja so eine wahnsinnige Lache, man meint manchmal, ein Esel schreit, wenn der loslacht und der hat so wahnsinnig gelacht." Tagelang habe Jagger von seiner Frau in Leopardenfell-Bikinis irgendwelche Urwald-Aufnahmen gemacht und sich krumm gelacht dabei.
Im Übrigen aber sei Jagger erstaunlich urwaldfest, erzählt Werner Herzog: "In einer Szene kommen zwei kleine schwarze Affen vor. Und während die Szene lief und er seinen Dialog zu sagen hatte, biss ihn einer der beiden Affen ununterbrochen in die Schulter, richtig fest. Und der Mick Jagger hat ohne mit der Wimper zu zucken weiter seine Szene gespielt und fing dann, als sie fertig war, an zu lachen, und das wie ein schreiender Esel. Er zeigte mir seine Bissspuren Schulter, und ich sagte: Mick, du Hornochse, warum hast du denn nicht abgebrochen? Wir hätten den Affen schon zur Raison gebracht. Nein, das war so gut und anregend, sagte er."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!