Georg Hermansdorfer schaut konzentriert auf seine zwei Bildschirme. Auf dem einen der Scan eines leicht vergilbten Dokuments, auf dem anderen eine Notensoftware. Note für Note tippt der ehemalige Musiklehrer den Scan ab. Es ist eine Partitur, eine Handschrift aus dem Internet. Hermansdorfer hat das Dokument in der Bayerischen Staatsbibliothek ausgegraben. Sonst gibt es diese Noten nirgends.
Ein seltener Fund und gehörige Tüftelarbeit
"Das ist wirklich Tüftelarbeit. Also im Endeffekt sitzt man ein Jahr nur an dem Notenausgraben", sagt Hermansdorfer. In zwei Tagen wird er zum ersten Mal hören, was er da abtippt: Die Oper "Untersberg". Mit seinem Verein "Erlesene Oper e.V." will er das Werk auf die Bühne bringen. 200 Jahre wurde die Oper nicht mehr gespielt. Erst wenn man es hört, merke man eigentlich, ob es ein interessantes Werk sei – oder ob es nicht verwunderlich sei, dass es in Vergessenheit geraten ist.
"Der Untersberg" stammt von einem bayerischen Komponisten: Johann Nepomuk Poißl, einem Hofmusikintendanten in München, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. "Der Poißl war sicher sehr wichtig. Er ist heute nicht mehr so wichtig, weil kurz danach Richard Wagner die Bühne betreten hat", so Hermansdorfer. Dann seien in München alle, von König Ludwig II. angefangen, auf Wagner "abgefahren" und Poißl sei dann uninteressant gewesen – aber zu Unrecht vergessen worden, glaubt der Musiklehrer.
Professionelle Solisten, sonst Laienmusiker
Wie die Oper aber tatsächlich klingt, erfuhren Hermansdorfer und seine Vereinsfreunde erst eine Woche vor der Premiere. Da probten zum ersten Mal alle zusammen: Zwei Chöre, ein Orchester, vier Solisten – insgesamt um die 100 Musikerinnen und Musiker. Bis auf die Solisten sind alle Laienmusiker. Valentina singt zum Beispiel im Frauenchor. Während der Probe kneift sie immer wieder zweifelnd die Augen zusammen. Weil es noch keine Aufzeichnung gibt, sind die Sängerinnen und Sänger ganz auf die Proben angewiesen.
Bei dem Verein mit zu musizieren ist also herausfordernd. Schauspielern muss aber diesmal keiner, Georg Hermansdorfer hat sich für eine konzertante Aufführung entschieden. Eine szenische Aufführung könnte der Verein nicht stemmen.
Worum es in der verschollenen Oper geht
Im "Untersberg" geht es um den Geisterfürst Odorich. Der lebt mit seiner Tochter Astralis im Untersberg. Astralis verliebt sich ausgerechnet in den Sohn seines schlimmsten Feindes. Der Vater unterzieht die Liebe einer Prüfung. Am Ende stürzen die Liebenden von einem Felsen. Doch sie erwachen lebend, von Geistern auf eine Blumenwiese gebettet. Happy End.
Das Libretto findet Hermansdorfer etwas "triefend", die Musik dafür umso überzeugender. Besonders interessant: Der Komponist Johann Nepomuk Poißl hat sich in der Oper von bayerischer Volksmusik inspirieren lassen. Georg Hermansdorfer glaubt, Poißl wollte eine bayerische Nationaloper komponieren: "Am Anfang singen die Bauern, bevor sie zur Arbeit gehen. Also das ist reine Volksmusik, auf Chor und Orchester übertragen."
Eine Entdeckung, die sich gelohnt hat
Der Untersberg überzeugt auch Profimusiker. Die Sopranistin Kayo Hashimoto singt die Astralis – begeistert: "Wenn ich denke, das hat 200 Jahre keiner gehört - und dass unser Team das gerade hier in der Rosenheimer Umgebung vertont, das ist schon ein super Gefühl".
Auch Georg Hermansdorfer ist nach zwei Stunden Probe zufrieden. "Es war eigentlich die Erfüllung von dem, was ich mir gedacht habe". Das stundenlange Transkribieren hat sich also gelohnt. Aus einem vergilbten Dokument ist eine lebendige Oper geworden.
Die Premiere der Oper "Untersberg" findet am Freitag um 16 Uhr in Laufen im Landkreis Berchtesgadener Land statt. Weitere Aufführungen gibt es in Brannenburg im Landkreis Rosenheim und in München.
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