Mao soll ja offiziell zu 70 Prozent gut, zu 30 Prozent schlecht gewesen sein, so behaupteten es jedenfalls seine Nachfolger. Über den amerikanischen Präsidenten Richard Nixon gibt es noch keine genauen Zahlen, er selbst freilich soll nach seinem Rücktritt gesagt haben, er habe seine Freunde, sein Volk und sein Land im Stich gelassen. Mao und Nixon: Zwei sehr umstrittene Politiker, die im Februar 1972 tatsächlich aufeinander trafen, damals ein Weltereignis, noch tobte der Vietnamkrieg, da war es spektakulär, dass der chinesische Revolutionsführer und der amerikanische Konservative ins Gespräch kamen.
"Wahnsinns-Abend" zwischen Mondlandung und Fernsehsendern
Zu sagen hatten sie sich allerdings nichts, das Ganze war eher ein dadaistisches, also sinnfreies, aber umso aufsehenerregenderes Happening, in der Realität und in der Oper von Alice Goodman und John Adams "Nixon in China". Im ersten Akt kratzt Nixon sein angelesenes Wissen über China zusammen und Mao faselt von seiner Philosophie, im zweiten Akt muss sich Pat Nixon beim Damenprogramm eine Schweinezucht und ein rotes Frauen-Kampfballett ansehen, im dritten Akt stellen alle Beteiligten fest, wie blödsinnig das alles war und ergehen sich lieber in privaten Erinnerungen. Am Mainfrankentheater in Würzburg wurde daraus in der Regie von Tomo Sugao ein spektakulärer "Wahnsinns-Abend", er inszenierte nämlich den Wahnsinn der Politik zwischen Mondlandung, Schlachtfeldern, Konferenztischen und Fernsehsendern.
"Innere Kittelschürze" und Maschinengewehr
Nixon denkt an schöne Bilder, Mao an den Untergang des Kapitalismus. Nixon hält sich für Superman, Mao für Konfuzius. Dieses Duell reißt von der ersten bis zur letzten Minute mit, auch weil die beiden Ehefrauen aufeinander treffen: Pat, die brave, kalifornische Hausfrau, die ihre innere Kittelschürze niemals abgelegt hat, und Chiang Ch'ing, die blutdürstende Revolutionärin, die ihre Hausarbeit mit dem Maschinengewehr erledigt. Unfassbar, was für intensive, satirische, schockierende, erstaunliche Bilder Tomo Sugao da auf die Bühne wuchtet, wie wild entschlossen der Chor mitmacht beim Fähnchen-Schwenken, Marschieren, Jubeln und Hassen.
Henry Kissinger steigt Ballerinen hinterher
Ein in jeder Hinsicht überzeugender Wurf und was für ein Kommentar zur Gegenwart: Wenn im Juni Donald Trump auf den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un trifft, das Duell dürfte haargenau so ablaufen. Bühnenbildnerin Julia Katharina Berndt hatte blutrote Mauern für die unablässig kreisende Drehbühne entworfen, Mao pennt auf seinem Schreibtisch und benutzt Bücher als Fußstütze, Nixon irrt durch Redemanuskripte, Kissinger steigt den roten Ballerinen hinterher, alles endet mit einem bizarren Masken-Treiben.
Musik: Reißender Strom - zu den Niagara-Fällen?
An der "Minimal Music" von John Adams teilten sich natürlich die Meinungen, die einen halten die scheinbar endlose Wiederholung immer gleicher Tonfolgen für esoterisch, langweilig, ja nervtötend, andere sind begeistert über die Dynamik, die dabei entfesselt wird, die Energie, die hier brodelt und tobt. Das ist ein akustischer Strudel, der den Zuhörer mal gemächlich, mal reißend den Strom hinabtreibt, und niemand weiß, ob am Ende die Niagara-Fälle warten. Dirigent Enrico Calesso hatte hörbar seinen Spaß bei dieser John-Adams-Sause, für die Musiker war es wohl in erster Linie Schwerstarbeit, mussten sie doch unentwegt konzentriert zählen, um keinen Rhythmus-Wechsel zu verpassen, und davon gab es viele.
Mao-Gattin zerquetscht Cola-Dosen
Eine kraftvolle Gemeinschaftsleistung, und durchweg überzeugende Solisten: Daniel Fiolka und Silke Evers als Ehepaar Nixon könnten so authentisch, wie sie waren, sofort in die Politik einsteigen. Paul McNamara als übergewichtiger Mao, der sich von drei Sekretärinnen bespielen lässt, war bedrohlich und fanatisch wie das Original, noch wüster und brutaler Akiho Tsujii als monströse, Cola-Dosen zerquetschende Ehefrau, die wegen ihrer Verbrechen später bekanntlich zum Tode verurteilt, aber nicht hingerichtet wurde. Auch Bryan Boyce als Henry Kissinger und Taiyu Uchiyama als gerissener Premierminister Chou En-Lai trugen zum Erfolg wesentlich bei. Gut, dass "Nixon in China" jetzt wieder häufiger auf dem Spielplan steht, bis Juli in Würzburg, ab April 2019 in einer Neuinszenierung in Stuttgart. Wie gesagt: Die Oper ist der Wahnsinn. Bestürzend, dass das auch für die Politik gilt. Großer Applaus, allerdings auch viele leere Plätze.
Wieder am 27. Mai, 3. und 10. Juni, viele weitere Termine.