Schwarzweißbild eines fliegender Mannes mit wehendem Umhang von hinten
Bildrechte: Pablo Larraín / Netflix

"El Conde": Der Diktator Augusto Pinochet als Vampir

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"El Conde" bei Netflix: Ein Diktator als Blutsauger

Nach Filmen über Pablo Neruda, Jackie Kennedy oder Lady Di widmet sich der chilenische Regisseur Pablo Larraín in seinem jüngsten Film dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet. Der wird in "El Conde" zum Vampir.

Eine LP mit Marschmusik dreht sich auf dem Teller des Plattenspielers – ein alter Mann liegt auf einem groben Bett aus Metallstäben und denkt über das Leben nach. Mit einer weiblichen Off-Stimme, deren Identität sich erst am Ende überraschend offenbart, erzählt Pablo Larraín in seinem neuen Film "El Conde" in Schwarz-Weiß-Bildern von einem Herrscher, der auch das Blut aus Südamerika probiert hat, jenes der Arbeiter. Er würde es nicht empfehlen, sagt die Stimme, es rieche nach Hund und habe ein pöbelhaftes Bouquet. Ja, auch unter Vampiren gibt es Gourmets, solche, die wissen, wo die Mahlzeit am besten schmeckt.

Dieser Film ist eine Farce, düster und faszinierend, ein blutiger Abgesang auf einen Diktator, der verantwortlich war für eine enorme Zahl an Menschenrechtsverletzungen, darunter mehrere Tausende Morde, für grausamste Folter und eine hohe Zahl von gewaltsamen Entführungen.

Tyrannen als Blutsauger

Bisweilen fühlt man sich bei "El Conde" an Roman Polanskis ironisch doppelbödigen Reigen "Tanz der Vampire" erinnert – nur, dass Pablo Larraín die Klischees und Handlungsmuster des Vampir-Genres nutzt, um sehr viel zugespitzter und konkreter eine blutsaugerische Aristokratie zu geißeln, jene Tyrannen, die seit Jahrhunderten über den ganzen Planeten verteilt die Menschheit heimsuchen, rücksichtslos und selbstbezogen.

"Was sie tun", sagt Pablo Larraín im Gespräch, "ist, dass sie sich als Retter sehen, als Erleuchtete, die die Gnade und Tugend aufbringen, das Schicksal einer Nation zu verändern. Sie opfern sich gewissermaßen. Aber diese Sichtweise kommt meist gar nicht von ihnen selbst, sie kommt von ihren Unterstützern und Fans. Und die geben denen, die diese Volkstribunen nicht unterstützen, das Gefühl, undankbar zu sein. Das macht die ganze Sache noch verrückter."

Absurdes Schauspiel auf Abstand

Es sei nicht einfach gewesen, den richtigen Ton zu finden für einen Film über Augusto Pinochet, sagt Larraín. Die Balance zwischen Satire, Karikatur und politischer Aussage, ohne zu einem Botschaftsfilm zu werden oder andererseits die Opfer von Gewaltherrschaft zu verhöhnen.

Dem 1976 in Santiago de Chile geborenen Filmregisseur gelingt das famos. Durch das Schwarz-Weiß und die oft langen Einstellungen bleibt man als Zuschauer immer in einer gewissen Distanz zum Geschehen – schaut einem absurden Schauspiel zu, dass einen nicht zur Identifikation einlädt, sondern auf Abstand hält und Raum lässt für eigene Gedanken und Assoziationen.

Farce, Satire, böser Witz

So schwingt die politische Dekadenz aktueller Populisten mit, geht es auch um wirtschaftliche Aspekte, nicht nur um Mord, sondern genauso um Bereicherung und Betrug. Der 87-jährige Jaime Vadell als Pinochet ist großartig. Bei den Filmfestspielen in Venedig erklärte er, er neige dazu, alles zu parodieren – aber ein Monster wie Pinochet könne nicht parodiert werden. So zeigt er ihn ernst, oft unbewegt, auch wenn der Tyrann sich wundersam erhebt und nachts mit flatterndem Umhang über die Erde fliegt, um Blut zu saugen.

Kommt er zurück, wartet dort die Familien-Sippschaft, die zwar nicht vampirischer Natur ist, aber genauso gierig wie der Patriarch. "El Conde" schlägt den Bogen bis zu demokratischen, auch europäischen Volksvertretern, die Pinochet ehedem unterstützt haben. Politische Verdrängungsgeschichten hebelt Larraín mit bösem Witz aus.

"El Conde" ist ab sofort bei Netflix zu sehen.

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